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Eine Amisch-Familie in einer Pferdekutsche.

© Imago/Dreamstime

Wenn die Cousine mit dem Cousin: Inzucht ist riskant, aber mitunter auch von Vorteil

Wenn immer wieder die gleichen Gene aufeinandertreffen, dann steigt die Wahrscheinlichkeit für Erbkrankheiten. Überraschend kann Inzucht aber auch positive Effekte haben.

Sascha Karberg
Eine Kolumne von Sascha Karberg

Stand:

Was passiert, wenn eine Gruppe von Menschen beschließt, ab sofort nur noch untereinander zu heiraten und Nachkommen zu zeugen?

Dieses – freiwillige – Experiment praktizieren etwa 100 deutschsprachige Familien seit nunmehr 15 Generationen. Es sind die Nachfahren von einst als Ketzer verfolgten Flüchtlingsfamilien aus der Pfalz, dem Elsass, Baden und der Schweiz.

1737 ließen sich 500 „Amisch Leit“ im Lancaster County Pennsylvanias nieder und halten sich seitdem an die „Ordnung“ – jenes Regelwerk ihrer Glaubensgemeinschaft, das Ehen mit allen Nicht-Amischen, „den Englischen“, verbietet.

Die Folgen kennen Genforscher schon lange: In Millionenstädten wie New York ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass ein Kind eine krankmachende oder lebensbedrohliche Genmutation sowohl vom Vater als auch der Mutter vererbt bekommt. Meist gibt ein Elternteil eine intakte Genvariante weiter, die den vom anderen Elternteil geerbten Gendefekt ausgleicht.

In isolierten oder sich selbst isolierenden Gruppen hingegen ist das Risiko hoch, dass zwei krankmachende Genvarianten aufeinandertreffen. Erbkrankheiten, die normalerweise sehr selten sind, treten daher bei den Amischen häufiger auf.

Männer der Amischen im Gespräch: Die „Amisch-Leit“ sprechen untereinander noch immer deutsch – allerdings einen pfälzischen, elsässischen oder berndeutschen Dialekt.

© dpa/EPA/Matthew Cavanaugh

Allerdings gilt der gleiche Effekt auch für positive Genmutationen. Zum Beispiel lebten einer Studie zufolge jene Amischen im Schnitt zehn Jahre länger, die zwei Kopien von einer Variante des Gens Serpine1 in sich trugen. Außerdem entwickelten sie seltener Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Ähnliche unfreiwillige Experimente gibt es auch in der Natur. Das zeigen Untersuchungen an einer Rentierherde aus 20.000 Tieren auf Spitzbergen. Sie geht auf eine Handvoll Rentiere zurück, die vor etwa 7000 Jahren auf die norwegischen Inseln gelangten. Wie die Amischen pflanzte sich auch diese isolierte „Gründerpopulation“ nur untereinander fort. Die immer gleichen Genvarianten trafen aufeinander und lösten die erhöhte Rate von Erberkrankungen und Unfruchtbarkeit aus.

Älter werden dank Inzucht?

Überraschend hatte diese Inzucht langfristig aber auch Vorteile. Nicolas Dussex von der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie stellte bei den Rentieren fest, dass die schädlichen Mutationen offenbar aus dem Genpool verschwanden. Denn die von den Mutationen doppelt betroffenen Tiere pflanzten sich nicht so häufig fort, weshalb die schädlichen Gene seltener weitergegeben werden.

Ähnliches zeigten Untersuchungen der Kakapo-Papageien auf Neuseeland, bei denen bestimmte schädliche Mutationen nach langer Isolation und Inzucht verschwanden.

Als Aufruf, jetzt doch die Cousine zu heiraten, ist das allerdings nicht zu verstehen. Denn was nützt einem der langfristige Effekt, wenn die eigenen Kinder ein erhöhtes Risiko haben, zu erkranken?

Wenn überhaupt, dann könnte man sich bei den Amischen vielleicht deren Umgang mit dem Smartphone abschauen. Obwohl sie die Technik offiziell ablehnen, haben die meisten Familien dennoch eines im Haus. Aber wenn es beim Essen oder Festen klingelt, wird es ignoriert.

Was wir zum Leben mitbekommen und was wir weitergeben – jedes Wochenende Geschichten rund um Gene und mehr in der „Erbonkel“-Kolumne.

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