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Beratungsstelle Maneo veröffentlicht Report: 738 queerfeindliche Angriffe in Berlin registriert – neuer Höchststand
Körperverletzungen, Beleidigungen, aber auch Angriffe auf Einrichtungen und Gedenkorte: Noch nie hat die Opferberatungsstelle Maneo in Berlin so viele queerfeindliche Vorfälle wie im vergangenen Jahr gezählt.
Stand:
Drei Männer greifen im Juni 2024 einen 25-Jährigen und einen 29-Jährigen im Volkspark Friedrichshain an, weil die beiden schwulen Männer sich zuvor geküsst hatten. Die Täter schlagen und treten auf ihre Opfer ein; erst nach einer Weile können die beiden ihren Angreifern entkommen.
Ein paar Wochen zuvor beleidigt eine sechsköpfige Gruppe in einer Parkanlage in Berlin-Staaken zwei Jugendliche – 17 und 18 Jahre alt – queerfeindlich. Als einer von ihnen ein Video machen will, werden beide mit Pfefferspray attackiert und dem 18-Jährigen ins Gesicht geschlagen. Sie kommen ins Krankenhaus.
Im August verabreden sich vier junge Männer über eine Online-Datingplattform mit einem 57-Jährigen am U-Bahnhof Jungfernheide in Charlottenburg-Nord. Die Täter greifen den schwulen Mann an, würgen ihn, rauben ihn aus und werfen ihn in den Landwehrkanal. Das schwer verletzte Opfer kann sich selbst retten.
Großes Dunkelfeld
738 explizit queerfeindliche Vorfälle wie diese hat die Opferberatungsstelle Maneo im vergangenen Jahr in Berlin gezählt. Das ist ein Anstieg um acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr (2023: 685), heißt es im am Montag vorgestellten Maneo-Report 2024: „Damit wurde erneut ein Höchststand an dokumentierten Fällen erreicht.“ 2022 waren es 557 Fälle; 2021 527.
Ob es insgesamt einen Anstieg oder Rückgang queerfeindlicher Gewalt in Berlin gebe, lasse sich anhand der dokumentierten Fälle jedoch nicht sagen. Das Dunkelfeld gerade in diesem Bereich sei sehr groß: Maneo schätzt, dass 80 bis 90 Prozent der Vorfälle weder einer Beratungsstelle gemeldet noch auch bei der Polizei angezeigt werden. Opfer hätten Diskriminierung und fehlenden Beistand erfahren und seien skeptisch gegenüber Strafverfolgungsbehörden.
Bei den von dem schwulen Anti-Gewalt-Projekt erfassten Taten handelt es sich zumeist um einfache und gefährliche Körperverletzungen (31 Prozent) sowie Nötigungen und Bedrohungen (26 Prozent) und Beleidigungen (25 Prozent). Ansteigen würden besonders die Fälle sexualisierter Gewalt, hieß es. „Für männliche Betroffene existieren selbst in Berlin kaum spezialisierte Opferhilfeangebote“, kritisiert Maneo.
In vielen Fällen wurden Betroffene erniedrigt, gedemütigt und krankenhausreif geschlagen.
Aus dem Bericht von Maneo
Etwa die Hälfte der Fälle hat die Beratungsstelle, die sich unmittelbar am Schöneberger Nollendorfplatz befindet, detaillierter ausgewertet. Davon ereigneten sich die meisten in Schöneberg (76; 20 Prozent), dicht gefolgt von Neukölln (74; 19 Prozent). „Diese Stadtteile zeichnen sich dadurch aus, dass hier viele LSBTIQ+-Personen wohnen, Szeneorte vorhanden sind und öffentliche Veranstaltungen stattfinden“, so Maneo. Danach folgen Kreuzberg (30; 8 Prozent), Tiergarten (23; 6 Prozent) und Spandau (21; 6 Prozent).
165 der bei Maneo gemeldeten Vorfälle hätten sich auf öffentlichen Straßen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln ereignet. Die Sichtbarkeit lesbischer, schwuler, bisexueller, trans und inter Menschen im öffentlichen Raum „birgt ein hohes Risiko, allein deshalb beleidigt, gedemütigt oder körperlich angegriffen zu werden“, heißt es im Report. Taten passierten jedoch auch im direkten Wohnumfeld sowie an queeren Orten wie Cafés und Clubs.
