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Der Norwegische Lemming ist der Newcomer unter den Nagetieren.

© Love Dalén

Lemming, nicht lebensmüde: Newcomer unter den Nagetieren

Bekannt sind Lemminge für angebliche Massenselbstmorde. Die begehen sie aber nicht, nie. Die Tiere erweisen sich evolutiv vielmehr als besonders lebendig.

Patrick Eickemeier
Eine Kolumne von Patrick Eickemeier

Stand:

Es war eine grausame Szene im Doku-Drama „Weiße Wildnis“ von Walt Disney. In Kanada stürzten sich Lemminge in einen Fluss, angeblich getrieben vom einem unwiderstehlichen kollektiven Vorwärtsdrang. Den verspüren echte Lemminge durchaus, bisweilen sogar in Massen, und, wie ein Forschungsteam jetzt berichtete, auch in einer „eben erst abgeschlossenen“ Artbildung.

Aber für den Film wurde die Szene inszeniert – ein Tiefpunkt des Naturfilms. Gerade weil die dramatische Übertreibung verfing und Generationen von Menschen den Lemming für mindestens suizidgefährdet hielten. Ein wahrer Kern der Disney-Mär ist, dass Lemminge sich unter günstigen Bedingungen sehr stark vermehren können. Und bisweilen ziehen viele gleichzeitig los, um neue Lebensräume zu finden.

In moderneren Filmdokumentationen haben Lemminge meist einen neuen Part: Futter. Polarfüchse oder Greifvögel erbeuten sie. Dabei könnten Lemminge auch als hoch aktuelles Musterbeispiel für die Evolution dienen.

Wahrscheinlich hat die Massenmobilität der Lemminge dazu beigetragen, dass sie heute so weit verbreitet sind und praktisch in der gesamten Arktis vorkommen. Das heißt aber nicht, dass alle einer Art angehören. Vielmehr tragen die großen Distanzen dazu bei, dass die Artenvielfalt der Tiere zunimmt.

Die Forschenden haben auch Erbgut aus Knochen zweier ausgestorbener Lemmingarten untersucht.

© Vendela K. Lagerholm

Forschende der Universität Stockholm haben jetzt per Genanalyse eine überraschende Wendung in der Evolutionsgeschichte des Norwegischen Lemmings aufgedeckt. Lemmus lemmus, so der wissenschaftliche Name, ist eine der jüngsten Säugetierarten. Wie das Team in der Fachzeitschrift „PNAS“ berichtete, hat sich der Norwegische Lemming vor etwa 35.000 Jahren als eigenständige Art von seinem nächsten Verwandten, dem Westsibirischen Lemming, abgespalten.

Nichts deutet darauf hin, dass es Familienstreitigkeiten waren, die die Lemminge entzweiten. Aber wir wissen, dass das Klima damals, kurz vor dem Höhepunkt der letzten Eiszeit, frostig war und dass es seither nicht mehr zu Paarungen zwischen den Arten kam.

Vielmehr haben sich bei den norwegischen Vertretern der Gattung Eigenheiten herausgebildet. Die Forschenden fanden Hunderte von Mutationen, die nur bei ihnen vorkommen. Die betroffenen Gene sind an der besonderen schwarz-gelben Fellfarbe und am Fettstoffwechsel beteiligt – und möglicherweise sogar am Verhalten. „Hang zu Massenselbstmord“ gehört nicht dazu.

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