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Extremer Erdbebenschwarm auf Santorin: Zwei Drittel der Einwohner haben die Insel verlassen – Notstand ausgerufen
Gegenwärtig wird die griechische Insel von einem ungewöhnlichen Erdbebenschwarm heimgesucht. Es könnten Vorboten eines großen Erdbebens oder sogar eines Vulkanausbruchs sein.
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Wegen der andauernden Erdbebenserie nordöstlich von Santorin haben mittlerweile zwei Drittel der rund 16.000 Einwohnerinnen und Einwohner die Insel verlassen. Aus Sorge vor Plündereien werden die leeren Gassen der Ortschaften verstärkt von der Polizei kontrolliert, berichtete der Nachrichtensender ERTnews. Am Donnerstag rief das Bürgerschutzministerium für die griechische Insel den Notstand aus.
„Folgen Sie den Anweisungen und Anordnungen der Behörden“, sagte der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis einmal mehr nach einer Krisensitzung mit Fachleuten. Starke Einheiten der Feuerwehr, des Zivilschutzes und anderer Behörden seien bereits auf Santorin und den umliegenden Inseln im Einsatz.
Trotz der zahlreichen, teils starken Beben bat der Ministerpräsident die Menschen, Ruhe zu bewahren. Das gelte besonders im Falle von Flutwellen. „Wenn es einen Tsunami gibt, werden wir nur wenige Minuten haben, uns in Sicherheit zu bringen“. Seismologen hätten eine leicht erhöhte Aktivität der Vulkane im Raum von Santorin festgestellt.
Die Erdbeben dieser Tage stammten jedoch von einem tektonischen Graben im Nordosten der Insel, erklärten die Experten. Zur Dauer des Phänomens könne niemand etwas sagen.
Allein während der Krisensitzung wurden vom Geodynamischen Institut Athen vier Beben bei Santorin registriert, deren Stärken höher als 4 lagen. Es gebe die Gefahr von Erdrutschen, man solle bestimmte Gegenden meiden. Die gelte besonders für den Hafen der Insel.
Erdbeben seit dem 24. Januar
Seit dem 24. Januar hält ein massiver Erdbebenschwarm die Region um die beliebte Ferieninsel in der Ägäis in Atem. Auch in dieser Woche gab es weiterhin Beben im Minuten- bis Viertelstundentakt, zuletzt mit Spitzen-Magnituden von 5,2 am 4. Februar und 5. Februar. Am 29. Januar hatte die seismische Aktivität einen Höhepunkt mit über 21 Beben der Magnitude 4, darunter zwei mit knapp über der Magnitude 5 erreicht. Die Epizentren verschieben sich stetig nordostwärts entlang einer bekannten Störungszone.
Experten sind uneinig
Bereits 1956 verursachte die Störungszone ein Erdbeben der Magnitude 7,6. Es hatte schwere Schäden und einen Tsunami zur Folge. Ein vergleichbares Szenario wäre für die südöstlichen Dodekanes-Inseln (Rhodos, Karpathos, Kos) und Kreta verheerend.
Experten sind sich über die aktuelle Lage allerdings uneinig: Während Efthymios Lekkas von der Universität Athen ein Beben über Magnitude 6 für unwahrscheinlich hält, will Akis Tselentis, ebenfalls Uni Athen, ein schweres Erdbeben der Stärke 6 und mehr mit möglichem Tsunami nicht ausschließen.
Die griechischen Seismologen gehen davon aus, dass das Hauptbeben noch bevorsteht. Erst danach könne man sagen, ob sich die aufgestaute seismische Energie in der Region endgültig entladen habe. Niemand könne mit Sicherheit sagen, ob ein Hauptbeben auch die Stärke 7 und mehr erreichen könnte. Dann wäre mit massiven Schäden zu rechnen.
Ein bedeutender Aspekt des Erdbebenschwarms ist die Rolle von Fluiden (Wasser und Gase), die sich über fünf Kilometer horizontal bewegen. Dies deutet auf eine hydrothermale oder magmatische Ursache hin. Der Ausgangspunkt war der Unterwasservulkan Kolumbos.

