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Ob die Maßnahmen gegen das Coronavirus juristisch korrekt sind, soll der Verfassungsgerichtshof klären.

© Michele Tantussi/REUTERS

Klage gegen Senat: Verfassungsgericht soll Berliner Corona-Verordnung prüfen

FDP-Innenpolitiker Marcel Luthe hat eine Organklage gegen den Regierungschef und eine Senatorin eingereicht – aus mehreren Gründen.

Die Verordnung des Senats zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie ist jetzt auch ein Fall für den Berliner Verfassungsgerichtshof.

Bislang hatten Verwaltungsgerichte und selbst das Bundesverfassungsgericht alle Klagen abgelehnt und das Vorgehen der Behörden wegen der Gefahr für Leib und Leben gestützt. Nun hat der Berliner FDP-Abgeordnete Marcel Luthe eine Organklage gegen den Regierenden Bürgermeister Michael Müller und Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (beide SPD) eingereicht.

Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus beantragt in seiner Klage, dass die Verfassungsrichter feststellen, er werde durch die Senatsverordnung in der Ausübung seines freien Mandats und in seinen Rechten als Abgeordneter eingeschränkt. Zugleich sieht Luthe die Verordnung als verfassungswidrig an, weil es keine Gesetzesermächtigung dafür gebe.

Luthe sieht sich in seinen Abgeordnetenrechten eingeschränkt, weil er bei einer Kontrolle selbst als Mandatsträger nachweisen muss, dass er wegen seines Mandats im Freien unterwegs sei – jedenfalls nach Auffassung des Gesundheitsverwaltung.

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Von Senatskanzleichef Christian Gaebler (SPD) wiederum bekam Luthe die Auskunft, sein Abgeordnetenausweis reiche als Nachweis. Wenn aber dabei schon nicht klar ist, was Polizei und Ordnungsämter tun dürfen, entspricht die Eindämmungsverordnung aus Sicht des FDP-Politikers nicht den Anforderungen – nämlich klar und eindeutig zu sein.

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Es dürfe bei der Prüfung auch nicht ins sogenannte Ermessen von Mitarbeitern der Exekutive gestellt werden, ob bei einem Abgeordneten, einem Mitglied der Legislative, die die Exekutive kontrollieren soll, zulässige Gründe für das Verlassen der Wohnung vorliegen. Dies könne auch das Zeugnisverweigerungsrecht der Abgeordneten verletzen.

Der FDP-Abgeordnete Marcel Luthe fällt landespolitisch vor allem als eifrigster Fragesteller von allen Berliner Abgeordneten auf.
Der FDP-Abgeordnete Marcel Luthe fällt landespolitisch vor allem als eifrigster Fragesteller von allen Berliner Abgeordneten auf.

© imago/Bernd Friedel

Die Organklage geht jedoch weit darüber hinaus, was den Parlamentarier selbst betrifft. Luthe bezweifelt auch, ob der Senat einfach auf diese Weise in die Grundrechte der Berliner eingreifen darf. Vielmehr müsste das dem Parlament vorbehalten sein, „das über Sinn und Unsinn eines jeden Punktes dieser Regelung transparent debattieren muss“, sagte Luthe.

Seit einigen Wochen sollen die Bürger vornehmlich zu Hause bleiben, der Aufenthalt im Freien ist erlaubt für Erledigungen, den Weg zur Arbeit oder Erholung im Freien – allerdings immer mit Abstand, nur mit Personen aus dem eigenen Haushalt oder maximal einer anderen Person. Konzertsäle und Museen sind geschlossen, Restaurants dürfen nur noch für Abholer Gerichte verkaufen.

Luthe drängt auf eine generelle Prüfung, ob die Maßnahmen verhältnismäßig sind

Mit seiner Organklage drängt Luthe auch auf eine generelle Prüfung, ob die Maßnahmen verhältnismäßig sind. Tatsächlich wird in Fachkreisen ohnehin debattiert, ob die Grundlagen des Infektionsschutzgesetzes des Bundes ausreichen, um derart schwerwiegende Eingriffe in die Grundrechte zu legitimieren.

Das Gesetz ist, so finden Fachleute, nicht für eine Pandemie von diesem Ausmaß ausgelegt und müsste angepasst werden, selbst nach der jüngsten Novelle, die der Bundestag im März beschlossen hat.

Vielmehr sind die strengen Schutzmaßnahmen wie Beobachtung, Quarantäne, berufliches Tätigkeitsverbot für sogenannte „Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider“ zur „Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten“ vorgesehen. Und erst Ende März ist als Klarstellung hinzugefügt worden, dass die zuständige Behörde Personen verpflichten kann, Orte nicht zu verlassen oder nur unter bestimmten Bedingung zu betreten.

Aber ist das klar genug und ausreichend begründet, um Menschen in ihrer Freiheit zu beschränken? Und wenn schon das Bundesgesetz nicht mehr recht in die Zeit und zu dieser Pandemie passt, wie können es dann die Länderverordnungen?

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Selbst wenn sich die Berliner weitgehend vernünftig verhalten, so tun sich für den Innenpolitiker Luthe in der Verordnung des Senats einige Widersprüche auf. Denn Grundrechtseingriffe müssen genau begründet und nachvollziehbar sein.

„Weshalb etwa die Durchführung von Dienstleistungen wie bei Friseuren nicht unter Tragen geeigneter Schutzmasken erfolgen können sollen oder Einzelhändler nicht – ebenfalls unter Tragen geeigneter Schutzvorkehrungen – ihre Geschäfte öffnen sollten, ist mir nicht nachvollziehbar und nicht erklärt worden“, sagt der Abgeordnete. Diese Unklarheit löse Verunsicherung aus.

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Stattdessen fordert Luthe eine „klar gefasste und begründete Regelung nebst Ausführungsvorschriften, die alle notwendigen und zweckmäßigen Maßnahmen trifft und alle anderen unterlässt“.

Ferner kritisiert der Abgeordnete, dass die Verordnung zu unbestimmt sei. Denn nach dem Infektionsschutzgesetz ziehen etwa berufliche Tätigkeitsverbote eine Entschädigungspflicht nach sich. Doch die gilt nur, wenn ein solches Verbot individuell und wegen eines konkreten Verdachts angeordnet worden ist. Genau das fehlt allerdings aus Sicht des FDP-Politikers.

Er selbst, sagt Luthe, habe sich schwer mit der am Montag eingereichten Organklage getan, mit der Selbstverständlichkeit, streitige Fragen vor Gericht zu klären. Zumal nicht wenige Politiker und Bürger die Maßnahmen für notwendig halten. Umso mehr sei eine objektive Klärung nötig, um aus der Krise zu lernen.

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