
© Tagesspiegel/Nassim Rad
Trauer um Claus Vetter: Talentförderer, Teamplayer und Organisator des Unmöglichen
Sein Tod kam plötzlich und unerwartet. Der Tagesspiegel hat nicht nur den Leiter seiner Sportredaktion verloren, sondern einen Freund.
Stand:
Vor ein paar Tagen noch hatte Claus Vetter mal wieder das eigentlich Unmögliche organisiert: Karten fürs ausverkaufte Eisbären-Finale. Er selbst wollte sich das Spiel wie schon so oft als Reporter von der Pressetribüne aus ansehen, aber es ging ihm nicht gut in der vergangenen Woche, irgendwie unbestimmt, Rückenschmerzen, etwas Fieber, vielleicht eine Grippe; der Zustand nach eigener Auskunft: „bescheiden“. Ob mit den Tickets alles geklappt habe, das war ihm dennoch wichtig zu wissen, später schrieb er: „Viel Spaß wünsche ich dann!“
Viel Spaß: Davon können alle erzählen, die mit Claus Vetter zu tun hatten. Wenn ein Teil seines Sportressorts die Weihnachtsfeier verpasste, machte er gleich noch eine zweite – wieder für alle, na klar. Er war der Erste, der aus dem Homeoffice zurück in die Redaktion kam, auch wenn er selten im eigenen Zimmer saß – da war er doch lieber im Großraumbüro, zusammen mit seinen Leuten – „sonst bekomme ich von denen doch gar nichts mit!“
Gute Laune als Voraussetzung für gute Arbeit
Er schätzte die „dritte Halbzeit“, das fröhliche Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen, war dank ausreichender Selbstironie beim Karaoke dabei und füllte auch gerne die „Schlechte-Witze-Kasse“. Gab’s was zu besprechen, wurde davor auch schon mal noch schnell eine Partie Pingpong gespielt.
Kümmere dich, für alles andere finden wir hier schon eine Lösung.
Claus Vetter, wenn Kolleginnen oder Kollegen zum kranken Kind oder zur Kita eilen mussten
Gute Laune, das war für Claus Vetter eine Voraussetzung für gute Arbeit, und das hieß bei ihm vor allem: verantwortungsbewusste Arbeit, mit viel Empathie und Engagement. Wann immer jemand ausfiel, Claus sprang ein. Hatte jemand nachts ein Problem, war er da. Wurde von einem Kollegen das Kind krank, blieb bei einer Kollegin die Kita zu oder brauchten die Eltern Hilfe, sagte er oft nur: „Kümmere dich, für alles andere finden wir hier schon eine Lösung.“
Das Wort „Teamplayer“ muss für ihn erfunden worden sein – und auch das Wort „Talentförderer“. Die Texte von Praktikantinnen nahm er genauso ernst wie die von freien Mitarbeitern und Redakteuren, redigierte und erklärte auch dann noch geduldig, wenn die Zeit drängte.
Hingabe und Empathie auch für Amateursportlerinnen und -sportler
Grandios vor allem, wie Claus Vetter es schaffte, die einstige Männerredaktion beharrlich zu einem inhaltlich wie personell vielfältigen und zeitgemäßen Sportressort umzugestalten – nicht pflichtschuldig, sondern aus leidenschaftlicher Überzeugung.
Das geht doch nicht, dass hier nur Jungs rumlaufen.
Claus Vetter zum Umbau der Sportredaktion
„Das geht doch nicht, dass hier nur Jungs rumlaufen“, hat er mal gesagt. Bei ihm wurde über Amateursportlerinnen und -sportler mit der gleichen Hingabe und Empathie geschrieben wie über Profi-Millionäre, Frauenfußball bekam von ihm einen festen Platz und Diskriminierung die Rote Karte gezeigt, er ließ über neue Trends berichten und ausführlich über die Paralympics.
