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Längerer Betrieb möglich? Bayerns Ministerpräsident Markus Söder liebäugelt damit, Isar 2 länger laufen zu lassen.

© dpa / dpa

Weiterbetrieb trotz Risiken?: Gutachten facht Debatte um AKW-Laufzeitverlängerung weiter an

Könnten die Laufzeiten der deutschen AKW verlängert werden? Ein Gutachten setzt die Regierung unter Druck. Doch die bleibt bei ihrem Nein.

Für Markus Söder ist die Lage klar. Angesichts des akuten Gasmangels müssten alle Formen von Energie jetzt genutzt werden. Dazu gehöre neben den Erneuerbaren auch „absolut die Kernenergie“, erklärte der bayerische Ministerpräsident in dieser Woche. So könne der bayerische Atommeiler Isar 2 ein halbes Jahr länger betrieben werden als geplant. Söder warf der Bundesregierung vor, es handele sich bei ihrer Weigerung nicht um eine technische, sondern um eine politische Entscheidung.

Kurz darauf wurde bekannt, worauf sich Söder bei seinen Aussagen stützt: Ein Gutachten des TÜVs Süd, das das bayerische Umweltministerium in Auftrag gegeben hat. Nur sieben Seiten lang ist das Papier, das am Freitag im politischen Berlin für Wirbel sorgte. Darin sollte der TÜV Süd bewerten, ob es möglich wäre, das Atomkraftwerk Isar 2 länger am Netz zu lassen als bis zum 31. Dezember 2022 – dem Zeitpunkt, an dem die letzten drei AKW in Deutschland abgeschaltet werden sollen. In dem Gutachten, das dem Tagesspiegel vorliegt, kommt der TÜV Süd zu dem Schluss, „aus sicherheitstechnischer Sicht“ bestünden „keine Bedenken“.

„Ideologische Blockade endlich aufgeben“

Das Gutachten erhöht den Druck auf die Bundesregierung. Wegen der sich zuspitzenden Gas-Krise in Deutschland werden immer wieder Forderungen laut, die letzten AKW in Deutschland länger laufen zu lassen. Vor allem die Union macht Druck. Aber auch aus der FDP gibt es diese Forderung. Aus Sicht der Grünen ist das Thema dagegen eine „Scheindebatte“. Der Weiterbetrieb von Atomkraftwerken würde wenig bringen, sei zudem teuer und auch riskant, betonen Vertreter der Partei immer wieder.

Das Bekanntwerden des bayerischen Gutachtens fällt nun aber zusammen mit der Veröffentlichung einer Umfrage, wonach eine Mehrheit der Deutschen eine vorübergehende Weiternutzung der Kernkraft für richtig hielte. 61 Prozent der Befragten unterstützten laut ARD Deutschlandtrend den von Union und FDP vorgeschlagenen Weiterbetrieb von Atomkraftwerken über das Jahresende hinaus. Die Union sieht sich bestätigt. „Scholz und Habeck müssen ihre ideologische Blockade endlich aufgeben. Sie passt nicht zum Ernst der Lage“, sagte Unionsfraktionsvize Jens Spahn dem Tagesspiegel.

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Interessant an dem bayerischen Gutachten ist, dass der TÜV Süd wichtige Sicherheitsbedenken vom Tisch wischt. Eigentlich hätten die verbliebenen deutschen Atommeiler 2019 einer sogenannten „Periodischen Sicherheitsüberprüfung“ unterzogen werden müssen – einem grundlegenden Check, der alle zehn Jahre ansteht und mehrere Jahre dauert. Doch weil die Meiler ohnehin Ende 2022 abgeschaltet werden sollen, wurde darauf verzichtet. Unter anderem deshalb haben Experten große Bauchschmerzen bei dem Gedanken, die AKW einfach weiterlaufen zu lassen. Der TÜV Süd ist aber der Meinung, dass die notwendigen Maßnahmen im laufenden Betrieb umgesetzt werden könnten. Reaktorsicherheitsexperten halten das für fragwürdig.

