
© Sebastian Leber
Verbotene Corona-Proteste in Berlin: Mobilisierung misslingt – Querdenker-Basis fügt sich dem Demo-Verbot
Aufruf bei Telegram: Verbot durch Spazierengehen unterlaufen + Fast 1000 Festnahmen am Sonntag und 500 Ermittlungsverfahren + Teilnehmer stirbt + Der Demo-Blog.
Nach den Protesten von Querdenkern am Wochenende wollten die Gegner der Corona-Maßnahmen an diesem Mittwoch wieder auf die Straße gehen. Die Polizei hatte eine Demonstration auf der Straße des 17. Juni verboten. Es kursierten dennoch Aufrufe, sich durch massenhaftes Spazierengehen zu versammeln. Doch die Mobilisierung misslang. (Mehr im Newsblog).
Die Ereignisse des Sonntags im Überblick:
- Verbotene Proteste am Sonntag: Tausende Querdenker ziehen durch Berlin, es kommt wiederholt zu Gewalt.
- Die Polizei-Bilanz: Fast 1000 Festnahmen am Sonntag, 500 Ermittlungsverfahren, 60 verletzte Polizisten.
- Bei Identitätsfeststellung: 48-jähriger Querdenken-Teilnehmer kollabiert und stirbt an Herzinfarkt.
Mobilisierung misslingt - Querdenker-Basis fügt sich dem Demo-Verbot
Ruhe im Tiergarten
Ein Märytrer für die Bewegung
In der Szene gibt es momentan Versuche, den 48-Jährigen, der am Wochenende an einem Herzinfarkt gestorben war, zum Märtyrer zu stilisieren. Auf Telegram wird er bereits der „erste Tote der Bewegung” und als „Mordopfer“ bezeichnet. Die Instrumentalisierung des Toten ist sogar einigen Köpfen der Querdenker unangenehm.
Sie fordern ihre Anhänger im Internet auf, den Verstorbenen bitte nicht für politische Zwecke zu missbrauchen – und stoßen damit teilweise auf Unverständnis. Bereits am Dienstag trafen sich einige Verschwörungsgläubige zur öffentlichen Kranzniederlegung in Kreuzberg. Eine Teilnehmerin lobte den Toten und sprach davon, dieser werde jetzt „sicher im Himmel weiterkämpfen“.
Der Mann hatte am Sonntag eine Sperrkette der Polizei durchbrochen und dabei einen Polizisten verletzt. Nach seiner Festnahme klage er über Schmerzen in der Schulter, lehnte eine ärztliche Betreuung jedoch zunächst ab.
Was die Querdenker versuchen wollen
Eine Taktik soll heute sein, das Verbot der Kundgebung durch gemeinsames und massenhaftes Spaziergehen zu umgehen. In den einschlägigen Telegram-Gruppen kündigen Aktivisten an, gleich "draußen Sonne tanken" zu wollen, den Tiergarten "als Privatmensch zu erkunden" oder sich "als Tourist vor dem Kanzleramt" zu tummeln.Der Querdenken-Gründer ist schon abgereist
Kommt es heute wieder zu Protesten?
Eigentlich wollten heute Nachmittag 10.000 Querdenker auf der Straße des 17. Juni protestieren - die Frage ist, wie viele sich tatsächlich auf den Weg machen werden. Denn die Kundgebung ist, wie die Demonstrationen des Wochenendes, verboten worden. Unter anderem deswegen, weil bei Querdenker-Veranstaltungen der Vergangenheit die Masken- und Abstandsgebote systematisch missachtet wurden. Auch eine Kundgebung aus dem Lager der Verschwörungsgläubigen am Rosa-Luxemburg-Platz ist untersagt. Die Behörden gehen davon aus, dass es sich hier um eine Ersatzveranstaltung handelt, also den Versuch, das Demoverbot durch eine zweite Anmeldung auszutricksen.
Auf der Straße des 17. Juni wollten Querdenken und acht weitere Gruppen das „Jahr der Freiheit und des Friedens“ ausrufen und die Pandemie (erneut) für beendet erklären. Zu den Initiatoren zählte auch die Querdenker-Partei „Die Basis“, deren Berliner Landesliste vergangene Woche vom Landeswahlausschuss nicht zur Bundestagswahl zugelassen wurde. Ihre Kandidaten-Liste war nur von einem Vorstandsmitglied statt wie vorgeschrieben von dreien unterschrieben worden.
500 Ermittlungsverfahren nach verbotenen Demos eingeleitet
48-Jähriger Demo-Teilnehmer offenbar an Herzinfarkt gestorben – ärztliche Betreuung lehnte er zunächst ab
Der 48-Jährige, der am Rande der "Querdenker"-Demonstration am Sonntag kollabiert ist, ist offenbar an einem Herzinfarkt gestorben. Das ergab laut Staatsanwaltschaft die Obduktion, die nach dem Tod des Mannes an der Charité durchgeführt worden war. Hinweise auf todesursächliche äußere Gewalteinwirkung durch die Festnahme lägen demnach nicht vor. Die Todesermittlungen seien allerdings noch nicht abgeschlossen.Reichen Demo-Verbote aus?
"Querdenker laufen trotz des Verbots ihrer Demonstrationen durch Berlin, sie überrennen Polizeiketten, Beamte und Journalisten werden attackiert. Der Sonntag zeigt einmal mehr, welche Aggressionen sich in der Szene der Corona-Leugner ballen. Und in welchem Maße sich zumindest Teile der Querdenker radikalisiert haben." Der Staat darf sich nicht länger vorführen lassen, kommentiert und Kollege Frank Jansen und fordert: Die Innenminister sollten ein Verbot von Querdenker-Vereinen prüfen. Den ganzen Kommentar lesen Sie hier:Gewerkschaft der Polizei: Verbote und Einsatztaktik richtig
Bundesregierung besorgt über Gewalt bei Protesten in Berlin

