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Stefan Gelbhaar (Bündnis 90/Die Grünen).

© dpa/Michael Kappeler

Geständnis des Scheiterns im Fall Gelbhaar: Grünen-Spitze sagt Aufklärung ab, Sorge in Pankow vor Eskalation

Mitte Januar zogen die Grünen im Fall des Berliner Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar die Reißleine. Eine Kommission sollte alles aufklären. Das Gegenteil ist der Fall, gesteht die Parteispitze nun.

Stand:

Bislang hatte die Parteizentrale der Grünen jegliche Tagesspiegel-Berichte dementiert, dass sie die Aufklärung der Vorwürfe gegen den Berliner Bundestagsabgeordneten aufgegeben hat. Nun bläst die Grünen-Spitze zum Rückzug und gesteht: Die im Januar eingesetzte Kommission wird nicht aufklären, was es mit den Vorwürfen grenzverletzenden Verhaltens gegenüber Frauen auf sich hat.

„Es muss unbedingt schnell und rücksichtslos aufgeklärt werden, was da eigentlich passiert ist, und auch die Konsequenzen gezogen werden“, hatte Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck im Januar gesagt.

Die Bundesvorsitzenden Franziska Brantner und Felix Banaszak erklärten das laufende Ombudsverfahren gegen Gelbhaar für beschädigt und sahen sich gezwungen, ein neues Verfahren einzuleiten. Sieben Frauen hätten ihre Meldungen an die Ombudsstelle der Bundespartei aufrechterhalten. Deshalb habe der Bundesvorstand beschlossen, eine neue Kommission unter Führung von Anne Lütkes und Jerzy Montag einzusetzen, um diese Fälle aufzuklären.

Die Grünen-Co-Chefs Felix Banaszak und Franziska Brantner versprachen im Januar Aufklärung im Fall Gelbhaar.

© Imago/Jens Schicke

Anfang März berichtete der Tagesspiegel dann, dass die Ziele der Kommission andere sind als angekündigt. Demnach solle die Kommission nicht mehr mögliches Fehlverhalten Gelbhaars aufklären, sondern etwas anderes untersuchen. Nämlich, was bei der Aufarbeitung der Beschwerden durch die Ombudsstelle schieflief, mit welchen Strukturen sich Fehler vermeiden ließen, ja sogar, wie Grünen-Politiker gegen falsche Verdächtigungen geschützt werden können.

Bei den betroffenen Frauen schwindet seither das Vertrauen in das Vorgehen der Bundespartei. Nach Tagesspiegel-Recherchen fühlen sich Frauen, die sich an die Ombudsstelle gewandt haben, vorerst zum Schweigen verdammt. Sie haben Angst, dass Gelbhaar gegen sie juristisch vorgeht – wie gegen die Berliner Abgeordnete Klara Schedlich.

Dennoch bemüßigte sich ein Parteisprecher wiederholt, dem Tagesspiegel zu erklären, dass die Darstellung zu Kommission „falsch“ sei. Wiederholte Anfragen, welchen Arbeitsauftrag die Kommission denn habe, beantwortete die Partei nicht.

Kommission soll nicht über Vorwürfe urteilen

Nun wurde der Druck offenbar zu groß: Seit Wochen kommt er aus der Landesspitze der Grünen, die die fehlende Aufarbeitung und einen problematischen Schwebezustand beklagte. Weitere Landesverbände erinnerten die Bundesspitze an ihr Versprechen, die Fälle zu prüfen. Brantner und Banaszak erklärten dem „Spiegel“ nun: „Wir nehmen sehr ernst, dass Parteimitglieder verunsichert sind und Klarheit einfordern.“ Zugleich erklärten sie aber, die Kommission führe kein Ombudsverfahren durch, sondern arbeite das Bisherige nur auf.

Betroffene könnten zwar Schilderungen eigenen Erlebens oder Beobachtungen vortragen, heißt es von den beiden Vorsitzenden weiter. „Gleichzeitig bleibt es so, dass auch die eingesetzte Kommission nicht leisten soll und kann, was eine Ombudsstelle schon nicht hätte leisten können oder sollen: abschließend über Wahrheit und Unwahrheit zu urteilen oder anstelle der zuständigen Parteigremien über Konsequenzen zu entscheiden.“

Wir brauchen eine Aufklärung bis Herbst, besser bis zur Sommerpause, sonst lodert dieser Schwelbrand wieder auf.

