
© Imago/Jan Huebner
Neues Buch zur Fußballkultur: „Jüdisch und Fußballfan zu sein, gilt schnell als exotisch“
Ruben Gerczikow und Monty Ott haben für „Juden auf dem Platz, Juden auf den Rängen“ Geschichten jüdischer Profis und Fans zusammengetragen. Im Zentrum steht der von der Hamas ermordete Werder-Fan Hersh Goldberg-Polin.
Stand:
Herr Gerczikow und Herr Ott, Sie haben den Sammelband „Juden auf dem Platz, Juden auf den Rängen“ herausgebracht. Welche Geschichte von jüdischen Fußballspielern oder Fans hat Sie überrascht?
OTT: Mich hat überrascht, wie schwierig es war, Geschichten von jüdischen Profis auszugraben. Es gibt ein, zwei bekannte Beispiele, wie den israelischen Profi Itay Shechter. Aber eine tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Thema scheint es bislang nicht gegeben zu haben.
Wie haben Sie die Geschichten ausgegraben?
GERCZIKOW: Jüdischer Profifußball ist eine Nische in Deutschland. An einige Geschichten sind wir über andere Fans gekommen. Den israelischen Ex-Fußballprofi David Pizanti, der von 1985 bis 1987 beim 1. FC Köln gespielt hat, kannte ich beispielsweise durch meinen Vater.
Es gibt aber keine Auflistung von Profis nach Religionszugehörigkeit. Die meisten haben eine israelische Staatsangehörigkeit. Es gibt wenig bis gar keine Profispieler, die aus Europa kommen und jüdisch sind.
OTT: Bei den Frauen ist das etwas anders. Da gibt es Spielerinnen, die die deutsche oder schweizerische Staatsangehörigkeit haben und jüdisch sind. Beispielsweise die ehemalige Schweizer Nationalspielerin Rachel Rinast oder Sharon Beck von Werder Bremen, die in den deutschen U16 und U17 gespielt hat und heute Teil der israelischen A-Nationalmannschaft ist.
Was zeichnet Fußballkultur von Jüdinnen und Juden aus?
OTT: Die Vielfalt. So viele Vereine, wie es sie in Deutschland gibt, so viele jüdische Zugänge gibt es auch. Es wird allerdings noch häufig als unvereinbar angesehen, jüdisch und Fußballfan zu sein. Das gilt schnell als exotisch.
GERCZIKOW: Es geht auch darum, Widersprüche auszuhalten. Jeder muss seinen eigenen Weg finden, die eigene Jüdischkeit mit dem Fandasein zusammenzubringen. Ein Beispiel: Der Samstag, der Schabbat, ist traditioneller Ruhetag. Je nachdem, ob man religiös und traditionell lebt, wird es schwieriger, ins Stadion zu gehen.
Wie gehen Sie selbst damit um?
GERCZIKOW: Für mich ist eine rote Linie, an Jom Kippur und Rosh Hashanah ins Stadion zu gehen – auch, wenn an diesen Tagen wichtige Spiele stattfinden.
Einige Autoren kritisieren, dass in Bezug auf Juden und Jüdinnen häufig die negativen Geschichten im Vordergrund stehen. Auch Doron Bruck von TuS Makkabi sagte vor dem DFB-Pokalspiel gegen den VfL Wolfsburg 2023, er freue sich, dass es in den Medienberichten dieses Mal um sportlichen Erfolg und nicht um Antisemitismus geht. Wie gelingt es, die Balance zu wahren?
OTT: Es geht darum, jüdische Lebenswirklichkeiten zu erzählen. Antisemitismus bestimmt diese Wirklichkeiten nicht, ist aber ein wichtiger Teil davon, insbesondere seit dem 7. Oktober.
GERCZIKOW: Es ist ein Drahtseilakt, auf Antisemitismus als Problem für jüdische Communities aufmerksam zu machen und sich davon gleichzeitig nicht definieren zu lassen.
Ein Autor schreibt, dass der Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober das Leben von Jüdinnen und Juden in ein Davor und ein Danach geteilt habe. Wie äußert sich das im Fußball?
OTT: Für viele Jüdinnen und Juden ist es, als wäre die Zeit am 7. Oktober stehen geblieben. Fußball war seither ein Raum, in den man entfliehen konnte und Normalität sowie Solidarität erlebte. Viele Fanklubs waren in ihren Botschaften sogar differenzierter als manche Politiker: Sie waren empathisch mit allen Leidenden.
GERCZIKOW: Nach dem 7. Oktober gab es kein Spiel des 1. FC Köln, bei dem ich nicht den „Fight Antisemitism“-Schal mit dem Davidstern und dem Vereinswappen getragen habe. Dieser wurde von einigen FC-Fans nach dem 7. Oktober herausgebracht, um für Eran, die größte Hilfsorganisation für emotionale Erste-Hilfe in Israel, Spenden zu sammeln, der die in Teilen rechtsextreme Regierung die Mittel gekürzt hatte.
