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Polizisten wickelten am Sonntag eine große Ukrainische Fahne bei einer Gedenkveranstaltung vor dem Sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten ein.

© Christophe Gateau/dpa

Update

Senat sieht sie als Zeichen für Gewaltbereitschaft: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bestätigt Verbot ukrainischer Flaggen

Die Empörung über das Verbot ukrainischer Fahnen beim Weltkriegsgedenken ist groß. Die Berliner Justiz ist sich in der Bewertung nicht einig.

Nach Ansicht des Berliner Senats sind ukrainische Flaggen an den 15 Ehrenmalen beim Gedenken am 8. und 9. Mai dazu geeignet, „Gewaltbereitschaft zu vermitteln“. Damit ist jedenfalls das Verbot ukrainischer wie auch sowjetischer und russischer Flaggen begründet worden.

Nachzulesen ist das in der Allgemeinverfügung der Polizei, die für die 15 Ehrenmale und Gedenkorte die Versammlungsfreiheit eingeschränkt hat. Neben Fahnen wurden auch das Tragen militärischer Uniformen, die in Russland für den Angriffskrieg auf die Ukraine verwendeten Buchstaben „V“ und „Z“, aber auch Militärmusik an diesen Orten untersagt.

Jetzt zeigt sich: Das Verbot ukrainischer Fahnen war offenbar vom Berliner Senat politisch durchgesetzt geworden – ist aber rechtlich fragwürdig. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Senat versucht, die Polizei politisch zu instrumentalisieren – und die Polizei dann rechtlich große Mühe hat, die Vorgaben sauber umzusetzen.

Am Montagabend dann hob das Verwaltungsgericht das Verbot von Ukraine-Flaggen zumindest für eine kleine und kurze Versammlung am Museum Karlshorst zunächst auf. Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit sei nicht erkennbar. Das von der Polizei verhängte Verbot beziehe sich auf Erkenntnisse von pro-russischen Versammlungen mit Fahnen – nicht auf pro-ukrainische Demonstrationen. Zudem sei die Versammlung viel zu klein und zu weit abseits des Stadtzentrums, um einschüchternd zu wirken. Der Eindruck der Gewaltbereitschaft sei nicht zu befürchten.

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Nur wenige Stunden später kassierte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) diesen Beschluss jedoch wieder. Eine Begründung dafür teilte das OVG am Abend nicht mit.

Politisch gibt es an dem Verbot ukrainischer Fahnen ohnehin massive Kritik. Denn am Sonntag gingen Bilder um die Welt, auf denen zu sehen ist, wie deutsche Polizisten die Ukraine-Fahne vor den Weltkriegsehrenmalen einholen. „Mit dem Verbot ukrainischer Symbole hat Berlin einen Fehler gemacht“, erklärte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba.

Es sei sehr falsch, sie ebenso zu behandeln wie russische Symbole. Friedlichen Protestierenden eine ukrainische Flagge wegzunehmen, sei ein Angriff auf jeden, der Europa und Deutschland mit dieser Flagge in der Hand gegen russische Aggression verteidige. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk sprach von einer „Riesenblamage für Berlin“, er sei sprachlos und traurig.

Bundestagsvize: Verbot hilft Putins Propaganda

"Ich hätte das anders entschieden", sagte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) am Montag im Fernsehsender "ntv". Sie glaube, das Verbot helfe am Ende der Propaganda des russischen Präsidenten Wladimir Putin. "Hinterher ist man auch schlauer", fügte die Grünen-Politikerin.

Äußerte Zweifel am Flaggenverbot, das auch für Ukraine-Flaggen gilt: Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne).
Äußerte Zweifel am Flaggenverbot, das auch für Ukraine-Flaggen gilt: Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne).

© Soeren Stache/dpa

Auch Berlins ehemalige Regierender Bürgermeister, Michael Müller (SPD), kritisierte das Verbot. "Es ist vielleicht nicht die klügste Entscheidung gewesen, jetzt hier so vorzugehen", sagte Müller (SPD) am Sonntagabend dem Sender "Bild".

Er könne jedoch nachvollziehen, vor welchem Hintergrund Polizei und Senat so entschieden haben. Sie hätten vermutlich „jede Form von Eskalation, von Provokation" vermeiden wollen, sagte Müller, der inzwischen für die SPD im Bundestag sitzt. Möglicherweise hätte es aber auch „einen anderen Entscheidungsspielraum“ gegeben.

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Der Senat hatte das Verbot ukrainischer Flaggen am Wochenende verteidigt. Es gelte, an den Gedenkorten, die sowohl an russische als auch an ukrainische Gefallene erinnerten, „jede Konfrontation zu verhindern“ und ein würdevolles Gedenken zu ermöglichen. Nun wird deutlich: Für das Verbot der Ukraine-Fahnen musste die Polizei eine Begründung finden – und die fiel rechtlich zweifelhaft aus.