Ministerien empfehlen Laufzeitverlängerung nicht

Der zweite relevante Punkt sind die Brennelemente – auf diesen verweist auch Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Ablehnung längerer AKW-Laufzeiten. Bundesumweltministerium und Bundeswirtschaftsministerium waren bei ihren Prüfungen im März zu dem Schluss gekommen, dass die Brennelemente in den Anlagen bis Ende 2022 „weitgehend“ aufgebraucht sind. Es gebe zwar die Möglichkeit eines „Streckbetriebs“: Würden die Atomkraftwerke beispielsweise im Sommer 2022 abgeschaltet, könnten die Meiler 2023 noch etwa 80 Tage länger laufen als geplant. Die beiden Ministerien kamen aber zu dem Schluss, dass eine Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke „nur einen sehr begrenzten Beitrag zur Sicherheit der Stromversorgung in Deutschland leisten könnte, und dies zu sehr hohen wirtschaftlichen Kosten, verfassungsrechtlichen und sicherheitstechnischen Risiken.“ Die Laufzeitverlängerung sei nicht zu empfehlen.

Der TÜV Süd schreibt dagegen, dass Isar 2 aber bis August 2023 am Netz bleiben könnte. Der Reaktorkern sei so ausgelegt, dass „Reaktivitätsreserven“ für 80 Tage bestünden. Danach könnten die Brennelemente durch Umsetzen zu einem neuen Reaktorkern zusammengesetzt werden, der einen Leistungsbetrieb von drei Monaten möglich macht. So würde insgesamt bis August 2023 eine Strommenge von etwa 5160 Gigawattstunden erzeugt. Würden jetzt rechtzeitig neue Brennelemente bestellt, könnte Isar 2 sogar über diesen Zeitpunkt hinaus am Netz bleiben, so der TÜV. Er hält zudem ein Wiederhochfahren des Blocks C des stillgelegten Kernkraftwerks in Gundremmingen in Bayern für möglich.

Die Bundesregierung bleibt bei ihrer Haltung

Doch ist das alles eine realistische Option? Im Bundesumweltministerium betont man, es habe sich an der Einschätzung nichts geändert. Es verweist auch auf die rechtlichen Schwierigkeiten. Schon für den „Streckbetrieb“ sei ein Gesetz zur Aufhebung der Laufzeitbegrenzung erforderlich. Das Gesetz müsste ebenfalls bestimmen, dass die rechtsverbindliche Erklärung des Betreibers, die Anlage zum Ende 2022 endgültig abzuschalten, aufgehoben wird. Diese Erklärung habe der Betreiber abgegeben, um diese 13 Jahre ohne „Periodische Sicherheitsüberprüfung“ (PSÜ) betreiben zu können. „Eine weitere Verlängerung dieses Zeitraums über die EU-Sicherheitsrichtlinie (10 Jahre) hinaus ist jedoch kaum vertretbar“, heißt es im Ministerium. Eine PSÜ müsste auch vor einer kurzen Laufzeitverlängerung durchgeführt werden.

Experten für Reaktorsicherheit wie die Wiener Wissenschaftlerin Friederike Frieß sagen zudem, dass nach dem Reaktorunfall in Fukushima in der gesamten EU Stresstests bei allen Anlagen durchgeführt wurden. Auch an den deutschen Meilern seien Mängel festgestellt worden, die aber nicht behoben wurden, weil sie ja zeitnah vom Netz gehen sollten. „Wenn die Atomkraftwerke jetzt länger laufen sollen, müssten eigentlich neue Genehmigungen erteilt werden.“

Aus Sicht der Politik handelt es sich bei der Frage der Laufzeitverlängerung um eine Abwägungsfrage. Das Wirtschafts- und Umweltministerium halten den Nutzen des Weiterbetriebs nach wie vor für nicht hoch genug, um die Kosten und Risiken dafür in Kauf zu nehmen. Daran ändert auch die jüngste Debatte nichts.

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