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Nur eine Studie. Bundeskanzlerin Angela Merkel besichtigte auf der IAA zusammen mit dem damaligen Porsche-Chef Matthias Müller (r.) und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier den elektrischen Porsche Mission E. Ob er je gebaut wird, ist offen.

© Reuters

Nach dem VW-Skandal: Bundesländer fordern mehr Förderung für Elektroautos

Der VW-Skandal hat angeblich die Chancen für Elektroautos verbessert – doch die Realität sieht anders aus. Die Stromer bleiben auf der Straße eine Randerscheinung.

Der VW Phaeton wiegt 2,3 Tonnen, ist mehr als fünf Meter lang und bläst als Sechs-Zylinder-Diesel pro Kilometer 224 Gramm CO2 in die Luft. Man könnte sagen, die Luxuslimousine ist das Gegenteil von einem Elektroauto. Sie in ein solches zu verwandeln – auf diese Idee ist bislang niemand gekommen.

Außer VW selbst. Gut drei Wochen nach Ausbruch des Diesel-Skandals teilte der neue VW-Markenchef Herbert Diess in der vergangenen Woche mit, der Phaeton werde „neu definiert“, seine Zukunft sei elektrisch. Unter der Haube des „Leitsterns“ der Marke VW werde künftig nicht mehr Diesel verbrannt, sondern Strom verbraucht – und zwar mit einer Langstrecken-Reichweite von bis zu 500 Kilometern.

Ein physikalisches Wunder?

Im Volkswagen-Konzern werden derzeit viele solcher „Richtungsentscheidungen“ getroffen, von denen niemand weiß, ob sie machbar sind und zum Ziel führen. Aber seit der Diesel durch Software-Manipulationen einiger VW-Ingenieure in Verruf geraten ist, bemüht man sich händeringend um ein neues Saubermann-Image.

Ohne Diesel sind die CO2-Grenzwerte nicht zu erreichen

Nicht nur in Wolfsburg. Auch bei BMW und Mercedes fürchtet man, dass der Verkauf von Diesel-Fahrzeugen – bei BMW sind dies fast 75 Prozent aller verkauften Neuwagen – schwieriger wird. Mit einer fatalen Konsequenz: Nicht nur die Erlöse der Konzerne sinken, zugleich verschlechtert sich auch ihre CO2-Bilanz. Denn Dieselmotoren stoßen zwar mehr Stickoxide aus, aber weniger Kohlendioxid (CO2) als Benziner. Die CO2-Grenzwerte für EU-Neuwagen, die die Hersteller ab 2021 einhalten müssen (und die danach weiter sinken), sind ohne Diesel nicht zu erreichen.

Es sei denn, es tritt ein, was in diesen Tagen oft behauptet wird: Elektroautos werden angesichts des Diesel-Desasters attraktiver. Doch danach sieht es nicht aus: Bis Ende September wurden 2015 nur 7385 rein-elektrische Fahrzeuge neu angemeldet. Hinzu kam eine statistisch nicht erfasste Zahl von Plug-in-Hybriden, die an der Steckdose aufgeladen werden können. Der Bestand auf deutschen Straßen liegt aktuell bei gut 26 000 reinen Elektroautos. Die Lücke, die sich zwischen dem Status quo und dem Ziel der Bundesregierung – eine Million E-Autos bis 2020 – auftut, schließt sich nicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat zwar auf der IAA beteuert, dass die Regierung bis Ende des Jahres entscheiden werde, welche zusätzlichen Anreize notwendig sind, um den Markt für Elektrofahrzeuge anzukurbeln. Doch das hatte sie auch schon auf der Berliner Regierungskonferenz im Juni getan – passiert ist bis heute nichts.