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Zwar gehen die Beben nicht direkt auf Magmabewegungen an die Oberfläche zurück, doch könnte verstärkte hydrothermale Aktivität oder das Eindringen von Magma eine Rolle spielen. Die Gefahr durch Hangrutsche infolge der Beben ist hoch, insbesondere an Steilküsten. Ein starkes Beben über Magnitude 6,5 könnte zudem einen Tsunami auslösen.
Spannungen aktivieren zahlreichen Verwerfungen in der Umgebung von Santorin, an denen es dann zu Erdbeben kommt.
Jens Karstens, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR)
Jens Karstens vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR) führt die Erdbeben sowohl auf vulkanische als auch auf tektonische Aktivitäten zurück: „Möglicherweise führen Magmabewegungen im Vulkansystem von Santorin zu Spannungen in der Erdkruste. „Diese Spannungen aktivieren die zahlreichen Verwerfungen in der Umgebung von Santorin, an denen es dann zu Erdbeben kommt.“ Ursache sei also eine Kombination von Prozessen, man spricht von vulkanotektonischen Vorgängen. Auffällig sei, dass das Santorin-System so aktiv sei wie schon lange nicht mehr.
Inzwischen haben Wissenschaftler auch am Vulkan von Santorini Aktivität festgestellt. „Es gibt eine leichte seismisch-vulkanische Erregung“, sagte Geologe Dimitris Papazachos bei einer Krisensitzung des griechischen Bürgerschutzministeriums. Diese seien jedoch nicht ursächlich für die anhaltenden Erdbeben.
Starkes Erdbeben nicht ausgeschlossen
Der Seismologe Marco Bohnhoff vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) sieht drei mögliche Szenarien für die aktuellen Schwarmbeben. Entweder sind sie eine nicht ungewöhnliche seismische Krise, durch Schwächezonen der Erdkruste ausgelöst – und klingen wieder ab. Dabei bewegt sich Magma etwas und füllt die Magmakammern auf: „Das wäre für einen Vulkan nicht ungewöhnlich.“
Die zweite Möglichkeit ist, dass es sich um Magma handelt, das weiter Richtung Meeresboden aufsteigt. Dies könnten dann auch Vorboten einer Unterwasser-Eruption sein, die auch die Meeresoberfläche erreichen könnte. Im Moment liegen die Zentren der Beben allerdings in 8 bis 12 Kilometer Tiefe der Erdkruste, was darauf hindeute, dass sich das Magma nicht kurz unterhalb des Meeresbodens befindet. „Das kann aber durch das Aufreißen von Spalten relativ schnell gehen.“ Für dieses Szenario wären Erdbeben mit einer Magnitude von etwa 5,2 die Obergrenze.
Im dritten Szenario wären die Schwarmbeben Vorboten eines großen Bebens, wie die beiden von 1956 mit Magnituden über 7. „Eines dieser Beben fand vermutlich in der oberen Erdkruste statt, wo sich die jetzt aktive Schwächezone bei einem großen Beben um mehrere Meter verschoben hatte“, erklärt der Seimsologe Bohnhoff. Der lokal begrenzte Tsunami damals erreichte an der nordöstlich gelegenen Insel Amorgos zwischen 20 und 30 Meter Höhe.
„Ob die aktuellen Beben Vorboten eines solchen großen Erdbebens sind, kann niemand sagen.“ Dass die gleiche Zone wie 1956 aktiviert wird, hält Bohnhoff aber für eher unwahrscheinlich. Die Deformationsraten an dieser Schwächezone liegen bei wenigen Millimetern pro Jahr: Das bedeute, dass sich seit damals höchstwahrscheinlich nicht wieder genügend Energie für eine starke Entladung angesammelt hat.
