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Mehr Angst, mehr Einsamkeit, mehr Social Media: Kinder und Jugendliche leiden unter den globalen Krisen
Kinder und Jugendliche in Deutschland leiden verstärkt unter globalen Krisen, zeigt eine neue Studie. Sozial benachteiligte Gruppen sind besonders betroffen. Doch Experten sehen auch Lösungen.
Stand:
Sorgen und Zukunftsängste haben bei Kindern und Jugendlichen in diesem Jahr deutlich zugenommen. Zu diesem Ergebnis kommt die am Mittwoch veröffentlichte Copsy-Längsschnittstudie zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Zeiten globaler Krisen. „Diese Belastungen treffen sie in einer besonders empfindlichen Entwicklungsphase“, so die Autorinnen und Autoren. Befragt worden waren Kinder und Jugendliche im Alter von 7 bis 22 Jahren und deren Eltern.
Eine wesentliche Erkenntnis der Studienautoren: Die Werte für eingeschränkte Lebensqualität, psychische Auffälligkeiten und Angstsymptome liegen zwar wieder unter dem Höchstwert von 48 Prozent während der Pandemie, befinden sich allerdings noch immer etwa fünf Prozent über dem Niveau der Jahre davor. Zwischen 2014 und 2017 lag der Wert bei 15 bis 18 Prozent.
Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen hat sich nach Corona auf einem schlechteren Niveau stabilisiert als vorher.
Ulrike Ravens-Sieberer, Leiterin der Copsy-Studie
„Das ist ein signifikanter Unterschied“, sagte die Leiterin der Copsy-Studie, Ulrike Ravens-Sieberer, am Mittwoch zur Vorstellung der Ergebnisse. Hochgerechnet auf die Schülerzahlen gehe es um rund 400.000 Kinder, denen es schlechter gehe. In einer Schulkasse mit 25 Schülerinnen und Schülern hätten nun fünf Kinder psychische Probleme mit Klärungsbedarf. „Das ist eine substanziell hohe Zahl“, so die Forschungsdirektorin des UKE. „Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen hat sich nach Corona auf einem schlechteren Niveau stabilisiert als vorher.“
Ängste signifikant erhöht
Die Angst vor Kriegen, Terrorismus, Wirtschaftskrisen und Klimakrise hat sich zwischen 2023 und 2024 signifikant erhöht, zeigt die Studie. Die Angst vor Kriegen stieg von 56 auf 72 Prozent, vor Terrorismus von 57 auf 70 Prozent, vor Wirtschaftskrisen von 48 auf 62 Prozent und vor der Klimakrise von 48 auf 57 Prozent. Das Risiko für psychische Belastungen durch krisenbedingte Zukunftsängste habe sich verdoppelt bis verdreifacht. Bei Kindern mit Sorgen sei das Risiko für psychische Auffälligkeit dreifach erhöht, so die Studien-Autor:innen.
Von der Initiative „The Lancet Psychiatry Commission on Youth Mental Health“ war die Situation der jungen Menschen bereits in diesem Sommer als globale Krise bezeichnet worden. Die Copsy-Studie des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) bestätigt dies nun.
Das Risiko für eine schlechtere Lebensqualität stieg der Copsy-Studie zufolge zwischen 2023 und 2024 um das 1,8-fache, die Wahrscheinlichkeit für psychische Auffälligkeiten um das Zweifache und das Risiko für depressive Symptome um das 2,4-fache. Die Wahrscheinlichkeit für Angststörungen war dreimal höher als im Vorjahr.
Eine Rolle spielt dabei auch die soziale Herkunft: Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund, mit bildungsfernen oder psychisch kranken Eltern sowie Jugendliche, die in beengten Wohnverhältnissen leben, haben ein 1,9- bis 2,7-fach erhöhtes Risiko, wie Studienautorin Anne Kaman vom UKE erklärte.
Eine Krise nach der anderen
Studienleiterin Ulrike Ravens-Sieberer sagte, dass die dichte Folge von Krisen wie Klimawandel, Pandemie und Kriege die Gesundheit junger Menschen verschlechtert hätten. „Sie haben eine Krise erlebt und die nächste folgt ohne Erholungszeit.“ Durch die intensive Nutzung sozialer Medien würden die Informationen über diese Krisen die Kinder und Jugendlichen nahezu ungefiltert erreichen. Hinzu kommen Ausgrenzung und Mobbing über digitale Medien. „Auch das hat einen großen Einfluss auf die Gesundheit.“
32 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen gaben in der Copsy-Studie an, sich häufig durch Inhalte in sozialen Medien belastet zu fühlen. 21 Prozent erlebten in sozialen Medien Ausgrenzung und Abwertung, 23 Prozent gaben an, dass ihnen die Nutzung sozialer Medien insgesamt nicht guttue. Rund 40 Prozent der Kinder nutzen digitale Medien mindestens vier Stunden täglich.