Warnung aus dem Grünen-Kreisverband Pankow.

Für Gelbhaars Pankower Kreisverband ist die Lage weiter brenzlig. Gelbhaar will die Vorwürfe aus der Welt räumen, ihm werden Ambitionen auf ein Comeback nachgesagt – zunächst bei der Abgeordnetenhauswahl 2026. In Pankow hatten die Grünen immer Mandate errungen, im Herbst sollen die Kandidaten bestimmt werden.

„Wir brauchen eine Aufklärung bis Herbst, besser bis zur Sommerpause“, heißt es aus dem Kreisverband. „Wenn das dann immer noch nicht geklärt ist, lodert dieser Schwelbrand wieder auf.“ Ein nicht kleiner Teil des Kreisverbands steht hinter Gelbhaar, andere stellen sich an die Seite von „Betroffenen von grenzverletzendem Verhalten“. An sie richtet sich ein Brief einer Gruppe von Mitgliedern des Kreisverbands, der dem Tagesspiegel vorliegt.

Wir wissen, wie viel Überwindung es kostet, solche Vorfälle zu melden – geschweige denn, sie bei derartigem Gegenwind aufrechtzuerhalten.

Solidaritätsschreiben von Mitgliedern des Grünen-Kreisverbands Pankow an Betroffene.

Darin sprechen die Unterzeichner den Betroffenen „Solidarität und unseren Respekt“ aus, „für den Mut, für eure Integrität einzustehen“ und für das, „was ihr durchgemacht habt“. Sie seien nicht allein. Viele Unterzeichner hätten selbst Erfahrungen mit grenzüberschreitendem Verhalten gemacht und in den vergangenen Wochen mit aufwühlenden Erinnerungen zu kämpfen.

„Wir wissen, wie viel Überwindung es kostet, solche Vorfälle zu melden – geschweige denn, sie bei derartigem Gegenwind aufrechtzuerhalten“, heißt es dort weiter. Ihnen sei zu danken, dass sie sich Machtunterschieden entgegenstellten. Sie seien ein Vorbild.

Die dem Tagesspiegel geschilderten und auch von der Ombudsstelle geschilderten Fälle zu möglichem Fehlverhalten Gelbhaars überschreiten nicht die strafrechtliche Grenze etwa zur sexuellen Belästigung. Eher verdichten sich alle „Meldungen sich zu einem relevanten Vorwurf grenzverletzenden Verhalten“, wie der Anwalt der Bundespartei es nannte. Grenzverletzung meine „eine durch die betreffenden Personen selbst als solche empfundene Überschreitung des persönlichen Wohlbefindens“.

Gelbhaar hatte im Dezember nach Bekanntwerden erster Vorwürfe auf eine Kandidatur um den sicheren Platz zwei der Landesliste zur Bundestagswahl verzichtet. Dann folgte ein RBB-Bericht, der auf einer gefälschten eidesstattlichen Versicherung beruhte, wie der Tagesspiegel nachgewiesen hat. Der Sender hatte die Identität der Verfasserin – eine Grünen-Bezirkspolitikerin aus Mitte – nicht geprüft, ein persönliches Gespräch in einem Abendschau-Beitrag fingiert. Am Ende musste der RBB den Bericht zurückziehen. Die Direktkandidatur in Pankow verlor Gelbhaar dennoch: Der Kreisverband der Grünen wiederholte die Wahl des Direktkandidaten.

Der RBB wurde dann vom Landgericht Hamburg verurteilt, alle Behauptungen zu unterlassen. Gelbhaar fordert 1,7 Millionen Euro Entschädigung. Und per Gericht ließ Gelbhaar seiner Parteikollegin Schedlich Darstellungen aus ihrer eidesstattlichen Versicherung, die sie dem RBB gegeben hatte, untersagen. Dabei ging es um nächtliche Nachrichten, Einladungen, Schmeicheleien und angebliche Berührungen an Arm und Rücken.

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