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Zahlreiche Wählerinnen und Wähler warten im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg in einer langen Schlange vor einem Wahllokal, das in einer Grundschule untergebracht ist.

© Foto: dpa/Hauke-Christian Dittrich

Update

Nach Urteil des Verfassungsgerichts: Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Wahlwiederholung in Berlin

Alles auf Anfang. Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass die Berlin-Wahl wiederholt werden muss. Ein Überblick.

| Update:

In Berlin müssen drei Wahlen wiederholt werden - ein bislang beispielloser Vorgang. Für die Bundestagswahl lag bereits ein Wiederholungsbeschluss vor. Am Mittwoch hat der Verfassungsgerichtshof des Landes über die Gültigkeit der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen entschieden. Fragen und Antworten dazu.

Was war passiert?

Am 26. September 2021 wurden in Zeiten der Corona-Pandemie in Berlin der Bundestag, das Abgeordnetenhaus und die zwölf Bezirksparlamente neu gewählt. Hinzu kam ein Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungskonzerne. Nebenher lief außerdem der Berlin-Marathon. Folge dieser Ballung und schlechter Vorbereitung waren Pannen und massive organisatorische Probleme. Dazu zählten falsche, fehlende oder eilig kopierte Stimmzettel, zu wenige Wahlurnen, lange Schlangen mit teils stundenlangen Wartezeiten. Vielfach stimmten Wähler nach 18 Uhr ab, teils noch Stunden nach der offiziellen Schließungszeit. Vor diesem Hintergrund gingen 35 Einsprüche gegen die Wahl beim Verfassungsgericht ein.

Wer hat nun worüber entschieden?

Über die Gültigkeit der Wahl zum Abgeordnetenhaus sowie damit zusammenhängend der Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen hat nach mehreren Einsprüchen der Verfassungsgerichtshof des Landes entschieden. Das Urteil wurde am Mittwoch verkündet.

Wegen „schwerer systemischer Mängel“ schon bei der Vorbereitung der Wahl sowie einer „Vielzahl schwerer Wahlfehler“ sei die Wahl ungültig und müsse wiederholt werden, erklärte Gerichtspräsidentin Ludgera Selting. „Nur so kann eine Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen gewährleistet werden, die den rechtlichen Anforderungen an demokratische Wahlen entspricht.“ Die Fehler hätten Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Parlaments und die Verteilung der Mandate. 88 von 147 Parlamentssitzen seien von mandatsrelevanten Wahlfehlern betroffen. Genau lasse sich indes nicht feststellen, wie viele Menschen ihre Stimme nicht abgeben konnten oder unter irregulären Umständen wählen mussten. Wahlfälschungen oder andere Manipulationen habe es nicht gegeben, so das Gericht, das sein Urteil mit 7:2 Richterstimmen fällte.

Muss die Wahl zum Abgeordnetenhaus komplett wiederholt werden?

Ja. Schon in einer mündlichen Verhandlung am 28. September hatte das Gericht sehr deutlich eine komplette Wiederholung in Betracht gezogen. Bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahl habe es viele schwere Wahlfehler gegeben, so Gerichtspräsidentin Ludgera Selting. Diese seien mandatsrelevant gewesen - sie hatten nach vorläufiger Wertung des Gerichts also Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Parlaments und die Verteilung der Mandate.

Die Richter des Verfassungsgerichtshofes Ulrike Lembke (l-r), Sönke Hilbrans, Jürgen Kipp, Sabrina Schönrock, Ludgera Selting (Präsidentin), Robert Wolfgang Seegmüller, Ahmet Kurt Alagün, Margarete Gräfin von Galen und Christian Burholt stehen vor Beginn einer mündlichen Verhandlung in einem Hörsaal der Freien Universität Berlin in Dahlem.
Die Richter des Verfassungsgerichtshofes Ulrike Lembke (l-r), Sönke Hilbrans, Jürgen Kipp, Sabrina Schönrock, Ludgera Selting (Präsidentin), Robert Wolfgang Seegmüller, Ahmet Kurt Alagün, Margarete Gräfin von Galen und Christian Burholt stehen vor Beginn einer mündlichen Verhandlung in einem Hörsaal der Freien Universität Berlin in Dahlem.

© dpa / Annette Riedl

Wann wird die Wahl wiederholt?

Die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zur Bezirksverordnetenversammlung sollen wie erwartet am 12. Februar 2023 wiederholt werden. Das teilte Landeswahlleiter Stephan Bröchler am Mittwoch mit, nachdem der Berliner Verfassungsgerichtshof die Abstimmungen vom September 2021 für ungültig erklärt hatte. Die offizielle Bekanntgabe des Termins erfolge am Freitag im Amtsblatt, so Bröchler.

Und was ist mit der Bundestagswahl?

Die muss nach einem am 10. November gefassten Beschluss des Bundestages auf Basis einer Empfehlung seines Wahlprüfungsausschusses teilweise wiederholt werden. Konkret geht es um 327 von 2256 Wahlbezirke sowie um 104 von 1507 mit ihnen verbundene Briefwahlbezirke. Die fraglichen Wahlbezirke liegen in allen zwölf Berliner Bundestagswahlkreisen, Wähler sollen dort Erst- und Zweitstimmen erneut abgeben können. Allerdings wird damit gerechnet, dass dies noch nicht das letzte Wort ist und am Ende das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Denn diejenigen, die gegen die Bundestagswahl Einspruch eingelegt haben, könnten nun Karlsruhe anrufen.