Kinder stark machen
Aufgrund der belasteten Gesundheit junger Menschen halten die Autorinnen und Autoren Präventionsprogramme für wichtig. Diese sollten soziale Kompetenzen stärken, Medienkompetenz fördern und die psychische Gesundheit in den Mittelpunkt stellen. Insbesondere sozial benachteiligte Gruppen bräuchten Unterstützung, hieß es.
Die Forschenden fanden heraus, dass es bestimmte Eigenschaften und Umstände gibt, die Kinder stark machen. Dazu gehören zum Beispiel Optimismus, Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit, gemeinsame Zeit mit der Familie und soziale Unterstützung von außen, erklärte Studienautorin Anne Kaman vom UKE.
„Wenn Kinder selbst auf ihre Gefühle eingehen und Einfluss nehmen können, also eine hohe Selbstwirksamkeitskompetenz haben, dann schützt das vor psychischen Belastungen“, so die Studienleiterin. In diese Fähigkeiten der Kinder müsse daher intensiv investiert werden, in den Schulen, aber auch in den Familien. „Wir müssen Kinder resilient machen, dann schützt sie das vor seelischer Belastung. Gesundheit und Bildung müssen verknüpft werden, dafür braucht es eine Strategie.“
So sieht es auch Marcel Romanos, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Würzburg, der nicht an der Studie beteiligt war. Romanos sieht einen sehr großen Nachholbedarf in der Versorgung und Prävention von psychischen Erkrankungen. Allerdings gebe es in vielen Regionen Versorgungsengpässe.
„Wie können wir den vielen Kindern gerecht werden, die Hilfe brauchen?“, fragt er Jugendpsychiater. „Viele schwer belastete Kinder, die suizidgefährdet sind, brauchen intensive Therapien.“ Er fordert daher übergeordnete Strukturen, um effektive Programme umsetzen zu können. „Dazu braucht es eine nationale Strategie und eine Refinanzierung der Forschung.“
Zur Frage, wie man die jungen Menschen belastbarer machen kann, empfiehlt Romanos konkrete Übungen. Resilienz und Selbstwirksamkeit könnten trainiert werden, indem beispielsweise in Schulen entsprechende Erlebnisse geschaffen und Erfahrungen vermittelt werden. „Etwa durch Rollenspiele, die zeigen, wie man mit Problemen umgehen kann, wie andere helfen können, an wen man sich wenden kann.“ Hinzu kämen Strategien der Emotionsregulation: Die eigenen Gefühle erkennen und moderieren zu können, das müsse trainiert werden.
Folgen der Pandemie
Die Covid-19-Pandemie als globale Krise habe viele junge Menschen in den vergangenen Jahren stark geprägt und für globale Themen sensibilisiert, so die Autoren: „Die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit waren erheblich.“
Zu Beginn der Pandemie waren die psychische Belastung und die Einschränkung der Lebensqualität demnach am höchsten. Ab 2022 habe es leichte Verbesserungen gegeben. Im Jahr 2024 lagen die Werte für psychische Auffälligkeiten (22 Prozent) und Ängste (23 Prozent) aber immer noch rund fünf Prozentpunkte über dem Niveau vor Corona.
Bei den depressiven Symptomen gab es laut Studie immerhin eine leichte Verbesserung. Vor der Pandemie gaben zehn Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen an, depressive Symptome zu haben. Während der Coronazeit stieg dieser Wert auf einen Spitzenwert von 24 Prozent (2020/21) und sank bis 2024 dann wieder auf neun Prozent.
Das Gefühl der Einsamkeit junger Menschen blieb mit 21 Prozent im Jahr 2024 hoch. Vor der Pandemie (2014–2017) gaben 14 Prozent der Befragten an, sich in der letzten Woche einsam gefühlt zu haben. Während der Pandemie war hier ein Höchstwert von 39 Prozent (2020/21) erreicht worden.
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