zum Hauptinhalt
Die ukrainischen Sportler stehen in Peking oft ganz vorn. Wie es danach weitergeht, ist jedoch ungewiss.

© AFP

Initiative von früheren Medaillengewinnern: „Unser Ziel ist es, das ganze ukrainische Volk zu schützen“

Das ukrainische Paralympics-Team kann nach den Spielen nur schwer in die Heimat zurück. Auch ein in Deutschland neu gegründeter Verein will helfen.

Von Lennart Glaser

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook.

Jens Steinigen erinnert sich genau. Völlig entsetzt sei er an jenem Donnerstag aufgewacht, als Russland seinen Angriffskrieg auf die Ukraine startete. „Ich habe gedacht, ich höre nicht richtig“, erzählt er. Und dann rief er seine alten Freunde an.

Seine großen Erfolge liegen schon einige Jahre zurück. 1992, bei den Winterspielen in Albertville, hatte er mit der 4x7,5 Kilometer-Staffel olympisches Gold im Biathlon gewonnen. Eine große Sache war das damals: Die Spiele waren die ersten nach der Wiedervereinigung, Steinigens Team bestand aus Sportlern der BRD und der ehemaligen DDR.

Drei Jahrzehnte später ist der Name Steinigen vor allem Insidern geläufig, der ehemalige Profiathlet lebt heute in Traunstein, arbeitet dort als Anwalt. Über ein dickes Telefonbuch verfügt er trotzdem noch. Darin unter anderem: Die Nummer von Sergei Tschepikow.

Der russische Biathlet kam damals in Albertville als Zweiter ins Ziel, hinter Steinigens Staffel. Erst im Januar hatten die beiden zufällig wieder Kontakt. Heute sitzt Tschepikow als Abgeordneter in der russischen Duma, erzählt Steinigen: „Ich weiß nicht, ob er es nicht besser wissen will oder oder es nicht besser weiß.“ Für Steinigen ist zumindest klar: Er muss etwas gegen den russischen Krieg und die Desinformation tun.

Die Wirkkraft des Sports

Und so entsteht eine Idee. Steinigen setzt auf die Wirkkraft des Sports – und auf alte Erfolge. „Ich dachte: Wir Sportler, mit unserer Popularität, wir müssen nach Russland reinwirken“, sagt er. Einige Tage später gründet er gemeinsam mit einigen Ex-Athletinnen und -Athleten den Verein Athletes for Ukraine.

Jens Steinigen bei den Olympischen Spielen 1992 in Albertville.
Jens Steinigen bei den Olympischen Spielen 1992 in Albertville.

© Imago

Zwei maßgebliche Ziele formuliert der ehemalige Biathlet. Im Vordergrund steht die Solidarität mit den Menschen in der Ukraine. „Wir müssen den Leuten in der Ukraine zeigen, dass wir hinter ihnen stehen, sie unterstützen, und zwar breit aufgestellt“, erzählt Steinigen. Aber auch den Gegnerinnen und Gegnern des Kriegs in Russland möchte er ein Zeichen senden. „Wir können den Leuten sagen: Wenn ihr protestiert, stehen wir hinter euch.“

Auch wenn der Verein noch in der Exposition und Findung steckt: Konkrete Ziele hat Steinigen auch schon. Selbst für einen Sportler sind die recht ambitioniert. In einer Mail an alle Gründungsmitglieder schreibt er, es dürfe weltweit keine Sportveranstaltung mehr geben, bei der nicht gegen den Krieg protestiert wird, bis die russische Armee aus der Ukraine abgezogen ist.

Die Liste der Gründungsmitglieder der Athletes for Ukraine ist lang – und prominent besetzt. Ehemalige Olympioniken stehen darauf, Biathleten, Boxweltmeister. Auch der Traunsteiner Tobias Angerer, jahrelang weltbester Skilangläufer, ist von Beginn an dabei. Genauso Martin Braxenthaler. Der Monoskifahrer gilt als einer der erfolgreichsten deutschen Sportler bei paralympischen Spielen überhaupt. Zwischen 1998 und 2010 gewann er zwölf Medaillen. Eine Vorstellung, wie man die Vereinsziele am besten umsetzt, hat er auch.

