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Berlin2030 – Christoph Langhof

© Gestaltung: Tagesspiegel/Langhof GmbH

Architekt Langhofs Vision für Berlin 2030: „Bestehende Planungsregeln reformieren, und zwar disruptiv“

Tempelhofer Feld, Messegelände und Hardenbergplatz sollten als Reallabore genutzt werden, um innovative Konzepte auszuprobieren. Vier Schritte zu einer besseren Zukunft der Stadtentwicklung.

Christoph Langhof
Ein Gastbeitrag von Christoph Langhof

Stand:

Eine Stadt und ihre Gesellschaft ruhen stets auf zwei tragenden Säulen: der Tradition und der Innovation. Die eine verkörpert das Bewahren, die andere das Fortschreiten, die eine steht für die Vergangenheit, die andere für die Zukunft. Diese beiden Pole sollten in einer ausgewogenen Balance zueinanderstehen, ein dynamisches Gleichgewicht bilden, das nicht nur die Stadt stabilisiert, sondern auch als Quelle ihrer Vitalität dient.

Wenn Tradition und Innovation harmonisch ineinandergreifen, entfaltet sich eine inspirierende Wechselwirkung: Das Alte gibt dem Neuen eine solide Basis, während das Neue frische Impulse setzt und weiterentwickelt, was bereits besteht. In einer solchen Konstellation wird eins plus eins nicht bloß zwei, sondern weit mehr. Doch ist dieses Gleichgewicht gestört, wenn etwa das Alte das Neue erstickt oder das Neue das Alte verdrängt, gerät die Stadt ins Straucheln. Berlin, so scheint es, hinkt in genau diesem Sinne: Die Gewichte sind ungleich verteilt.

Das „Neue“ kommt zu kurz

In Berlin ist das Gleichgewicht zwischen Vergangenheit und Zukunft aus den Fugen geraten. Obwohl die Stadt in ihrer DNA stets von Aufbruch, Wandel und Erneuerung geprägt war, verharren wir heute zu oft im Blick zurück, statt mutig nach vorne zu schreiten. Das Festhalten am Bestehenden blockiert Innovationen, und das „Neue“ hat es schwer, sich durchzusetzen.

Diese Zurückhaltung zeigt sich besonders deutlich in der Stadtentwicklung. Unsere Planungsinstrumente sind primär auf Bewahrung ausgerichtet: „Sanierungsgebiete“, „Milieuschutzgebiete“ und „Denkmalschutzgebiete“ dominieren das Stadtbild. Sie dienen zweifellos wichtigen Zwecken, doch fehlt ein entscheidendes Gegengewicht: Wo gibt es Orte, an denen das Neue geschützt und gefördert wird? Wo entstehen die Lösungen für die großen Herausforderungen des städtischen Zusammenlebens in einer sich rasant verändernden Welt?

Berlin braucht neue Entwicklungszonen, die sich gezielt der Zukunft widmen. Daher schlage ich vor, Sonderentwicklungsgebiete auszuweisen – Räume, in denen innovative Konzepte nicht nur gedacht, sondern auch umgesetzt werden. In diesen Arealen soll nicht bloß debattiert, sondern experimentiert, erprobt und realisiert werden.

Dafür könnten gezielt Bereiche wie der Hardenbergplatz und Umgebung, die Lietzenburger Straße bis zur Urania, das Messegelände samt ICC sowie das Tempelhofer Feld als Sonderzonen definiert werden. Hier würden sie als Reallabore fungieren – als Pionierräume, in denen neue Modelle des Bauens, Wohnens und Zusammenlebens entstehen, getestet und verfeinert werden.

Ein Katalysator für die Zukunft

Um diese Vision zu verwirklichen, müssen für diese Sonderentwicklungsgebiete bestehende Planungsregeln reformiert werden, und zwar disruptiv und nicht inkrementell. Regeln sind kein Selbstzweck – sie müssen sich an den Zielen orientieren, die sie ermöglichen sollen. Eine grundlegende Entschlackung und Erneuerung des Planungs- und Baurechts wäre daher der erste Schritt. Berlin verfügt über exzellente Experten auf diesem Gebiet, die bestehende Regelwerke radikal vereinfachen könnten – ganz im Sinne von „reduce to the max“.

Auf dieser Basis sollen dann in den Sondergebieten konkrete Lösungsansätze für die großen Herausforderungen unserer Zeit entwickelt und umgesetzt werden. Dazu gehören etwa:

  • Sicherheit und Wehrhaftigkeit im öffentlichen Raum: Wie gestalten wir eine Stadt, die sich sicher anfühlt, ohne in eine restriktive Überwachungsgesellschaft abzudriften?
  • Geschützter Wohnraum in der vernetzten Welt: Welche neuen Wohnformen entstehen im Zeitalter digitaler Vernetzung und zunehmender Urbanisierung?
  • Materialien der Zukunft und biobasierte Architektur: Welche Werkstoffe können nachhaltiges Bauen revolutionieren?
  • Städtebau für eine alternde Gesellschaft: Wie passen wir unsere Stadt an die Bedürfnisse einer immer älter werdenden Bevölkerung an?
  • Inklusives Wachstum und Equitismus in der Stadtentwicklung: Wie gelingt soziale Gerechtigkeit in der Stadtentwicklung?
  • Transformation zur CO₂-freien Stadt: Welche radikalen Schritte braucht es, um Berlin klimaneutral und hitzeresilient zu machen?
  • KI im Städtebau: Wie können künstliche Intelligenz und digitale Simulationen Planungsprozesse revolutionieren?
  • Schönheit als Prinzip des Städtebaus: Welche Rolle spielt ästhetische Qualität für das Wohlbefinden einer Stadtgesellschaft?
  • Wohnen und Arbeiten im Hochhaus: Welche neuen Konzepte braucht es für vertikale Urbanität?

Fazit: Reallabore, ein Modell für Berlin – und darüber hinaus.

Die zentrale Frage bleibt: Wie schaffen wir das Neue?

Dafür braucht es vier entscheidende Schritte:

  1. Sonderentwicklungsgebiete ausweisen, in denen alternative, flexiblere und zeitgemäße „Spielregeln“ gelten.
  2. Lösungen für die großen Herausforderungen der Stadtentwicklung entwickeln und umsetzen – mit maximaler Experimentierfreude und Innovationskraft.
  3. Transparenz und Partizipation durch digitale Zwillinge: Virtuelle Modelle können den Menschen eine greifbare Vorstellung von neuen Ideen vermitteln und so Akzeptanz fördern.
  4. Reallabore schaffen, in denen die neuen Konzepte realisiert, getestet und weiterentwickelt werden. Denn nur, was in der Praxis funktioniert, kann als Blaupause für die gesamte Stadt dienen.

Es geht nicht darum, das gesamte bestehende System infrage zu stellen oder gar aufzulösen. Vielmehr sollen diese Sondergebiete als Schmieden der Zukunft dienen, in denen ein neuer Kurs in der Stadtentwicklung ausprobiert werden kann – mit dem Ziel, erfolgreiche Ansätze später auf die gesamte Stadt auszurollen.

Angelehnt an Albert Einsteins berühmte Worte könnte sodann das neue Berliner Mindset lauten: „Wir beschäftigen uns mit der Zukunft – denn wir beabsichtigen in ihr zu leben.“

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