Und der Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“?

Der wahrscheinlich anstehende Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“ wird voraussichtlich nicht zusammen mit der Wiederholung der Berlin-Wahl durchgeführt. Das teilte die Senatsinnenverwaltung dem Tagesspiegel mit. Die Initiative hatte sich erhofft, dass Wahl und Volksentscheid zusammenfallen, weil sie sich dadurch eine größere Beteiligung erwarten. „Ein Zusammenfallen der möglichen Wiederholungswahl und des Volksentscheids ist unwahrscheinlich“, sagte Innenverwaltungssprecher Thilo Cablitz. Der organisatorische Aufwand wäre groß.

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Könnten alle Wahlwiederholungen an einem Termin stattfinden?

Das hängt davon ab, ob das Bundesverfassungsgericht in der Frage einer Wiederholung der Bundestagswahl mit ins Spiel kommt. Falls ja, benötigt es wohl einige Zeit, um eine derart bedeutsame Entscheidung treffen zu können. In dem Fall würden im Februar zunächst wohl nur das Berliner Abgeordnetenhaus und die Bezirksparlamente erneut gewählt, der Bundestag dann zu einem späteren Zeitpunkt.

Beginnt mit einer Wiederholungswahl die Legislaturperiode in Berlin neu?

Nein, sie endet weiterhin fünf Jahre nach der Wahl vom September 2021, also im Herbst 2026. Denn es handelt sich nicht um eine Neuwahl, sondern um eine Wiederholungswahl, bei der als Direktkandidaten sowie auf den Landes- oder Bezirkslisten der Parteien dieselben Bewerber antreten wie 2021. Um eine Neuwahl zu initiieren, müsste das Abgeordnetenhaus mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschließen, die Wahlperiode vorzeitig zu beenden. Das stand aber nicht zur Debatte.

Bleiben Abgeordnete und Senat bis zur Wahlwiederholung im Amt?

Ja. Der Verfassungsgerichtshof erklärte, dass alle bis zur Konstituierung des neuen Parlaments nach der Wiederholungswahl erlassenen Rechtsakte wirksam bleiben. „Das Abgeordnetenhaus ist bis zu diesem Zeitpunkt zur Sicherstellung der Kontinuität staatlichen Handelns weiter berechtigt, seine Aufgaben wahrzunehmen“, hieß es. Auch der Senat - so heißt die Berliner Regierung - arbeitet weiter.

Wer darf wählen?

Alle am Wahltag Wahlberechtigten. Für die Abgeordnetenhauswahl sind das Menschen, die Deutsche, mindestens 18 und seit mindestens drei Monaten ihren Wohnsitz in Berlin haben. Bei den BVV-Wahlen dürfen zusätzlich 16- und 17-Jährige sowie in Berlin lebende EU-Ausländer ihre Stimme abgeben. Das Wählerverzeichnis, in dem alle Betreffenden drinstehen, wird aktualisiert und somit nicht mehr den Stand vom September 2021 abbilden. Wer damals wählte, inzwischen aber aus Berlin weggezogen ist, kann nun keine Stimme mehr abgeben - dafür seither Zugezogene oder Wähler, die damals noch zu jung waren.

Was ändert sich nach der Wahl?

Zunächst einmal die Mehrheitsverhältnisse im Parlament. Das kann zur Folge haben, dass eine andere Koalition gebildet wird und die bisherige Oppositionspartei CDU beteiligt ist. Sollten die bisherigen Koalitionäre SPD, Grüne und Linke zusammen weiter eine Mehrheit haben, könnten sie - wenn sie dies wollten - weitermachen. Spannend dürfte dann aber sein, was passiert, wenn die Grünen statt der SPD stärkste Partei werden. Letzten Umfragen zufolge ist das nicht unrealistisch. Dann hätten die Grünen Anspruch auf den Rathaussessel. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) müsste Platz machen für ihre bisherige Stellvertreterin, Umwelt- und Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne).

Was wurde getan, um Wahlen besser zu organisieren?

Mit dem Verwaltungswissenschaftler Bröchler hat Berlin seit dem 1. Oktober einen neuen Landeswahlleiter. Um einen „reibungsarmen“ Ablauf zu sichern, wie er es formulierte, sollen in jedem Wahllokal mehr Wahlkabinen bereitstehen. Statt 34.000 Wahlhelfern sollen mindestens 38.000 im Einsatz sein. Ihre Entschädigung, das „Erfrischungsgeld“, wurde von 60 auf bis zu 240 Euro erhöht. Zudem sind bessere Schulungen geplant. Papier und Stimmzettel sollen in höherem Maße als 2021 geordert werden.

Bröchler zufolge will das Land 140 Prozent des notwendigen Bedarfs bestellen, um bei Problemen schnell reagieren zu können. Wichtig ist ihm auch eine engere Verzahnung der Landeswahlleitung mit den Verantwortlichen der Bezirke. Am Wahltag sowie am Tag davor und am Tag danach sollen Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit erhalten, auf digitalem Weg Probleme bei den Wahlen zu melden.

Was kostet das Ganze?

Für die Berliner Wiederholungswahlen auf Bundes-, Landes- und Bezirksebene sind 39 Millionen Euro veranschlagt. Das ist die dreifache Summe verglichen mit dem Jahr 2021. (Tsp, dpa)

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