Täter würden etwa gezielt in solche Safe Spaces eindringen, etwa in Cruising-Gebiete oder Online-Datingportale, in denen sich insbesondere schwule und bisexuelle Männer besonders sicher fühlten. Dort würden die Täter gezielt Jagd auf sie machen. „Sie locken ihre Opfer in Fallen, um sie dort nicht nur auszurauben, sondern ihnen zusätzlich noch schwere Verletzungen zuzufügen, damit ihren Hass ausleben“, schreibt Maneo. „In vielen Fällen wurden Betroffene erniedrigt, gedemütigt und krankenhausreif geschlagen.“
Mehr Angriffe auf queere Orte in Berlin
Besorgniserregend sei zudem der Anstieg von Übergriffen auf queere Einrichtungen und Gedenkorte. 62 solcher Fälle dokumentiert Maneo für 2024, ein Zuwachs von fast 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Einrichtungen wurden mit Eiern, Getränkeflaschen und Steinen beworfen oder mit Anschlägen bedroht, Schaufensterscheiben beschädigt oder eingeschlagen. Auch Gäste wurden verbal bedroht und körperlich angegriffen“, so Maneo.
Wie berichtet, gab es unter anderem Angriffe auf das Schwule Museum in Tiergarten und das queere Restaurant „Hoven“ in Neukölln. Maneo betrachte diese Entwicklung mit großer Sorge, heißt es im Bericht. Die Beratungsstelle fordert vom Senat einen verstärkten Schutz queerer Einrichtungen.
Sorgen bereitet Maneo die zunehmende Bedrohung durch rechtsextremistische Gruppen. Wie berichtet, hatten im vergangenen Jahr 28 junge Männer einer rechten Gruppierung versucht, den CSD zu stören. Sie stehen im Verdacht, Übergriffe auf Teilnehmende geplant zu haben. Zudem würden islamistische Gruppen eine Bedrohung für queere Menschen darstellen.
Erschüttert haben wir im letzten Jahr miterleben müssen, wie jüdische LSBTIQ+ in unserer Stadt massiver Ausgrenzung, Einschüchterung und Bedrohung ausgesetzt waren.
Aus dem Maneo-Report 2024
Im Fokus stünden dabei auch queere Jüdinnen und Juden: „Erschüttert haben wir im letzten Jahr miterleben müssen, wie jüdische LSBTIQ+ in unserer Stadt massiver Ausgrenzung, Einschüchterung und Bedrohung ausgesetzt waren, wie auf Szeneveranstaltungen Sympathien für extremistische Organisationen bekundet, damit Hass und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit praktiziert und glorifiziert wurde“, schreibt Maneo.
Zudem gebe es eine große Anzahl an queerfeindlichen Übergriffen gegen Geflüchtete. Für 2024 zählte die Fachstelle 26 Angriffe gegen schwule Männer, 19 gegen trans Personen und drei gegen lesbische Frauen. Deutlich abgenommen hätten hingegen Übergriffe auf Teilnehmende queerer Events wie dem CSD.
Laura Neugebauer und Sebastian Walter, queerpolitische Sprecher*innen der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, forderten nach der Vorstellung des Jahresreports, der Senat dürfe angesichts der steigenden Zahlen nicht weiter bei queeren Projekten sparen. „Statt die wichtige präventive Arbeit an Schulen und im Jugendbereich zu kürzen, zu schwächen und immer wieder zu hinterfragen, muss die Aufklärungs- und Bildungsarbeit endlich vorbehaltlos unterstützt und ausgebaut werden“, so Neugebauer und Walter.
Es brauche in allen Bezirken Strukturen der Opferberatung für queere Menschen sowie für Anti-Gewalt-Arbeit. Angesichts der steigenden Zahl von Übergriffen auf queere Orte forderten Neugebauer und Walter den Senat auf, zu handeln: „Queere Einrichtungen wie Bars, Lokale oder das Schwule Museum müssen besser geschützt werden und dürfen nach Übergriffen nicht allein gelassen werden. Hier ist die Unterstützung des Senats – und auch der gesamten Regenbogenhauptstadt – gefragt.“
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