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Lena Urzendowskys Vision für Berlin 2030: „Ich glaube, manchmal muss man die Menschheit zu ihrem Glück zwingen“
Das Potenzial der Hauptstadt wird nicht genutzt. Investitionen in soziale Arbeit und Kultur, einen kostenlosen ÖPNV und eine bessere Luftqualität – das und mehr wünscht sich die Schauspielerin.
Es mag absurd klingen, aber als gebürtige Berlinerin ist Berlin für mich der Ort, an dem ich zur Ruhe komme. Berlin ist mein Zuhause, es ist der Ort, an dem ich an jeder Ecke Inspiration finde – ob ich danach suche oder nicht. Das liebe ich am allermeisten an dieser Stadt: Sie lässt mich intensiv fühlen.
Ich habe gerade eine knappe Woche frei, die ich zwischen Drehtagen in meiner Geburtsstadt verbringe. Obwohl ich nichts groß geplant hatte, war ich jeden Abend im Theater, auf einem Konzert oder tagsüber in einer Ausstellung. In Berlin kann ich mich treiben lassen und schwuppdiwupp finde ich mich in einer tanzenden Menge wieder, die zu niederländischem Pop abgeht. Gestern habe ich mit meiner besten Freundin zusammen einen Tofu-Workshop besucht. Wo gibt es bitte so etwas, wenn nicht in Berlin?
Es beruhigt mich, dass ich mich darauf verlassen kann, dass diese Stadt voller Leben steckt.
Berlin sprudelt vor Kreativität, Ideen und Visionen, es mangelt hier wirklich nicht an Ideenreichtum. Vielmehr erlebe ich eine allgemeine Mutlosigkeit bei den Menschen in Entscheidungspositionen, die diese bestehenden Ideen umsetzen könnten.
Jedoch erlebe ich enttäuschte Menschen mit Visionen, deren Idealismus als Naivität abgetan wird. Es wirkt wie ein Teufelskreis des fehlenden Vertrauens: Für eine fluoreszierende Demokratie in der Hauptstadt braucht es Menschen, die etwas bewegen wollen, die mehr Angst haben vor dem Status quo als vor Veränderung. Diese Menschen wollen aber irgendwann nichts mehr bewegen, wenn sie zu oft an bürokratischen Hürden oder der Mutlosigkeit letzter Instanzen scheitern.
Verschenktes Potenzial
Kai Wegner hat recht, wenn er sagt, dass in Berlin die Basics funktionieren müssen. Viele Basisbedürfnisse werden nicht angemessen gestillt. Das spüre ich jeden Tag, wenn ich Stunden im Ersatzverkehr verbringe, ewig auf Bürgerämter warte oder versuche, Nachrichten über gestrichene Kunst- oder Sozialprojekte zu verarbeiten. So ist das zurzeit in Berlin: Du kannst auf das tollste Konzert gehen, kommst dann aber kaum nach Hause, weil nachts überall gebaut wird – weil zu lange nichts gebaut wurde.
Das Problem ist, dass Berlins Potenzial nicht genutzt wird. Natürlich macht es Spaß, sich ab und zu in die sagenumwobene Hassliebe zu Berlin hineinzusteigern. Aber wenn ich ehrlich bin, dann macht es mir keine Freude, mich ständig über mein Zuhause ärgern zu müssen.
Ich möchte nicht verzweifeln, weil es im Seminarraum in der Uni von der Decke tropft. Ich möchte mich auch nicht freuen müssen, wenn die Deutsche Bahn nur eine halbe Stunde zu spät abgefahren ist und es sogar Klopapier auf der Zugtoilette gab. Ich möchte nicht vor Erleichterung in die Luft springen, wenn Freunde doch noch einen Kitaplatz bekommen haben und beide Elternteile folglich einer Erwerbsarbeit nachgehen können.
Es tut mir im Herzen weh zu sehen, dass Berlins Potenzial nicht genutzt, sondern höchstenfalls ausgenutzt und abgenutzt wird.
Investitionen in soziale Arbeit und Kultur
Menschen mit Visionen werden oft belächelt. Utopien wurden noch nie gut bezahlt. Aber ohne die unzähligen Visionäre in Berlin wäre die Stadt ein dunkles Loch ohne Kultur und Lebensqualität. Es sind die Berlinerinnen, die trotz Geringschätzung ihr Leben und ihre ganze Kraft in Kultur, Soziale Arbeit und viele andere Bereiche stecken, die diese Stadt einzigartig machen. Das Potenzial von Berlin liegt vor allem in den Menschen, die hier versuchen, auf 891,8 Quadratkilometern ein Abbild der ganzen Welt zu erschaffen, in dem sich jeder wiederfinden und zu Hause fühlen kann.
Aber man kann von gutem Willen alleine nicht leben. Wenn er ausgenutzt wird und weder Unterstützung noch ausreichend Wertschätzung erfährt, dann versiegt er irgendwann.