Angriff auf Gewerkschafter: Polizei ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung
Nach einem Angriff aus der Querdenken-Szene auf den dju-Landesgeschäftsführer für Berlin-Brandenburg, Jörg Reichel, hat die Polizei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Ermittelt werde wegen gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und versuchten Diebstahls, sagte eine Polizeisprecherin dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Montag in Berlin. Der Journalisten-Gewerkschafter war am Sonntag von Unbekannten von seinem Fahrrad gezerrt, getreten und geschlagen worden. Auch wurde versucht, ihm das Handy abzunehmen. Reichel begab sich mit Verletzungen an Schultern und Beinen ins Krankenhaus.Innensenator stellt sich hinter Taktik der Polizei
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) hat das Vorgehen der Polizei gegen die "Querdenker" am Wochenende verteidigt. „Wir können nicht erkennen, dass die Polizei nicht Herrin der Lage gewesen sei", sagte Geisel dem Tagesspiegel. "Nach den uns vorliegenden Informationen haben die Polizei Berlin und die auswärtigen Einsatzkräfte angemessen und professionell agiert."
Den Einsatzkräften sei bewusst gewesen, dass die Taktik der Protestler darin bestehen würde, an vielen Orten der Stadt in kleineren Gruppen aufzutreten. Das habe die Lage kompliziert gemacht, weil die Einsatzkräfte zwischen "Querdenkern" und Anwohnenden bzw. Passanten unterscheiden mussten, hieß es.
"Aber was wäre denn die Alternative zum polizeilichen Handeln gewesen?", fragte Geisel. "Alle 5000 Menschen, die sich den Tag über verteilt in Berlin aufgehalten haben, einzukesseln und festzunehmen?" Natürlich hätte die Polizei noch härter vorgehen und die Regeln mit körperlicher Gewalt durchsetzen können. "Aber damit wäre ggf. auch das Risiko verbunden, Menschen durch Polizeieinsätze zu verletzen. Hier musste von der Polizei die Verhältnismäßigkeit des Vorgehens gewahrt werden", betonte Geisel.
Der Innensenator fügte hinzu, dass die Aufgabe der Polizei darin bestanden habe, bestehende Regeln zum Infektionsschutz durchzusetzen, wie etwa Maske tragen und Abstände einhalten. "Dies geschieht im Namen des Gesundheitsschutzes", sagte Geisel. "Es wäre unverhältnismäßig, bei einem Polizeieinsatz die Gesundheit von Menschen zu gefährden, weil man den Gesundheitsschutz durchsetzen will."
Die hohe Zahl der festgenommenen Personen zeige aber, dass die Polizei konsequent gehandelt habe, argumentierte der Innensenator. "Insbesondere als Polizeikräfte und auch Pressevertreter angegriffen wurden.“

"Querdenker" kündigen weitere Demo für Mittwoch an
Grünen-Innenpolitiker: "Lasst den Wahnsinn bei Euch daheim!"
Polizei verbietet weitere Demonstrationen am Montag in Berlin
Liebe? Freiheit? Am Sonntag viel Hass, Pöbeleien, auch Gewalt
Sie sprechen von "Liebe" und "Freiheit", dabei war bei den Querdenker-Protesten am Sonntag viel Hass, Pöbeleien, auch Gewalt zu beobachten, schreibt Ann-Kathrin Hipp im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint. Ein Stück weit herrschte auf den Straßen Anarchie. Es fehlt eine Strategie im Umgang mit der Protestbewegung. Lesen Sie hier den Frühkommentar unserer Kollegin.49-jähriger Querdenken-Teilnehmer kollabiert und stirbt
Journalisten-Gewerkschaft verurteilt Angriff auf Geschäftsführer
Querdenker-Picknick im Lustgarten

Die Stimmung ist entspannt, fast wie bei einem Picknick. Einige Leute trinken Bier, manche haben sich Essen mitgebracht. Andere fotografieren sich gegenseitig vor den historischen Bauten. Videostreamer interviewen noch schnell ein paar Teilnehmende. Der Berliner Verschwörungsfreund und DJ "Captain Future" unterhält sich mit anderen Aktivist:innen.
Ein Mann spielt "Rebel Yell" von Billy Idol auf der Wandergitarre und singt auch. Allerdings beherrscht er nur den Refrain. Den wiederholt er dafür immer wieder, so laut er kann... "More, More, More!"
Die Polizei ist mit einem massiven Aufgebot vor Ort, hält sich aber zurück. Am Himmel ziehen dunkle Wolken auf. Es sieht nach Regen aus.

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