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Eine S-Bahn am Bahnhof Berlin-Neukölln.

© dpa/Christoph Soeder

Update

Nach Sprengstoff-Fund: Polizei rückte erneut zum S-Bahnhof Neukölln aus

Am Bahnhof Neukölln hinterlässt ein Mann auf der Flucht vor der Polizei ein halbes Kilogramm TATP. Behörden suchen nun zwei Geldautomaten-Sprenger – und weitere Beweise.

Nach dem Sprengstoff-Fund am S-Bahnhof Neukölln sind die Ermittler am Freitagnachmittag erneut zum Bahnhof ausgerückt. Es gehe darum, mögliche Beweise zu sichern, sagte eine Polizeisprecherin. Weitere Angaben machte sie nicht. Die Zeitung „B.Z.“ schrieb, es werde das Handy des Verdächtigen gesucht.

Wegen des Polizeieinsatzes war der Zugverkehr der Linien 41, 42, 45, 46 und 47 zwischen Treptower Park, Baumschulenweg und Hermannstraße unterbrochen, teilte die Verkehrsinformationszentrale auf der Onlineplattform X mit. Gegen 18 Uhr meldete die S-Bahn Berlin das Ende des Einsatzes.

Unterdessen fahnden die Ermittler weiter nach zwei Männern. Nach Tagesspiegel-Informationen sollen die beiden als Geldautomaten-Sprenger aktenkundig sein. Sie sind der Polizei namentlich bekannt.

Am Mittwoch war ein Mann vor einer Kontrolle geflohen und hatte einen Beutel mit Sprengstoff zurückgelassen. Ein mutmaßlicher Komplize soll vom selben S-Bahnhof geflüchtet sein. Er soll etwa 30 Jahre alt sein und einen kurzen Bart tragen. Die Staatsanwaltschaft bestätigte dies am Freitag zunächst nicht. Zuerst berichtete die „Bild“. Dem Bericht zufolge sollen die Gesuchten keinen festen Wohnsitz haben.

Am Freitag waren Polizeibeamte auf einem Bahnsteig des S-Bahnhofs Neukölln zu sehen.

© dpa/Soeren Stache

Laut Staatanwaltschaft soll der Mann, der den Sprengstoff zurückließ, 30 bis 35 Jahre alt sein, zwischen 1,85 und 1,90 Meter groß sein und einen Kinnbart tragen.

Was wollten die Männer mit TATP?

Bislang sind jedoch viele Fragen offen. Die Ermittler rätseln, was die beiden Männer mit dem Sprengstoff TATP (Triacetontriperoxid) vorgehabt haben könnten. Nach Tagesspiegel-Informationen hatten sie 500 Gramm des hochexplosiven Stoffes in einer Plastikflasche dabei, diese war umwickelt mit Draht für die Zündung.

Es sind vor allem Terrororganisationen wie der „Islamische Staat“, die TATP für Anschläge nutzen und die riskante Herstellung auch in Videos erklären. Solche Sprengfallen der Terroristen mit Fernzündung per Kabel sind aus Syrien und Irak bekannt.

Laut Staatsanwaltschaft gibt es bislang keine konkreten Hinweise auf einen geplanten Terroranschlag. „Es gibt mehrere denkbare Szenarien“, sagte ein Sprecher der Behörde am Donnerstag. Diese würden geprüft. Ein Terrorverdacht habe sich bislang nicht erhärtet.

Bei TATP führen schon kleine Schläge zur Zündung

Automatensprenger nutzen verschiedene Sprengmittel. Sie arbeiten unter anderem mit Gas, das in die Automaten eingeleitet wird, andere nutzen Schwarzpulver oder militärischen Sprengstoff. Bereits vor wenigen Jahren warnte das bayerische Landeskriminalamt die Feuerwehr im Freistaat offiziell davon, dass die Geldautomatensprenger zumindest dort überwiegend TATP nutzen und diese Sprengsätze dann „fast ausschließlich elektrisch mittels Kabel“ zünden. Dabei werden an den Gebäuden teils schwere Schäden verursacht, in Bayern sind vor allem Banden aus den Niederlanden und Belgien aktiv.