„Wir haben die Weltcup-Veranstaltungen der Wintersportarten in Skandinavien im Blick“, verrät er. T-Shirts wollen sie drucken, die die Sportlerinnen und Sportler nach den Wettkämpfen tragen können, bei Zeremonien und Interviews. Mit den entsprechenden Funktionären stehen sie schon in Kontakt. Man kennt sich zum Teil noch von früher. Es wäre Schritt eins der Vision von Jens Steinigen. Zu tun gibt es noch viel: „Wir haben bei der Gründung gesagt: Stellt euch vor, der Russe schaut Wimbledon und da sitzen 500 Zuschauer auf der Tribüne und tragen das Shirt mit dem Protest gegen den Krieg“.

Martin Braxenthaler ist mehrfacher Goldmedaillengewinner bei Paralympics.
Martin Braxenthaler ist mehrfacher Goldmedaillengewinner bei Paralympics.

© Imago

Zum Ausschluss gab es keine Alternative

Warum Steinigen der Aspekt der Aufklärung so wichtig ist, erklärt er anhand von seiner Biografie. Aufgewachsen ist er in der DDR. „Ich weiß, wie gezielt eine Diktatur Desinformation verbreitet“, erzählt er von seinen Erfahrungen. „Und ich weiß, was das in den Köpfen von den Leuten macht. In dem Sinne denke ich, dass man überall einwirken muss auf die Leute.“ Aber auch Mut möchte er den Oppositionellen in Russland machen. Schon in der DDR sei es gefährlich gewesen, sich gegen das System zu stellen. „Aber die riskieren ja direkt ihr Leben“.

In einem Punkt sind sich Steinigen und Paralympics-Champion Braxenthaler besonders einig. Zum Ausschluss der russischen und belarussischen Sportlerinnen und Sportler von den Paralympics gab es keine Alternative. „Das ist eine absolut richtige Entscheidung“, so Braxenthaler. „Die Hütte brennt. Da gibt es jetzt kein Mitleid“. Dennoch – ein Zwiespalt der Gefühle sei die Entscheidung trotzdem. Die paralympischen Athletinnen und Athleten hätten es sowieso nicht leicht. „Aber es geht nur so“, resümiert Braxenthaler. „Und nicht anders“.

Indes sucht in Peking zurzeit das ukrainische paralympische Komitee nach einer Lösung für seine Athletinnen und Athleten. In das Kriegsland können sie nach dem Ende der Spiele nur schwer zurück. Der Präsident des ukrainischen NPCs, Valerii Sushkevych, organisiere deshalb die Ausreise der Sportlerinnen und Sportler in sichere europäische Länder, berichtet die New York Times. Es sei Menschen im Rollstuhl nicht möglich, vor Bomben wegzurennen, blinde Menschen könnten nicht vor Raketen fliehen, wird Sushkevych dort zitiert. 

Die Athletes for Ukraine dürften sich diese Situation zum Thema machen. Mitgründer Martin Braxenthaler erklärt: „Unser Ziel ist ja auch im Vereinsgedanken, das ganze ukrainische Volk zu schützen. Da gehören die dazu“. Er hoffe im Sinne der internationalen Sportgemeinschaft, dass eine Lösung gefunden werde. „Aber die wird es geben, da bin ich mir absolut sicher“, sagt er. Sein Vereinskollege Jens Steinigen pflichtet ihm bei. Er forderte eine Aufnahme der ukrainischen Athletinnen und Athleten. 

In den nächsten Wochen haben die Athletes for Ukraine einiges vor. Viel zu tun gibt es allemal. Bei den Weltcups an den kommenden Wochen sollen die ersten Zeichen gesetzt werden. Dann soll die Solidarität von den T-Shirts der Athletinnen und Athleten in die Welt prangen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false