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Für den Winterschlaf der Großen Abendsegler scheint die Biophysik der roten Blutzellen ein wichtiger Faktor zu sein.

© Christian Giese

Winterschlaf für Astronauten?: Fledermaus-Studie offenbart Überraschung

Könnte der Mensch in einen Kälteschlaf versetzt werden, um lange Raumreisen zu überbrücken? Forscher untersuchen Fledermäuse – und entdecken Parallelen zu Menschen.

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Von ihrem Ausflug an die Universität Greifswald bekommen die Großen Abendsegler nicht viel mit. Gerald Kerth und sein Team holen die Fledermäuse der Art Nyctalus noctula morgens aus ihren Schlafkästen in den Bäumen und bringen sie mit dem Fahrrad ins Labor für Biophysik.

Dort wird den Tieren Blut abgenommen und schon geht es zurück in den Wald. Über die Untersuchungen an den roten Blutkörperchen der Tiere berichtet das Team nun in der Fachzeitschrift „PNAS“.

Leben auf Sparflamme

Sie liefern auch erste Hinweise darauf, wie Menschen eines Tages in einen ähnlichen energiesparenden Tiefschlaf versetzt werden könnten, zum Beispiel auf mehrjährigen Weltraummissionen.

Im Winterschlaf kühlen Fledermäuse daher oft bis auf zehn Grad Celsius ab, Murmeltiere erreichen sogar Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt.

Walter Arnold, Veterinärmedizinische Universität Wien 

„Das ist aber nicht mehr als Science-Fiction, von solchen Möglichkeiten sind wir noch meilenweit entfernt“, betont Walter Arnold von der Veterinärmedizinischen Universität Wien.

Der Biologe erforscht dort die Anpassungen von Organismen an die Energiesparmaßnahme Winterschlaf. „Das Blut ist ja nur einer von einer ganzen Reihe wichtiger Faktoren“, erklärt Arnold.

Die Studie der Greifswalder Verhaltensbiologen mit Biophysikern sei ein gutes Beispiel für interdisziplinäre Forschung. „Bisher stand bei zellulären Vorgängen oft vor allem die Biochemie im Vordergrund“, erklärt Erstautor Bob Fregin. „Dabei spielen mechanische Vorgänge häufig ebenfalls sehr wichtige Rollen.“

„Im Winterschlaf laufe der Stoffwechsel der Großen Abendsegler auf Sparflamme“, erklärt Walter Arnold. Mit großem Abstand die meiste Energie koste es Säugetiere wie Fledermäuse und auch Menschen, ihre hohe Körpertemperatur aufrecht zu halten.

„Im Winterschlaf kühlen Fledermäuse daher oft bis auf zehn Grad Celsius ab, Murmeltiere erreichen sogar Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt“, berichtet Arnold.

Das Team um Fregin hat untersucht, wie elastisch und wie zähflüssig die roten Blutkörperchen von Abendseglern, Nil-Flughunden und Menschen bei normalen Körpertemperaturen von 37 Grad Celsius und bei abgekühlten 23 Grad Celsius, sowie bei Winterschlaftemperaturen von zehn Grad Celsius sind.

Überraschende Entdeckung

Eigentlich hätte man erwarten können, dass die Fledermauszellen in der Kälte flexibler werden, um besser durch die enger werdenden Gefäße fließen zu können.

Die Messungen zeigten jedoch das Gegenteil, die roten Blutkörperchen werden härter und steifer. „So recht haben wir für dieses Phänomen noch keine Erklärung“, sagt Fregin.

„Vielleicht spielen die bei tieferen Temperaturen langsameren Vorgänge im Stoffwechsel eine Rolle“, vermutet der Biophysiker. In der Lunge könnte das langsamer fließende Blut mehr Zeit haben, mit Sauerstoff beladen zu werden.

Die Möglichkeit des Winterschlafs könnte daher in allen diesen Arten angelegt sein, wird aber in den Nil-Flughunden und in Menschen nicht verwirklicht.

Gerald Kerth , Universität Greifswald

Die menschlichen Zellen verhielten sich bei tiefen Temperaturen ähnlich wie die roten Blutkörperchen der beiden Fledermaus-Arten.

„Die Möglichkeit des Winterschlafs könnte daher in allen diesen Arten angelegt sein, wird aber in den Nil-Flughunden und in Menschen nicht verwirklicht“, vermutet Kerth.

Umbauten in der Zellmembran

Es zeigte sich aber auch ein deutlicher Unterschied zwischen den menschlichen und den tierischen Zellen: in der Geschwindigkeit mit der sie auf eine mechanische Belastung reagierten.

„Während die Viskoelastizität bei sinkenden Temperaturen bei den roten Blutkörperchen beider Fledermaus-Arten steigt, nimmt sie bei den Zellen von Menschen sogar leicht ab“, sagt Fregin.

Die Zellen der Tiere reagieren in der Kälte also deutlich langsamer auf Druck. Das wiederum könnte ein Hinweis darauf sein, dass die roten Blutkörperchen von Menschen nicht so gut an einen Winterspar-Energiesparmodus angepasst sind wie die Zellen der Fledermäuse.

Da die gemessenen Reaktionen sofort erfolgen, bleibt keine Zeit für Umbauten in der Zellmembran. Biochemische Anpassungen an verschiedene Temperaturen spielen wahrscheinlich kaum eine Rolle, die Biophysik scheint der entscheidende Faktor zu sein.

Schlüssel zur Kälteanpassung

Auch in Muskeln spielen Zellmembranen eine wichtige Rolle, erklärt Arnold: „Die Zusammensetzung der Membran ist wichtig für die Reaktionsfähigkeit des Enzyms SERCA, das für Bewegungen entscheidend ist.“

Es pumpt Kalzium-Ionen zurück in die Speichergefäße, aus denen sie zuvor herausgeströmt sind und so die Muskelaktivität ausgelöst haben.

Das muss blitzschnell geschehen, damit sich zum Beispiel der Herzmuskel eines Großen Abendseglers bei seinem rasanten Flug 900 Mal pro Minute zusammenziehen und wieder entspannen kann.

Besteht die Zellmembran, in der die SERCA-Enzyme sitzen, überwiegend aus mehrfach ungesättigten Fettsäuren, können diese die bei niedrigen Temperaturen langsameren Enzyme wieder beschleunigen.

Da solche ungesättigten Fettsäuren über die Nahrung aufgenommen werden, lässt sich dieser Vorgang vermutlich leicht beeinflussen.

Dieser Mechanismus könnte einer von vielen sein, mit denen sich Organismen an den Winterschlaf anpassen. Bis diese Energiesparmaßnahme beim Menschen funktioniert und ein langer Weltraumflug im Tiefschlaf möglich wird, ist noch viel Forschung nötig.

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