Ein halbes Kilogramm TATP hat eine enorme Sprengkraft. Allein die Herstellung ist extrem riskant. Der Sprengstoff ist zudem chemisch höchst instabil. Kleine Schläge führen zur Zündung. Deshalb rätseln auch die Ermittler, warum die beiden Gesuchten damit einfach durch die Stadt gelaufen sind. Bereits als einer der Männer sich von den Polizisten losriss und den Beutel fallen ließ, hätte das TATP explodieren können.

Der Vorfall ereignete sich am Mittwochnachmittag gegen 15.30 Uhr. Wie Polizei und Staatsanwaltschaft mitteilten, wollten Bundespolizisten einen Mann auf dem S-Bahnhof Neukölln verdachtsunabhängig kontrollieren, doch der Unbekannte flüchtete über die S-Bahn-Gleise in Richtung Lahnstraße.

Die Beamten versuchten noch, den Mann festzuhalten und griffen dabei den Stoffbeutel, den er dabei hatte. Darin fanden die Einsatzkräfte schließlich den Sprengstoff. Zunächst sprachen Behörden nur von einem Verdächtigen.

Die „Bild“ veröffentlichte ein Foto, auf dem eine mit Kabeln und angeblichem Panzerband umwickelte Flasche zu sehen ist. Dabei soll es sich um den Inhalt des Beutels handeln. Das Blatt veröffentlichte auch ein Foto, das den Verdächtigen zeigen soll. Die gezeigte Person trägt darauf eine Kapuzenjacke oder einen Hoodie, über der rechten Schulter hängt ein heller Beutel. 

Kontrollierte Sprengung in Neuköllner Park

Beamten brachten den explosiven Fund am Mittwoch vom S-Bahnhof Neukölln in den Park Thomashöhe. Dort hoben Einsatzkräfte der Feuerwehr ein Loch aus, in dem der Gegenstand laut Polizei gegen 19.50 Uhr kontrolliert gesprengt wurde. Laut Anwohnern war die Detonation mehrere Hundert Meter weit zu hören, Dutzende Alarmanlagen von Autos seien durch den Knall ausgelöst worden. 

Bei der Fahndung wertet die Polizei auch Videoaufnahmen aus dem S-Bahnhof Neukölln aus.

© dpa/Christoph Soeder

Die Polizei hatte den Bereich rund um die Parkanlage an der Thomasstraße zuvor weiträumig abgesperrt. Für Anwohner habe keine Gefahr bestanden, hieß es von Polizei und Staatsanwaltschaft. Der Bahnverkehr am S-Bahnhof Neukölln sei durch den Einsatz nicht beeinträchtigt gewesen, hieß es. 

War der Verdächtige mit falschem Ausweis unterwegs?

Nach dpa-Informationen verlor der gesuchte Verdächtige bei seiner Flucht einen Ausweis. Dieser soll aber nicht ihm gehört haben, sondern das Dokument soll auf einen anderen Mann ausgestellt worden sein – laut „B.Z.“ auf einen 30-jährigen Polen. Der Ausweis soll laut „B.Z.“ aber seit dem 21. Januar 2022 als gestohlen oder unterschlagen gemeldet sein. Dem Bericht nach will ein sogenannter „Super-Recognizer“ der Polizei auf Überwachungsvideos aber erkannt haben, dass es sich bei dem flüchtigen Mann nicht um den Polen, dessen Ausweis gefunden wurde, handeln soll.

Am Donnerstag geht auf dem Bahnsteig des S-Bahnhofs Neukölln alles wieder seinen gewohnten Gang.

© Mia Veigel/Julia Schymura

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) dankte am Donnerstag der Bundespolizei „für ihre Wachsamkeit und ihren Einsatz, mit dem möglicherweise Schlimmeres verhindert wurde“.

„Die Gefährdungslage in Berlin ist seit vielen Monaten angespannt“, sagte Wegner weiter. Umso wichtiger sei die Unterstützung durch die Bundespolizei auch in Berlin oder auch der Einsatz technischer Möglichkeiten wie Videoüberwachung. „Ich habe vollstes Vertrauen in die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden.“

Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP), sagte am Mittwochabend: „Es ist leider so, dass man mit entsprechenden Kenntnissen auch aus handelsüblichen Substanzen Stoffe zusammenmixen kann, mit denen sich großer Schaden anrichten lässt und genau deshalb sollten wir auch beim kleinsten Anhaltspunkt hellwach sein.“ (mit dpa)

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