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Leon Schäfer konnte bei den Paralympics die Erwartungen nicht erfüllen. 

© dpa/Jens Büttner

Léon Schäfer über seine bislang größte Niederlage: „Ein Karriereende wäre auch eine Option“

Der deutsche Para-Leichtathlet konnte bei den Paralympics die Erwartungen nicht erfüllen. Ihm drohen finanzielle Einbußen. Nach einer Auszeit will er entscheiden, wie es weitergeht.

Von Anna von Gymnich

Stand:

Herr Schäfer, vor den Paralympics in Paris galten Sie als klarer Medaillenkandidat und landeten dann im Weitsprung und über die 100 Meter jeweils auf Platz vier. Neben all der sportlichen Enttäuschung was bedeutet das eigentlich für Ihr Einkommen als Sportler?
Finanziell werde ich auf jeden Fall Einbußen haben. Durch die vierten Plätze bekomme ich im nächsten Jahr keine Prämie von der Sporthilfe, auch nicht von meinem Sponsor Nike. Das sind finanzielle Rückschläge, mit denen ich eigentlich nicht gerechnet hatte. Das hat natürlich auch einen Einfluss auf mein Fortkommen. Hätte ich das Geld, hätte ich auch die Möglichkeiten, gewisse Dinge im Training anders zu gestalten. Ohne das Geld habe ich nun weniger oder schlechtere Möglichkeiten.

Sie trainieren seit über zehn Jahren bei Bayer Leverkusen. Wird es dabei bleiben?
Ein großer Punkt – auf den ich jetzt noch nicht zu viel eingehen möchte. Ich könnte mir einen Wechsel vorstellen, muss aber schauen, was ich für Optionen habe. Ein Karriereende wäre auch eine Option, aber das ist jetzt noch zu schwer abzusehen. Ich muss einfach schauen, ob ich mir überhaupt vorstellen kann, da wieder vier Jahre reinzustecken.

Sie sind sich unsicher über eine Teilnahme an den Paralympics 2028 in Los Angeles?
Ich muss jetzt erstmal schauen, wie sich die nächste Zeit entwickelt. Wichtig ist erstmal, dass ich an dem Ganzen wieder mehr Spaß habe. Ich weiß zwar nicht genau wie, aber mich erstmal zurückzuziehen, wird richtig sein. Ich möchte meine nächsten Schritte wirklich planen, damit ich genau weiß, wo ich hin möchte. Und um das bewusst zu wählen, brauche ich Zeit.

Denken Sie an eine Auszeit vom Sport?
Definitiv. Ich habe vergangenes Jahr nach der WM nur zwei Wochen Pause gemacht – und das merke ich jetzt. Sonst waren das zwei oder drei Monate, damit ich danach dann wieder richtig heiß bin auf den Sport. Ich denke, die Pause, die jetzt kommt, wird auch eher in so eine Richtung gehen. Der Spaß am Sport hat gerade in diesem Jahr nachgelassen. Ich habe mir zu viel Druck gemacht. Es ist wichtig, dass der Spaß wieder mehr hochgeholt wird. Da muss ich schauen, wie ich das machen kann.

Paris ist, wenn man meine Leistung betrachtet, nochmal ein Rückschritt zu Tokio.

Léon Schäfer über seine Enttäuschungen bei den Paralympics

Sie betonen in vielen Gesprächen Ihre mentale Stärke. In welchem Zustand befinden Sie sich jetzt gerade?
Nach dem Rennen am Montagabend und den Tag darauf war es schon schwer. Sportlich gesehen weiß ich nicht, ob ich so eine Niederlage schonmal hatte. Ich hatte eine Krebserkrankung, die damit auf jeden Fall nicht vergleichbar ist. Dementsprechend weiß ich das hier auch nicht zu schwer zu gewichten. Es ist trotzdem schwer. Die Niederlagen sollen mir irgendwas zeigen. Ich weiß nur noch nicht was.

Welche Strategien und Pläne haben Sie, das Erlebte aufzuarbeiten?
Ich schreibe viel und bringe meine Gedanken auf Papier, um das Ganze nochmal anders zu verstehen. Das wird mir helfen, genauso wie ein Ortswechsel und hoffentlich bald Urlaub. Dadurch erhoffe ich mir, mehr Abstand zu der Situation zu gewinnen.

Unmittelbar nach dem 100-Meter-Finale sagten Sie, dass Sie das Rennen nicht ganz verstanden haben. Mit ein paar Tagen Abstand: Was lief da nicht so, wie Sie es wollten?
Mein Start ins Rennen war gut. Doch dann konnte ich nicht genug Druck entwickeln, um meine Höchstgeschwindigkeit zu erreichen. Als ich dann merkte, dass ich mich nicht absetze, war es schon zu spät. Ich habe angefangen zu verkrampfen und machte zu kleine Schritte. Dazu war das Rennen am Tag vorher (der Vorlauf, Anm.d.R.) so gut und so locker, dass ich mich vielleicht schon zu sicher gefühlt habe. Ich dachte, ich müsste nur ein bisschen mehr machen und würde locker Gold holen.