Die Polizei beruft sich beim Flaggenverbot auf das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) und das Versammlungsfreiheitsgesetz. Demnach könnten die Ukraine-Fahnen die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden, vor allem aber könnte eine Versammlung mit ukrainischen Fahnen an den Ehrenmalen „geeignet oder dazu bestimmt sein, Gewaltbereitschaft zu vermitteln“. Diese Gefahr ist jedenfalls im Versammlungsfreiheitsgesetz als Grund dafür benannt, für Versammlungen Auflagen zu erteilen, sie aufzulösen oder zu verbieten.

Linke-Innenexperte hält Verbot von Ukraine-Fahnen für nicht tragbar

Die Innenverwaltung ließ die Frage unbeantwortet, warum aus ihrer Sicht ukrainische Fahnen beim Weltkriegsgedenken Gewaltbereitschaft vermitteln könnten. Die Polizei begründete das Verbot mit der Gesamtbetrachtung möglicher Gefahren sowie mit dem öffentlichen Frieden. Das Verbot beuge „gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen einem pro-russischen und einem pro-ukrainischen Lager vor“.

Die Polizei erklärte, es sei „klarzustellen, dass Nationalflaggen, vor allem die ukrainische Flagge, grundsätzlich keine Gewaltbereitschaft vermitteln“. Im Einzelfall könne dies jedoch anders sein. „Im Falle eines ukrainisches Fahnenmeers an den begrenzten Gedenkorten kann ein solcher Eindruck auf russische Gedenkende entstehen, auch wenn dies gar nicht beabsichtigt ist“, erklärte die Behörde. Daher solle „bereits jede mögliche subjektive Einschüchterungswirkung ausgeschlossen werden“, um allen Menschen ein würdiges und friedvolles Gedenken zu ermöglichen und „mögliche Auseinandersetzungen bis hin zu erheblichen Straftaten zu verhindern“.

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Der Rechtsexperte der Linksfraktion, Sebastian Schlüsselburg, äußerte am Montagmorgen massive Zweifel am Vorgehen der Polizei. Die Allgemeinverfügung der Polizei zum pauschalen Verbot der Ukraine-Flagge oder der historischen Flagge der Sowjetunion habe „erwartbar zu Problemen geführt“, erklärte er. Schlüsselburg hält es „für juristisch nicht tragbar“, dass sich die Polizei darauf berufe, die Ukraine-Flagge könnte Gewaltbereitschaft vermitteln.

Statt eines Vorabverbotes wäre es maximal möglich, jeweils im Einzelfall vor Ort den Gebrauch von Ukraine-Fahnen zu beschränken. Denn es habe auch keine Anzeichen für problematisches Verhalten oder eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit gegeben, sagte Schlüsselburg.

CDU-Generalsekretär will gegen Verbot von Ukraine-Flaggen klagen

Der FDP-Innenpolitiker Björn Jotzo kritisierte Innensenatorin Iris Spranger (SPD): „Mit dem Verbot von Flaggen an vielen Orten in unserer Stadt ist die Innensenatorin über das Ziel hinausgeschossen“, sagte Jotzo.“ Das Bild zwangsweise eingerollter ukrainischer Fahnen schadet dem Image unserer Stadt in der ganzen Welt.“

Wie berichtet will Berlins CDU-Generalsekretär Stefan Evers am Montag nachträglich gegen das Verbot ukrainischer Fahnen klagen, er will es für rechtswidrig erklären lassen. Evers, CDU-Landeschef Kai Wegner und andere Unionspolitiker wollten am Sonntag am Gedenken am sowjetischen Ehrenmal an der Straße des 17. Juni in Tiergarten teilnehmen. Die Polizei habe ihnen das Mitführen ukrainischer Fahnen verwehrt, sagte Evers. „Diese Entscheidung des Senats ist eine Schande für Berlin“, hatte er erklärt.

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Die Polizei verwies auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Es hatte am Sonntag das Verbot von sowjetischen Fahnen bestätigt. Geklagt hatte die DKP wegen ihrer Versammlung am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park. Die Gefahrenprognose der Polizei sei angesichts der angespannten Sicherheitslage nachvollziehbar und scheine sich „angesichts der Live-Berichterstattung im Tagesspiegel (12.55 Uhr) offenbar zu bestätigen“, wie es unter anderem im Beschluss hieß.

Demnach habe das Zeigen einer roten Flagge vor dem Sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten eine aggressive Stimmung unter den Demonstranten ausgelöst. Eindeutig machten die Richter klar, dass die Sowjetfahnen zu dem Eindruck führten, Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine werde gebilligt.

Bereits Ende April hatten Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht die Vorgaben der Polizei für einen prorussischen Autokorso und die massive Beschränkung auf nur wenige Russland-Fahnen bestätigt. Denn ein russisches Fahnenmeer könnte militant, militant, „martialisch“ und „einschüchternd“ wirken und den Eindruck eines Siegeszuges hervorrufen. Dies könne in der aktuellen Lage als Unterstützung des Angriffskriegs gedeutet werden.

Zur Erklärung muss man wissen: Die Billigung von Angriffskriegen kann strafbar sein. Inwiefern aber die ukrainischen Fahne in Berlin Gewalt und Krieg rechtfertigen könnten, war noch kein Thema für die Gerichte.

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