Genau hier liegt meine Vision für Berlin begründet: Investition in Ressourcen. Geld für nicht oder zu gering entlohnte soziale und kreative Arbeit. Politische Entscheidungen, die es erfordern, mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten, um auf breiten Konsens zu stoßen. Vertrauen, dass man miteinander reden kann, auch bei unterschiedlichen Standpunkten. Verständnis dafür, dass Umbruch Zeit dauert. Mut und Vertrauen, dass man einen gemeinsamen Willen schaffen kann, wenn Empathie erzeugt wird.
Und wie kann all das funktionieren? Naja: durch soziale Arbeit und Kultur. Durch Zeit und Bereitschaft, sich auf andere Lebensrealitäten und Menschen einzulassen. Durch einen emotionalen Zugang zu anderen Perspektiven, die der eigenen Wahrnehmung vielleicht erstmal fremd erscheinen.
Und wo soll das Geld herkommen? Naja: Um mich hier jetzt nicht in den Abgründen der Schuldenbremse zu verlieren, würde ich vorschlagen, dass vor allem weniger Geld ausgegeben wird für Dinge, die Berlin Lebensqualität nehmen. Zum Beispiel für unnötige Straßen, statt ins Schienennetz zu investieren. Bisher hat noch keine stark befahrene Straße einen Berliner Kiez lebenswerter gemacht. (Fahrradstraßen ausgenommen!)
Veränderungen statt politisches Klein-Klein
Ich möchte lieber eine Idealistin sein als eine gelähmte Pessimistin. Manchmal habe ich das Gefühl, dass der Gedanke über ein stagnierendes Wirtschaftswachstum Angst in den Augen der Generation meiner Eltern aufblitzen lässt – aber bei mir auf das gegenteilige Gefühl stößt. Meine Albträume handeln davon, dass wir einfach immer weiter machen, bis alle Ressourcen aufgebraucht sind, menschlich wie planetar. Angstgesteuert vor zu großen Umbrüchen und im Wahn eines Versprechens, das schon lange nicht mehr gilt: dass Wachstum immer und auf jeden Fall besser ist.
Meine Vision handelt von einer Politik, die sich ihre Wähler sichert durch Ehrlichkeit. Damit meine ich vor allem Mut zu unangenehmen Wahrheiten und das Vertrauen in Kommunikation. Ich glaube daran, dass man manchmal die Berlinerinnen und vielleicht die Menschheit allgemein zu ihrem Glück zwingen muss. Auch diese Überzeugung mag meiner Generation geschuldet sein: Ich bin weder in der DDR noch im Wirtschaftswunder aufgewachsen. Ich fühle mich sicher und gehört, wenn die Probleme, die ich täglich wahrnehme, angesprochen werden, statt sie schönzureden oder zu ignorieren.
Kostenloser ÖPNV, Außenringbahn, Umgestaltung von Parkplätzen
Ich wünsche mir ein gewisses Maß an Regulationen und Einschränkungen vom Land Berlin und vom Bund, die es mir ermöglichen, klimafreundlicher zu leben, ohne dass ich jeden Tag selbst mit meinem inneren Schweinehund kämpfen muss. Viel wütender als eine katastrophale Digitalisierung macht es mich, wenn Politiker:innen sich im Wahlkampf damit beschäftigen, wer eventuell seinen Doktortitel gefälscht haben könnte, statt sich effektiv um die Digitalisierung zu kümmern.
Klar, das sind zwei voneinander unabhängige Vorgänge. Aber letztlich geht es immer um die Wirkung. Parteipolitik, die verhindert, dass Maßnahmen ergriffen werden, oder noch schlimmer, die das Vertrauen in Politik und Demokratie an sich aufs Spiel setzt, macht mir Angst. Wenn es spürbar wird, dass Macht wichtiger ist als Demokratie und der Glaube an die Würde des Menschen, woran soll man dann noch festhalten?
Viele Menschen in Berlin halten mit letzter Kraft an einem Ort der kulturellen und sozialen Vielfalt fest, ohne dass deren Vision und Energie ausreichend unterstützt wird.
Ich wünsche mir Investitionen in Menschen sowie in Orte und soziale Strukturen, die es bereits gibt, die dringend Geld brauchen, um erhalten zu werden: Kostenloser ÖPNV und eine noch bessere Anbindung des Berliner Umlandes, zum Beispiel durch eine Außenringbahn. Weniger Verkehrstote, Hitzetote, bessere Luftqualität, Umgestaltung von Parkplätzen zu grünen Oasen, mehr Zeit für Kulturräume und soziale Unterstützung.
Es gibt so viel Potenzial hier, so viele Ideen und Visionäre – aber ebenso wie unser Planet sind auch menschliche Ressourcen ohne ausreichende Unterstützung endlich. Berlin hat so viele wirklich wertvolle Dinge! Wir sollten uns nicht damit zufriedengeben, dass all das verschwindet und nur das Gefühl einer Ohnmacht zurückbleibt.
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