Es war eine knappe Entscheidung um die Medaillenränge. Macht ein Fotofinish das Ergebnis schwieriger zu greifen?
Auf jeden Fall. Bis zum dritten Platz waren es nur zwei Hundertstel. Bronze hätte es für mich auch schon ein bisschen besser gemacht, aber ich wäre damit nicht zufrieden gewesen.

Im Weitsprung fehlten Schäfer acht Zentimeter zu Bronze.

© IMAGO/ZUMA Press Wire

Wie verlief der Abend nach dem Rennen für Sie?
Ich bin mit meiner Familie noch etwas essen gegangen. Danach bin ich allein ins paralympische Dorf. Schlafen konnte ich kaum. Ich habe die ganze Zeit versucht, zu verstehen, zu analysieren, zu reflektieren. Was natürlich schwer ist, wenn man emotional noch so nah an der Situation dran ist. Mein Kopf hat einfach keine Ruhe gegeben. Mittlerweile habe ich meine Schlüsse daraus gezogen und die Situation akzeptiert.

Im Finale über 100 Meter fehlten Schäfer zwei Hundertstel zu Bronze.

© IMAGO/Beautiful Sports

Hilft es Ihnen, mit Ihren Teamkollegen zu sprechen?
Die Teamkollegen sind nicht direkt meine Bezugspersonen, mit denen ich das bespreche. Dann schon eher Freunde und Familie. Mir hilft es schon, darüber zu reden, was passiert ist. Durch das Reden reflektiert man es auch im selben Moment. Mit meiner Familie Zeit zu verbringen, war für mich auch eher eine Ablenkung. Die nächsten Tage werde ich noch viel darüber nachdenken.

Auch von den Paralympics in Tokio 2021 reisten Sie eher enttäuscht ab. Verbinden Sie jetzt negative Gefühle mit den Sommerspielen?
Ich kann meine Leistung auf jeden Fall von dem Gesamterlebnis der Paralympics differenzieren. Das Erlebnis ist nach wie vor ein tolles – hier zu sein, mit den ganzen verschiedenen Nationen. Leistungstechnisch waren die beiden Spiele aber auf jeden Fall nicht das, was ich mir vorgestellt habe. Paris ist, wenn man meine Leistung betrachtet, nochmal ein Rückschritt zu Tokio.

In der heißen Phase der Vorbereitung auf Paris haben Sie noch Änderungen an Ihrer Prothese vorgenommen. Rückblickend ein Fehler?
Ich habe eine härtere Feder probiert, was nach der WM in Japan (Schäfer gewann Mitte Mai den Titel, Anm.d.R.) sowieso der Plan war. Eine Verletzung hatte mich da jedoch davon abgehalten. Wir haben uns dann erstmal auf die Sohle konzentriert, aber dann doch spontan noch die Feder getauscht. Es waren zu viele Veränderungen, sodass ich da gar keine Konstanz finden konnte. Der Niederländer (Paralympics-Sieger Joel de Jong, Anm.d.R.) zeigt mit seinen Weiten aber, dass es der richtige Weg ist.

Kürzlich wurde Ihr Weltrekord im Weitsprung um über 40 Zentimeter verbessert. Ist dies der technische Fortschritt, der solch starke Leistungssprünge in kurzer Zeit möglich macht?
Das ist nun mal unser Sport. Wir haben da ein Hilfsmittel, die Prothese, mit der wir den Sport betreiben. Im Falle des Niederländers: Wenn man eine Veränderung vornimmt und diese versteht und optimal nutzt, dann kann so auch eine Leistungssteigerung passieren. Ich finde, das macht unseren Sport besonders.

Andere Nationen scheinen im Para-Sport aufzuholen. Kann man behaupten, dass die Konkurrenz immer stärker wird und Deutschland eine Leistungsgrenze erreicht hat?
Ich denke, die anderen Nationen werden auf jeden Fall stärker gefördert. In Deutschland kannst du im Normalfall nicht vom Sport allein leben. Wenn man sich unsere Prämien anschaut und dann die unserer Nachbarländer, dann geht die Konkurrenz mit deutlich mehr nach Hause. Das ist sehr ausbaufähig in Deutschland. Wenn wir Athleten uns nebenbei noch Gedanken machen müssen, wie wir über die Runden kommen und studieren oder arbeiten, ist es doch logisch, dass dann weniger Zeit für den Sport bleibt. Wenn man finanzielle Ruhe hat, kann man mit einer ganz anderen Leichtigkeit und Effektivität den Sport verfolgen.

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