„Das heißt aber nicht, dass es dort nicht noch unbekannte Verwerfungen gibt, an denen sich ein solch starkes Erdbeben ereignen könnte“. Viele große Beben haben keine Vorboten: „Deshalb kann man sie nie ganz ausschließen, auch wenn Schwarmbeben wie jetzt keine eindeutigen Vorboten eines starken Ereignisses sind“, erklärt der Seismologe.
Wird ein Unterseevulkan aktiviert?
Der Erdbebenschwarm könnte auch mit vulkanischer Aktivität in Verbindung stehen, allerdings sind auch dazu die Expertenmeinungen uneinheitlich. Sorgen bereitet den Wissenschaftlern, dass durch die andauernden Beben der Vulkan Kolumbos aktiviert werden könnte, der nordöstlich der Insel unter Wasser liegt. Er hatte im Jahr 1650 bei einer gewaltigen Eruption schwere Schäden im gesamten östlichen Mittelmeer angerichtet.

© picture alliance/dpa/ZUMA Press Wire Service/New Zealand High Commission
Die aktuelle seismische Aktivität begann in der Nähe von Kolumbos. Akis Tselentis schließt nicht aus, dass der Erdbebenschwarm der Vorbote einer Eruption sein könnte. Das sieht GFZ-Forscher Bohnhoff ähnlich. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt etwas weiter nordöstlich von Kolumbos, wo am Meeresboden Fluide austreten. Dort befindet sich auch eine Schwächezone.
Es sei zwar nicht bekannt, ob dort in jüngster Zeit Magma ausgetreten ist. „Dennoch können es zu submarinen Vulkanausbrüchen und zur Bildung neuer kleiner Vulkane kommen“, so Bohnhoff. Kolumbos war zuletzt vor 370 Jahren ausgebrochen, kam über die Meeresoberfläche, sackte dann aber wieder ab und liegt heute 10 bis 15 Meter unter der Meeresoberfläche.
Solche Eruptionen können wie auch Erdbeben und Hangrutschungen unter Wasser Tsunamis auslösen. Ein Mega-Tsunami wie 2004 auf Sumatra oder 2011 in Japan erwartet Bohnhoff in der Schwächezone von Kolumbos zwar nicht. „Das wäre dort eher ein lokales Ereignis.“ Allerdings könnte es südlich von Kreta zu einem sogenannten Subduktionsbeben kommen, bei dem sich eine tektonische Platte unter eine andere schiebt: „Das könnte dann tatsächlich zu einem großen Tsunami in der gesamten Ägäis führen.“
Auch Urlauber betroffen
Unabhängig von der Ursache bleibt die aktuelle Gefährdung in der Ägäis signifikant: Die Störungszone stellt ein bekanntes tektonisches Risiko dar, das in der Vergangenheit bereits zu schweren Erdbeben geführt hat. Den Anwohnern der Region wurde von den Behörden empfohlen, sich in Sicherheit zu bringen.
Aber auch Reisende sind betroffen. „Touristen, die in den nächsten Wochen eine Reise nach Santorini planen, wird dringend geraten, darauf zu verzichten“, schreibt der Geowissenschaftler Jens Skapski vom Thüringer Seismologischen Netzwerk an der Universität Jena auf der Plattform erdbebennews.de.
Auch Eleonora Rivalta, Geoforscherin am GFZ und an der Universität Bologna, hält die aktuelle Erdbebenserie für besorgniserregend: ‚Auch wenn solche Schwärme für die Region ,normal‘ sind, heißt das nicht, dass sie ungefährlich sind“. Vor allem die Warnungen vor möglichen Tsunamis und Erdrutschen an steilen Hängen sollten ernst genommen werden: „Erdbeben können solche sekundären Gefahren auslösen.“
Es gibt aber auch Experten, die die Gefahr geringer einschätzen: Geophysiker Christian Berndt vom Geomar warnt vor Panikmache. Erdbebenschwärme kämen in der Region durchaus häufiger vor, und in den meisten Fällen passiere dann nichts Großes. „Insofern ist das kein direktes Anzeichen dafür, dass jetzt ein großes Erdbeben kommt.“
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