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Verfassungsgericht soll Bundestag stoppen: Das Parlament entscheidet, was zu entscheiden ist
Abgeordnete aus der Opposition unternehmen letzte Versuche, einen Beschluss über das Finanzpaket zu verhindern. Besonders erfolgreich waren sie bisher nicht. Eine Analyse.
Stand:
Kaum hat das Bundesverfassungsgericht verschiedene Klagen und Eilanträge von Bundestagsabgeordneten sowie von den Fraktionen der Linken und der AfD abgewiesen, da geht es in Karlsruhe weiter. Mit allen Mitteln wollen Teile der Opposition im neu gewählten Parlament verhindern, dass das milliardenschwere Finanzpaket wie geplant am Dienstag verabschiedet wird.
So versucht es die parteilose Abgeordnete Joana Cotar erneut mit dem Argument, die Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens hindere ihre parlamentarischen Beteiligungsrechte. Sie sei unter anderem über Änderungsanträge nicht ausreichend informiert worden.
Ähnlich sehen es mehrere FDP-Abgeordnete: „Die Bundesregierung konnte ganz einfache und grundlegende Nachfragen dazu bisher nicht beantworten“, sagte der FDP-Finanzexperte Florian Toncar. Die kurzfristige Aufnahme der Klimaneutralität bis 2045 erfordere mehr Beratung. „Das lässt sich in der kurzen Zeitspanne nicht seriös diskutieren und abwägen“.
Sowohl bei Erlass als auch bei Nicht-Erlass einer einstweiligen Anordnung würden Abgeordnetenrechte verletzt.
Das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss zum ersten Antrag der Bundestagsabgeordneten Cotar.
Die Abgeordneten beziehen sich dabei vor allem auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Gebäudeenergiegesetz 2023. Damals hatte sich der CDU-Abgeordnete Thomas Heilmann erfolgreich an das Gericht gewandt, weil er sich von der Parlamentsmehrheit überrumpelt vorkam.
Doch die Situation war eine andere als heute, es ging um ein Vorhaben in der laufenden Legislaturperiode und nicht um Handlungen eines abgewählten Bundestags im Übergang zum neuen. Zudem betonten die Richter die „besonderen Umstände des Einzelfalls“ im damaligen Verfahren.
Auch im vorherigen Verfahren hieß die Antragsstellerin Cotar
Das Gericht hatte sich zudem bereits in einem Verfahren, über das Ende vergangener Woche entschieden wurde, mit dem Problem des engen Zeitrahmens befasst. Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat es abgelehnt. Eine vorläufige Entscheidung. Antragstellerin war auch hier die Abgeordnete Cotar.
Maßgeblich dafür war eine in Fällen von Eil-Entscheidungen übliche Folgenabwägung. Das Gericht erörtert dafür die Konsequenzen, die es hätte, wenn der Eilantrag Erfolg hätte, das spätere Verfahren in der Hauptsache vor Gericht aber verloren ginge. Dem werden die Folgen gegenübergestellt, die einträten, wenn der Eilantrag abgewiesen würde, die Kläger aber im späteren Verfahren erfolgreich wären.
„Erheblicher Eingriff in die Autonomie des Parlaments“
Eine einstweilige Anordnung, die geplanten Sitzungen zu stoppen, wäre nach Ansicht des Gerichts ein „erheblicher Eingriff in die Autonomie des Parlaments und damit in die originäre Zuständigkeit eines anderen obersten Verfassungsorgans“. Hiervon sei im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes „grundsätzlich abzusehen“. In der vorliegenden Konstellation stehe dem 20. Deutschen Bundestag außerdem nur ein enger Zeitrahmen zur Verfügung.
Im Ergebnis sah das Gericht in beiden möglichen Varianten eine Verletzung von Abgeordnetenrechten. Denn sowohl bei einer Stattgabe wie bei einer Ablehnung würde gegen diese Rechte verstoßen. Doch aufgrund der besonderen Umstände drohe bei einem Stopp des Verfahrens jetzt nicht nur – wie damals beim Gebäudeenergiegesetz – eine „Entschleunigung“, sondern voraussichtlich die „endgültige Verhinderung der Beschlussfassung“. Der Eingriff in die Verfahrensautonomie des Bundestags wöge daher hier „besonders schwer“.
Keine neue Gewichtung bei der Folgenabwägung
Cotar bemängelt nun in ihrer am Sonntag eingereichten Klage, dass ihr „nicht einmal eine finale Fassung des Änderungsantrages“ vorgelegen habe. Sie beklagt „Staatswillkür“ und nicht hinreichend öffentliche Ausschusssitzungen unmittelbar vor der Abstimmung.
Darin liegen vor allem mögliche weitere Gründe für eine Verletzung von Abgeordnetenrechten, jedoch eher nicht für eine neue Gewichtung bei der Folgenabwägung. Insofern ist es eher unwahrscheinlich, dass das Gericht doch noch eine einstweilige Anordnung erlässt, die sich auf diese Argumentation stützt.
Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl zusammen.
Artikel 39 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG
Falls gerichtliche Verfahren scheitern, möchte die AfD die Abstimmung noch auf parlamentarischem Weg vereiteln. Nach Ansicht der Fraktion soll es dafür genügen, dass sich ein Drittel der Mitglieder des neu gewählten Bundestags zusammentut und die vorzeitige Einberufung der konstituierenden Sitzung verlangt. Gemeinsam etwa mit der Linken hätte die AfD das nötige Quorum.
Tatsächlich heißt es in Artikel 39 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG), der Bundestagspräsident sei zur Einberufung verpflichtet, „wenn ein Drittel der Mitglieder, der Bundespräsident oder der Bundeskanzler es verlangen.“
Allerdings bezieht sich dieser Absatz ausdrücklich auf den „Schluss und den Wiederbeginn seiner Sitzungen“. Ob eine Parlamentsminderheit verlangen kann, dass ein Bundestag nach Neuwahlen erstmalig zusammentritt, scheint daher zumindest zweifelhaft.
Denn grundsätzlich entscheidet der Bundestag innerhalb der grundgesetzlich festgelegten Frist („Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl zusammen“, Artikel 39 Absatz 2 GG) selbstständig, wann er erstmals zusammentritt. Dass eine Minderheit hier der Mehrheit in die Parade fahren kann und darf, lässt sich entsprechend schwer begründen.
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