Parteiübergreifend wird nach mehr Förderung gerufen

Im Lichte der VW-Dieselaffäre werden nun parteiübergreifend Forderungen aus der Politik lauter: „Der VW-Skandal ist ein Grund mehr, die Elektromobilität jetzt stärker zu fördern“, sagte Winfried Hermann, baden-württembergischer Verkehrsminister, dem Tagesspiegel. „Ich fordere den Bund nochmals dringend auf, mehr zu tun und die Ankündigung wahrzumachen, auch finanzielle Anreize zu setzen“, fügte der grüne Minister hinzu.

Olaf Lies (SPD), niedersächsischer Wirtschaftsminister und VW-Aufsichtsrat, bekräftigte in der vergangenen Woche die Forderung nach einer direkten Kaufprämie für Privatleute, die sich ein E-Auto anschaffen wollen. Der von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) eingebrachte Vorschlag von staatlichen Zuschüssen – freilich ohne konkrete Summen – sei „längst überfällig“ gewesen. Lies verwies auf einen Bundesratsbeschluss aus dem Frühjahr, in dem auf Initiative Niedersachsens eine Prämie von 5000 Euro für den Kauf eines reinen Elektroautos und von 2500 Euro für Plug-in-Hybride vorgeschlagen wurde. Im Autoland Baden-Württemberg wird eine direkte Kaufprämie zwar nicht favorisiert. Das Land würde dem Vernehmen nach aber nicht dagegen stimmen, wenn sie in der Diskussion eine Chance bekäme und wenn die Kosten dafür seriös gegenfinanziert würden.

Sonder-Afa und direkte Kaufprämien

Auf Initiative Hessens hat der Bundesrat mittlerweile mit großer Mehrheit einen Gesetzesantrag beschlossen, der vorsieht, steuerliche Anreize zu schaffen, um Arbeitnehmer und auch Arbeitgeber für die Elektromobilität zu gewinnen. „Diese Form eines Anreizsystems ziehe ich gegenwärtig Kaufprämien vor, schon allein, weil es kostengünstiger ist“, sagte Thomas Schäfer, CDU-Finanzminister in Hessen, dem Tagesspiegel. „Klar ist, dass wir neue Anreizsysteme schaffen müssen.“ Betriebe und Unternehmen sollen demnach durch eine steuerliche Sonderabschreibung (Sonder-Afa) im Anschaffungsjahr gefördert werden, wenn sie Ladevorrichtungen zur Verfügung stellen oder E-Autos oder Plug-in- Hybride zur betrieblichen Nutzung anschaffen. Auch soll der geldwerte Vorteil für das von Arbeitgebern gewährte Aufladen privater Elektroautos befristet von der Steuer befreit werden.

Die Sonder-Afa ist ein Vorschlag, den auch die von der Regierung eingesetzte Nationale Plattform Elektromobilität seit Jahren wiederholt. Doch obwohl eine Sonderabschreibung überschaubare Kosten für den Fiskus verursachen würde – Experten schätzen 200 Millionen Euro pro Jahr –, bleibt der Vorschlag ungehört. „Trotz aller Ankündigungen sehe ich keine Bewegung bei der Bundesregierung“, sagt Stephan Kühn, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. „Der Bundesrats-Gesetzentwurf liegt herum. Teile der CDU-Bundestagsfraktion sind dagegen und mauern.“ Und der von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) angekündigte zweite Teil des Elektromobilitätsgesetzes lasse ebenfalls auf sich warten. „Die Diesel-Affäre bei VW zeigt: Das Fenster ist jetzt offen, um mehr für die Förderung der Elektromobilität zu tun“, sagte Kühn. „Wann, wenn nicht jetzt, soll es passieren?“

Autopräsident Matthias Wissmann, der aktuell um das Ansehen der deutschen Autoindustrie fürchten muss, mahnt zur Eile: „Wichtig ist, dass die Politik jetzt rasch handelt“, sagte er dieser Zeitung. „Wir brauchen noch in diesem Jahr Entscheidungen für starke Anreize, damit mehr Elektroautos in Deutschland auf die Straße kommen.“ Man darf gespannt sein, was Wissmanns Wort bei Angela Merkel, seiner Partei- und Duzfreundin, nach dem VW-Skandal noch gilt.

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