Im vergangenen Jahr zur Europameisterschaft brachte Claus Vetter den Tagesspiegel im Kabarettprogramm „Pfostenbruch“ von Frank Lüdeckes „Stachelschweinen“ täglich auf die Bühne – Kompetenz und Komik, das passte für ihn. Und ebenfalls zur EM interviewte er gemeinsam mit seinem 14-jährigen Sohn den Schriftsteller Horst Evers, Titelzeile: „Claudia Neumann wird nur kritisiert, weil sie eine Frau ist“. Es ging, na klar, um Frauen im Fußballgeschäft, um Kommerzialisierung und die Vorteile, Fan von Hertha BSC zu sein.
Ein treuer Begleiter der Eisbären
Also: Sportberichterstattung neu denken. Aber bitte die Eisbären nicht vergessen! Eishockey war und blieb seine große Liebe – erst als Hobbyspieler, dann als Fan der Preußen, und später, mit ganzer journalistischer Begeisterung, als Beobachter und treuer Begleiter der Eisbären.
Er war ein Teil von uns.
Peter John Lee, langjähriger Manager der Berliner Eisbären
Wie hoch die Wertschätzung in der internationalen Eishockeywelt für Claus Vetter war, zeigte sich 2009 bei einer Vereinsfeier im kleinen Kreis in einem Restaurant in Prenzlauer Berg: Der legendäre US-Meistertrainer Don Jackson ließ den Reporter seinen Ehrenring, den er für den Gewinn des Stanley-Cups als Spieler erhalten hatte, an diesem Abend tragen – als Würdigung seiner journalistischen Leistungen. Und der langjährige Manager Peter John Lee sagte, als er vom Tod Claus Vetters erfuhr: „Er war ein Teil von uns.“
Olympisches Gold: acht Texte an einem Tag aus Pyeongchang
Seine journalistische Goldmedaille verdiente sich Claus Vetter aber bei den Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang – hier stellte er sämtliche Schreibrekorde ein: An einem einzigen Tag schrieb er acht Texte und schickte sie an die Redaktion. Noch beeindruckender als solche Leistungen war allerdings, wie sie zustande kamen: Auch in der schlimmsten Hektik blieb Claus immer cool, ganz der Wintersportler eben – und er fand sogar noch Zeit, seine vielen Texte mit ulkigen Kommentaren oder Bildern vom schrecklichen Kantinenessen zu garnieren.
Vor mehr als dreißig Jahren war Claus Vetter zum Tagesspiegel gekommen, nach einem Anglistikstudium an der FU und in Schottland, nach ersten Texten beim „tip“ und bei einem Lokalsportverlag. Er begann als freier Mitarbeiter in der Sportredaktion, wo er bald „Penalty-Claus“ genannt wurde, wegen seiner Fähigkeit, auch noch in der Verlängerung den richtigen Ton zu treffen. Zwischendurch war er Chef vom Dienst, bevor er dann erst Stellvertreter und später Leiter seines Lieblingsressorts wurde. Hier fühlte er sich wohl, hier war er zu Hause, auch wenn seine Neugier und seine Interessen weit darüber hinausgingen.
Ohne ihn wären viele nicht in diesem Job gelandet
Sechzig sei eigentlich kein Alter, hat er mal gesagt, weder zum Sterben noch zum Leben. Weil er sich eben jünger gefühlt hat und auch jünger wirkte. Weil er noch so vieles erreichen wollte, den Sport weiter umkrempeln, noch progressiver gestalten. Ohne ihn wären viele Redakteure nicht in diesem Job gelandet, vor allem viele Redakteurinnen nicht im Sport.
Er hat junge Talente nicht nur gefördert, sondern ermutigt und bestärkt, hat ihnen etwas zugetraut und auch zugemutet, war an ihrer Seite, hat für sie gekämpft und sich, wann immer nötig, auch vor sie gestellt. In der Redaktion, aber nicht nur dort, wurde er dafür geachtet und bewundert. So offen, so diskussionsfreudig, so stetig bereit, dazuzulernen und die Perspektive zu ändern, ist Claus tatsächlich so jung geblieben, wie er gerne gewesen wäre.
Am vergangenen Freitag, als seine Eisbären ohne ihn Deutscher Meister wurden, war Claus Vetter, dem es immer schlechter ging, bereits im Krankenhaus. Die Diagnose: akute myeloische Leukämie. Am Sonntag ist er gestorben.
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