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„Das war eine starke Behinderung für mich“: Gemechu Dida muss ein einsames Rennen beim Berliner Halbmarathon laufen
Gemechu Dida und seine äthiopische Landsfrau Fotyen Tesfay dominieren beim Berliner Halbmarathon. Schwierige Bedingungen verhindern noch deutlich schnellere Zeiten.
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Gemechu Dida musste sich auf den letzten Metern gar nicht erst umschauen nach etwaigen Konkurrenten. Der Äthiopier hatte das komplette Rennen beim Berliner Halbmarathon mehr oder weniger allein absolviert. Auf den letzten Metern legte der 25-Jährige noch einen fulminanten Sprint hin. Das Ziel war ein neuer Streckenrekord, und den verpasste er in einer Zeit von 58:43 Minuten nur um eine Sekunde.
Ein Streckenrekord gelang dagegen seiner Landsfrau Fotyen Tesfay. Sie kam in 63:35 Minuten ins Ziel. Wind und Kälte hätten ihr zugesetzt, sagte sie unmittelbar nach dem Zieleinlauf. „Ich bin trotzdem im Rhythmus geblieben.“
Ähnlich äußerte sich auch Dida. Bis auf die starken Winde und Böen sei alles super gelaufen, sagte er. „Dass früh keine Pacemaker dabei waren, war ein Problem. Das war eine starke Behinderung für mich. Trotzdem ist es gut für mich gelaufen.“
Seltsamerweise konnten die Pacemaker, die normalerweise dazu da sind, die Spitzenläufer über weite Strecken hinweg zu führen, bereits ganz früh nicht mehr folgen. Sie waren schlicht zu langsam. Allerdings hatte Renndirektor Mark Milde schon im Vorfeld erklärt, dass es das Tempo der Topläufer inzwischen schwierig mache, Pacemaker zu finden, die mithalten könnten.

© IMAGO/Foot Bowl
Sehr zufrieden konnte der deutsche Ausnahmeläufer Amanal Petros sein. Der 29-Jährige kam in neuer deutscher Rekordzeit in 59:31 Minuten hinter Dida und Richard Etir als Dritter ins Ziel. „Ich danke meiner Mama, die mir immer die Daumen drückt und für mich betet“, sagte er.
Richard Ringer, Marathon-Europameister aus dem Jahr 2022, beendete den Lauf hinter Petros in einer Zeit von 60:51 Minuten, was gleichbedeutend mit der Einstellung seines persönlichen Rekordes war. Angesichts der schwierigen Bedingungen waren dies herausragende Ergebnisse.
Wolfgang Heinig war am Sonntagmorgen vor dem Rennen dick eingepackt. Heinig genießt den Ruf einer Trainerlegende. Seit vielen Jahren betreut er auch Gesa Krause, eine der erfolgreichsten deutschen Leichtathletinnen. Ihre Paradedisziplin sind die 3000 Meter Hindernis, doch die 32-Jährige liebäugelt mit einer Karriere im Straßenlauf.
Ihre Bestzeit vor dem Lauf am Sonntag lag bei 69:46 Minuten. Trotz der kühlen Temperaturen (sechs bis acht Grad) war sich Heinig sicher: „Das ist Rekordwetter.“ Und das stimmte, glaubt man der Wissenschaft. Studien zufolge liegen die optimalen Temperaturbedingungen für Langstreckenläufe zwischen sechs und neun Grad.
Früh war klar, dass nur der Wind die Rekordjagd gefährden könnte. Ein teils böiger Nordostwind blies den Läuferinnen und Läufern insbesondere rund um das Schloss Charlottenburg ins Gesicht.
Sogar ein Weltrekord schien im Bereich des Möglichen. Fotyen Tesfays Bestzeit (63:21 Minuten) lag nur 29 Sekunden vom Weltrekord entfernt. „Es kann ein bisschen mehr passieren als ein Streckenrekord“, sagte Renndirektor Mark Milde vieldeutig.
Damit das möglich werden sollte, engagierte Milde kurzerhand Claus-Henning Schulke. In der Laufszene ist er besser bekannt als „Bottle-Claus“, weil er den Top-Läuferinnen und -Läufern seit Jahren die Getränkeflaschen reicht. Außerdem gilt er als Glücksbringer.
Bei den Männern befand sich Dida schon nach einem Kilometer etliche Meter vor der Konkurrenz. Er lief knapp unter 2:50 Minuten pro Kilometer – ein einsames Rennen. Einen starken Lauf zeigte auch Petros, der lange Zeit nur 30 Sekunden hinter dem überragenden Dida lag.
Nach zehn Kilometern lag dessen Zwischenzeit bei 27:43 Minuten – damit war er 14 Sekunden unter dem Tempo des Streckenrekords unterwegs. Fotyen Tesfay passierte die Zehn-Kilometer-Marke nach 29:54 Minuten. Im Gegensatz zu Dida hatte sie das Glück, von Pacemakern begleitet zu werden.
Ab Kilometer 15 wurden sowohl Dida als auch Tesfay langsamer. Beide mussten dem extrem hohen Tempo in der ersten Hälfte des Laufs Tribut zollen. Petros, vor wenigen Tagen noch im Höhentrainingslager in Kenia, griff auf Höhe der Karl-Marx-Allee bei Kilometer 17 sogar an und verkürzte den Rückstand auf Dida ein wenig. Doch dieser zog auf den letzten Metern seinerseits an und siegte mit recht großem Vorsprung.
Leicht enttäuscht war Gesa Krause. Sie war das Rennen sehr schnell angegangen und brach auf den letzten Kilometern etwas ein. Mit einer Zeit von 70:02 Minuten wurde sie Elfte. „Ab Kilometer 16 hatte ich zu kämpfen mit den Windpassagen. Das war sehr hart“, sagte sie. „Ich habe etwas riskiert und bin gut ins Rollen gekommen zu Beginn. Das musste ich dann hinten raus büßen.“ Dennoch könne sie bestimmt viel Positives aus dem Rennen ziehen. So war der Halbmarathon selbst für jene, die strauchelten, ein Erfolg.
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