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FILE PHOTO: Ukrainian President Volodymyr Zelenskiy and German Chancellor Olaf Scholz attend a press conference, amid Russia’s attack on Ukraine, in Kyiv, Ukraine December 2, 2024.  REUTERS/Thomas Peter/File Photo

© REUTERS/THOMAS PETER

Streit über Milliardenhilfe für die Ukraine: Alle gegen Scholz? Der Kanzler spricht von Lügen

Woher sollen die zusätzlichen drei Milliarden Militärhilfe für die Ukraine kommen? Der Kanzler behauptet: Ohne Lockerung der Schuldenbremse geht es nicht. Viele sehen das anders.

Hat der Kanzler recht oder sind alle anderen verrückt? Im Streit um Ukraine-Hilfen hat Olaf Scholz (SPD) den Ton nun erheblich verschärft. Bei einer Veranstaltung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sagte Scholz: „Ich habe das Gefühl, ich sage das hier so offen: Im Augenblick wird mit größter Intensität, großer Umsicht das deutsche Volk belogen.“ Auf Nachfrage nach den angeblichen Schuldigen fügte der SPD-Kanzlerkandidat hinzu: „Von allen, die sich darum bemühen, eine Frage auszuklammern: Wie bezahlen wir es.“

Worum geht es?

Die drei Milliarden Militärhilfe soll die Ukraine von Deutschland in diesem Jahr zusätzlich bekommen. Bis dahin sind sich Union, Grüne, SPD und FDP einig. Die Frage ist: Wie soll das umgesetzt werden? Zwei Seiten zeigen derzeit mit dem Finger aufeinander, beschuldigen sich gegenseitig, die Hilfen zu blockieren. Die Stimmung ist wahlkampfbedingt aufgeheizt. Zwei Szenarien werden diskutiert:

Szenario eins

Der sogenannte Überschreitungsbeschluss. Scholz‘ Favorit. Dazu würde die Schuldenbremse ausgesetzt. Union und FDP halten dagegen.

Szenario zwei

Im Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ hatte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch am Freitag argumentiert: „Wir können der Ukraine nichts geben, was wir unseren Rentnern oder den Kommunen wegnehmen müssten. Es braucht also einen sogenannten Überschreitungsbeschluss des Bundestages, damit sich der Staat die zusätzlichen drei Milliarden Euro für die Ukraine leihen kann.“ Das ist auch die Linie von Olaf Scholz.

Im Augenblick wird mit größter Intensität, großer Umsicht das deutsche Volk belogen.

Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler

Bei den Grünen sorgt diese Haltung für Empörung. Es sei unverständlich, dass Kanzler Scholz die Renten gegen die Ukraine ausspiele, sagte Grünen-Parteichefin Franziska Brantner.

Bei Grünen und FDP und selbst in Teilen der SPD heißt es, man könne alternativ einfach beschließen, die Gelder für die Ukraine im laufenden Haushalt um drei Milliarden Euro zu erhöhen. Das Geld würde dann an anderer Stelle eingespart.

Ein Argument für den einfachen Beschluss, ohne die Schuldenbremse auszusetzen: Am Montag berichtete „Politico“, das Verteidigungsministerium habe im vergangenen Jahr rund 4,6 Milliarden weniger für die Bundeswehr ausgegeben als möglich. 1,6 Milliarden für Munition und Fahrzeuge seien nicht abgeflossen; die Ausgaben aus dem Bundeswehr-Sondervermögen seien um 2,7 Milliarden Euro geringer ausgefallen als veranschlagt.

Rücklagen und Investitionsstau sorgen für zusätzliche Mittel

In der Regierungspressekonferenz am Montag hieß es aus dem Verteidigungsministerium dazu: Im Jahr 2024 hätten für das Sondervermögen 19,8 Milliarden Euro zur Verfügung gestanden, aber nur 17,2 Milliarden seien abgeflossen. Auch an anderer Stelle sei weniger ausgegeben worden - 50,2 Milliarden Euro statt 51,9 Milliarden. Zusammengerechnet seien 4,36 Milliarden Euro übrig, also etwas weniger, als „Politico“ berichtet hatte.

Das Geld kann man laut Haushältern nun nicht einfach verschieben. Weil allerdings alle Ministerien 2024 weniger Geld als ursprünglich veranschlagt ausgegeben haben, wurde – anders als von Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP) geplant – eine Rücklage von zehn Milliarden Euro im Bundesetat nicht aufgebraucht. Dieses Geld hat die nächste Bundesregierung zur freien Verfügung.

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Zudem rechnen die Haushälter im Bundestag damit, dass auch 2025 viel im Haushalt veranschlagtes Geld nicht abfließen wird. Denn einen Beschluss über den Bundesetat 2025 hat der Bundestag nach dem Ampel-Aus nicht mehr gefasst. Wegen der Regeln der sogenannten vorläufigen Haushaltsführung sind viele Investitionen deshalb derzeit nicht möglich.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sollen deshalb bereits bei CDU-Chef Friedrich Merz angerufen haben und um Unterstützung der Union für mehr Geld für die Ukraine gebeten haben, so berichtete ebenfalls Politico. Und immerhin hatte Pistorius zuvor ebenfalls betont, das Geld sei aufzutreiben. Also ein weiterer Hinweis darauf, dass sich der Graben zwischen Kanzler und Verteidigungsminister vertieft?

Uneinigkeit in der Regierung

Eher nicht: In der Regierungsbefragung bestätigten die Sprecher beider Ministerien zwar derartige Gespräche. Aus dem Verteidigungsministerium hieß es jedoch: Ein entsprechendes Telefonat zwischen Merz und Pistorius habe bereits im November stattgefunden. „Am Rande dieses Gesprächs ging es auch um ein weiteres Paket für die Ukraine und mögliche Finanzierung.“

Kurios: Nebeneinander saßen in der Pressekonferenz die Sprecher der Ministerien und Regierungssprecher Wolfgang Büchner, der die Linie des Kanzlers zu vertreten hatte, auf dem Podium. Dabei wurde klar, wie schwierig es ist, inmitten eines solchen Koalitionskonflikts überhaupt zu klären, was denn nun Regierungslinie ist. So wollte der Sprecher des Verteidigungsministeriums die schlichte Frage, ob Pistorius die Position des Kanzlers teile, nicht inhaltlich beantworten. „Ich werde keine O-Töne schaffen“, sagte er nur, der Minister habe sich mehrfach selbst geäußert.

Finanzministerium ist gefragt

Während die einen nun argumentieren, die Zeit dränge, heißt es etwa aus der FDP: Der Haushaltsausschuss könne die Milliarden-Hilfen jederzeit beschließen. Dazu brauche es aufgrund der Höhe eine Vorlage für eine sogenannte überplanmäßige Ausgabe aus dem Finanzministerium, der der Ausschuss zustimmen würde.

Wegen der sogenannten vorläufigen Haushaltsführung müsste auch ein dringlicher Bedarf festgestellt werden, um diese überplanmäßige Ausgabe zu genehmigen. Angesichts der schwierigen militärischen Lage der Ukraine sei das allerdings wohl kein Problem, heißt es etwa bei den Grünen.

Bis zur Wahl, bis es einen neuen Haushaltsausschuss gibt, könnte dies demnach beschlossen werden – sofern der Kanzler und Teile der SPD auf den Kurs der übrigen Parteien einschwenken oder die Union auf die Einhaltung der Schuldenbremse verzichtet, was angesichts des Wahlkampfes als unwahrscheinlich gilt. (mit dpa)

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