Die Erinnerung an Hersh wird leider auch instrumentalisiert, von der israelischen Regierung zum Beispiel. Daher ist es wichtig, ihn als den Menschen zu ehren, der er war.
Monty Ott
Welche Reaktionen haben Sie auf den Schal erhalten?
GERCZIKOW: Fragende und teils aggressive Blicke.
Hatten Sie Sorge vor Anfeindungen?
GERCZIKOW: Ich kenne mich in Köln gut aus und weiß, dass es dort – ebenso wie in allen anderen deutschen Stadien – rechte Fans gibt. Gleichermaßen weiß ich, dass ich mich auf meine Freunde verlassen kann.
Ich versuche, mich von der Tatsache, dass es Antisemitismus gibt, nicht einschränken zu lassen. Das bedeutet nicht, dass ich naiv durchs Leben laufe. Aber wenn jemand ein Problem mit einem Davidstern hat, ist das in erster Linie sein Problem – nicht meins.
Sie haben nach dem 7. Oktober erst mal mit dem Buch pausiert. Was hat Sie dazu bewogen, weiterzumachen?
GERCZIKOW: Die Ermordung von Hersh Goldberg-Polin im August 2024.
Hersh Goldberg-Polin war Israeli und Fan von Werder Bremen. Er wurde von der Hamas verschleppt und später ermordet.
OTT: Hersh hat enge Freundschaften nach Bremen gepflegt. Seine Entführung hat in den deutschen Fußballstadien viel ausgelöst. Es gab Solidaritätsbekundungen und die Forderung, Hersh und die anderen Geiseln freizulassen. Nach seinem Tod haben viele Fans gemeinsam getrauert.
GERCZIKOW: Das Buch ist nicht nur eine Bestandsaufnahme des jüdischen Fußballs in Deutschland, es ist auch eine Erinnerung an einen fußballverrückten Menschen, der viel zu früh aus dem Leben gerissen wurde.
Welchen Stellenwert hat die Trauer um Hersh für den deutschen Fußball?
GERCZIKOW: Im Mittelpunkt steht die Trauer der Menschen, die Hersh persönlich kannten, sich von ihm verabschiedeten und um ihn trauern. Darüber hinaus zeigte sich eine bemerkenswerte Anteilnahme weit über den engsten Kreis hinaus – auch von Fangruppen, die sich sonst eher als unpolitisch verstehen.
Von Nord bis Süd, von West bis Ost drückten Kurven ihre Solidarität aus – darunter sogar Gruppen, die normalerweise als verfeindet gelten. Gerade das macht den Fußball aus: Er ist mehr als nur 90 Minuten Spiel. Es geht um Gemeinschaft und Zusammenhalt. Man trauert und weint gemeinsam.
OTT: Seine Freunde und Familie beschreiben Hersh als lebensfrohen Menschen. Wie jeder andere Fußballfan wollte er ein Bier trinken und seinen Verein nach vorne peitschen. Die Erinnerung an Hersh wird leider auch instrumentalisiert, von der israelischen Regierung zum Beispiel. Daher ist es wichtig, ihn als den Menschen zu ehren, der er war. Er kämpfte für die friedliche Koexistenz von Israelis und Palästinensern, gegen die extreme Rechte und Diskriminierung. Wo Krieg Einseitigkeit erzwingt, stellte er den Menschen in den Mittelpunkt.
Seine Mutter Rachel schreibt in ihrem Buchbeitrag, dass die Unterstützung der Werder-Fans ihr viel Halt gegeben habe, nachdem ihr Sohn ermordet worden war.
OTT: Die Solidarität im Fußball gab ihr Hoffnung und fing die Trauer ein Stück weit auf. Rachel spricht sogar von einem Zelt der Trauer, in das sie und die Familie gewisse Menschen eingeladen haben. Das finde ich sehr berührend.
Sie schließt mit den Worten „there is light ahead“, „es gibt ein Licht am Horizont“. Was gibt Grund zur Hoffnung?
OTT: Nach dem 7. Oktober habe ich in linken Kreisen viele Enttäuschungen erlebt: Die sexuelle Gewalt an israelischen Geiseln wurde gerechtfertigt und die Hamas-Paraglider glorifiziert. Das hat viel Hoffnung in mir zerstört. Gleichermaßen muss man für seine eigenen Werte kämpfen und für Hershs Werte, der antifaschistisch sozialisiert war und an ein besseres Morgen geglaubt hat. Wir lassen uns nicht unterkriegen.
GERCZIKOW: Rachel hat mir nach dem 7. Oktober Hoffnung gegeben. Ich hoffte, dass die bedingungslose Liebe seiner Mutter Hersh doch noch retten kann. Doch Hersh wurde ermordet. Daher würde ich sagen: Ich bin heute etwas hoffnungsloser. Gleichzeitig ist „Niemals aufgeben, immer weitermachen“ ein Credo vieler Fanszenen. Das treibt auch mich an, seit ich Fußballfan bin.
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