zum Hauptinhalt
Dokumente für Kindertransporte aus dem Jahr 1939.

© IMAGO/Heritage Images/IMAGO/From the Jewish Chronicle Archive/Heritage Images

Alleine nach England: Sechs Kinder aus dem Berliner Südwesten wurden durch die „Kindertransporte“ gerettet

Die Flucht vor den Nazis war einsam: Tausende jüdische Kinder konnten durch die „Kindertransporte“ dem fast sicheren Tod entkommen. Was ist aus sechs Kindern aus Steglitz und Zehlendorf geworden?

Stand:

Der Eintrag ist mit der Schreibmaschine getippt: „Andreas Jaffe, Friedrichsruherstrasse 8/9 (geb. 18.12.1932), KT-Nummer 5789, Transport am 21 Mai 1939 (13. England-Transport).“ Hinter dem nüchternen Eintrag verbirgt sich ein Schicksal: Der damals sechsjährige Andreas Jaffé aus Steglitz hat den Holocaust überlebt.

Am 21. Mai 1939 konnte ihn seine Mutter Gertrud mit einem der „Kindertransporte“ nach England in Sicherheit schicken – allein, mit nicht mehr als einem Foto seiner Mutter, selbst ein Kuscheltier war nicht erlaubt. Andreas hat wohl nie wieder von seiner Mutter gehört: Sie wurde 1943 erst nach Theresienstadt, dann 1944 nach Auschwitz deportiert. Vermutlich wurde sie im Mai 1944 im Konzentrationslager Stutthof ermordet. Was aus Andreas geworden ist und wer ihn in Großbritannien aufgenommen hat, ist ungeklärt.

Wichtiger Fund: Die „niederländische Sammlung“

In mehr als 90 Zügen, die zwischen Dezember 1938 und August 1939 von Rettungskomitees, von jüdischen Gemeinden und Wohlfahrtsverbänden organisiert wurden, flohen über 9000 Kinder über Holland in das Vereinigte Königreich. Sie wurden in Pflegefamilien oder Heimen untergebracht, manche reisten weiter in die USA oder Palästina. Die britische Forscherin Amy Williams fand vergangenes Jahr im Archiv der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel verschollen geglaubte Aufzeichnungen: Die niederländische Grenzpolizei führte Listen von Kindern, die mit angekündigten Transporten ins Land einreisten – die „niederländische Sammlung“.

So sahen die Reisedokumente für die „Kindertransporte“ aus: hier der Ausweis für Hanna Zack Miley.

© Sammlung Katz

„Seit ich vor zehn Jahren die Forschung zu den Kindertransporten begann, wurde mir gesagt, dass keine Listen von Kindern, die nach Holland oder Großbritannien reisten, existierten“, erläutert Amy Williams in einem Pressestatement. „Diese Listen werden es Tausenden von Menschen erlauben, ihre Familieneinheiten zu rekonstruieren und mehr über das Leben ihrer Groß- und Urgroßeltern zu erfahren.“

Sechs Kindernamen, sechs Schicksale

Der Bezirksnewsletter bat Amy Williams, nach Namen von Kindern aus Steglitz und Zehlendorf in den Listen zu suchen. Einer der Namen, auf die die Forscherin in Yad Vashem stieß, war Andreas Jaffé. Einen klaren Bezug zum Berliner Südwesten haben auch fünf weitere Einträge:

  • Klaus Tetzner, 13 Jahre, Klingsorstraße 3. Der damals 13-jährige flüchtete im 28. England-Transport am 10. August 1939.
  • Max Kohn, 13 Jahre, Rückertstraße 1. Er fuhr im Zug am 21. Mai 1939 über die Niederlande nach Großbritannien.
  • Gabriele Herrmann, 16 Jahre, Hortensienstraße 26. Gabriele Hermann war 16 als sie im Mai 1939 mit dem 12. Kindertransport Berlin verließ.
  • Joachim Garten, 14 Jahre, Arndtstraße 14. Im gleichen Zug floh auch Joachim Garten. Bei dem 14-Jährigen ist bekannt, wo er aufgenommen wurde: in der Whittingehame Farm School, einem Herrenhaus im schottischen East Lothian. Die Schule für Kinder und Jugendliche, die mit den Kindertransporten nach Großbritannien gekommen waren, bestand von Januar 1939 bis zum September 1941. Joachim Garten wird auf einer Website zur Geschichte der Schule namentlich erwähnt.
  • Irene Borchardt, 10 Jahre, Dreilindenstraße 23. Die Familie von Irene Borchardt lebte in Nikolassee. „Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten mussten sie ihr Heim verlassen und zogen in die Innenstadt“, heißt es beim Projekt Stolpersteine. Im Mai 1939 gelang es den Eltern Jacques und Franziska, eines ihrer drei Kinder nach England zu schicken: Irene, damals zehn Jahre alt, wurde von einer Familie im südenglischen Midhurst aufgenommen. Sie hat als einzige den Holocaust überlebt: Die Nazis ermordeten Vater Jaques und Sohn Helmut in Minsk, Mutter Franziska und Tochter Lilli in Riga.

Dem Tagesspiegel sagte Amy Williams bei einem jüngst geführten Gespräch: „Es ist ergreifend für mich, wenn Verwandte meiner Generation mir mitteilen, wie wichtig die Informationen über den Weg ihrer Vorfahren sind.“ Sie möchte mehr über die „Kinder“ erfahren, was aus ihnen geworden ist, was Angehörige berichten können. Den damals auseinandergerissenen Familien mehr Wissen um die Schicksale ihrer Lieben zu ermöglichen, ist eines ihrer Ziele.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })