
© Zeina Abou Taha
Geflüchtete feiern ihr Abitur: Eine Berliner Schule macht vor, wie Integration im Alltag gelingt
Eine Berliner Jesuitenschule zeigt, wie Integration funktioniert. Mit speziellen Klassen für geflüchtete Jugendliche und hoher Abiturquote hat die Schule Erfolg. Wie kriegt sie das hin?
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Unweit der Konrad-Adenauer-Stiftung, direkt am Berliner Tiergarten, liegt das graue Schulgebäude des Canisius-Kollegs. Seit 2015 prägen auch geflüchtete Jugendliche den Alltag der freien Jesuitenschule – und seit 2019 gibt es auch einen eigenen Zweig für sie. Der heißt Pedro-Arrupe-Schule, eine integrierte Sekundarschule. Pater Marco Mohr, Rektor des Kollegs, beschreibt das Konzept so: „Die große Frage, die viele Geflüchtete beschäftigt, lautet: Bin ich in diesem Land überhaupt gewollt? Wir am Canisius-Kolleg wollen ihnen vermitteln: Ihr seid nicht nur gewollt – ihr gehört dazu.“
In dem Kolleg werden Jugendliche mit Fluchtgeschichte – unabhängig von ihrer Konfession – systematisch auf mittlere Reife und Abitur vorbereitet. Hier geht es, das wird im Gespräch mit der Schulleitung deutlich, um pädagogische Feinarbeit – getragen von einem engagierten Kollegium und einer klaren Haltung. Der Erfolg gibt dem Konzept recht: Rund 80 Prozent der geflüchteten Oberstufen-Schüler bestehen am Ende ihr staatlich anerkanntes Abitur; berlinweit liegt die Quote in diesem Jahr bei 94,5 Prozent.
Ein Balanceakt aus Schutz und Begegnung
Der schulische Weg beginnt für die Geflüchteten meist zwei Jahre lang in sogenannten Willkommensklassen, in denen das Erlernen der deutschen Sprache und die Grundbildung im Vordergrund steht. Ab der neunten Klasse folgt der langsame Übergang in Regelklassen. Wichtig ist dabei: Die Jugendlichen werden Schritt für Schritt herangeführt. In den Klassen neun und zehn finden erste gemeinsame Kurse mit den Regelklassen statt, etwa in Kunst oder Sport. Auch bei Klassenfahrten und Freizeitangeboten steht das Miteinander im Fokus.

© Canisius Kolleg
Ab der elften Klasse lernen dann alle gemeinsam – ohne Unterscheidung nach Herkunft oder Sprachniveau. Von den 24 geflüchteten Jugendlichen, die im letzten Jahrgang ihre mittlere Reife absolvierten, entschieden sich 13 für den Weg in diese gymnasiale Oberstufe.
„Es braucht geschützte Räume zum Ankommen, aber auch echte Begegnungsräume – beides gehört zur erfolgreichen Integration“, sagt Canisius-Schulleiter Jan Bernhardt. Die Lehrkräfte werden in kultursensibler Pädagogik fortgebildet und stehen sich im Alltag gegenseitig zur Seite. Die Klassen sind mit maximal 25 Schülern pro Jahrgang klein, die Betreuung engmaschig – all das werde durch das starke Engagement der Schulleitung, Dr. Jan Bernhardt und Séan Alfken, sowie der Lehrkräfte ermöglicht.
Koexistenz im Klassenraum
Das Canisius-Kolleg ist eine Jesuitenschule. Der christliche Glaube spielt eine zentrale Rolle, jedoch nicht in dogmatischer Form. Vielmehr ist der Dialog mit anderen Religionen Teil des Konzepts. Man stellt sich gemeinsam die Frage nach Gott. Viele der Schüler sind jüdischen oder muslimischen Glaubens, das Tragen religiöser Symbole ist ausdrücklich erlaubt. Ein staatliches Neutralitätsgebot wie an öffentlichen Berliner Schulen gilt hier nicht.
„Die Konflikte dieser Welt lassen sich nicht aus dem Klassenraum heraushalten – das ist auch gar nicht unser Ziel“, sagt Rektor Mohr. „Aber wir wollen einen Raum schaffen, in dem man ihnen begegnen kann.“ Zuhören, Widersprüche aushalten, differenzieren lernen – das sollen hier nicht nur Phrasen sein, sondern pädagogische Prinzipien des Kollegs.
Ausnahmen bestätigen die Regel
Bei der diesjährigen Abiturfeier zeigt sich, was all das bewirken kann: Stolze Familien, Tränen der Freude und Reden, die die ganze Schulöffentlichkeit berühren. „Der Bildungserfolg jedes einzelnen Schülers ist für uns Motivation und Lohn zugleich“, sagt Bernhardt. „Gerade, wenn jemand in einem völlig neuen Lebenskontext ankommt – und trotzdem seinen Weg geht.“
Die Schulleitung des Arrupe-Zweigs sieht sich selbst nicht Experten für angemessene Integration und will auch keine Empfehlungen für andere Schulen aussprechen. Am Ende sei der Erfolg der Schule dem Streben, gute Pädagogik machen zu wollen, entscheidend. Energie ziehe man aus dem persönlichen Bildungserfolg eines jeden einzelnen.
„Leuchtturmprojekte polarisieren oft. Wir wünschen uns, dass unser Modell zur Normalität wird und nicht zur Ausnahme“, so Mohr. Damit dieser Wunsch Wirklichkeit wird, brauche es vor allem eins: eine Gesellschaft, die hinsieht – und erkennt, dass gelungene Integration machbar ist. Und ein Bildungssystem, das nicht fragt, woher jemand kommt, sondern wohin er oder sie will.
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