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Schriftstellerin Tanja Dückers mit einer Tafel Schokolade in ihrem Laden.

© Thilo Rückeis

"Preußisch süß": Berliner Ortsteile zum Vernaschen

Die Autorin Tanja Dückers macht jetzt in Schokolade. Ihre Kreationen sind inspiriert von Ortsteilen – herb bis veilchensüß.

„Kakaoblau“ heißt ein Gedichtband der in Berlin lebenden Lyrikerin Ursula Krechel, der 1989 in einem neutralen Einband erschien. Während dieses „Kakaoblau“ mit seinen reizvollen Doppelvokalen nur im Kopf der Leserin oder des Lesers Farbe annimmt, prescht in der Schokoladenedition „Preußisch Süß“ von Krechels Autorenkollegin Tanja Dückers ein reales unbekümmertes Himmelblau für Neukölln vor. Der Text auf der Rückseite der Tafel kündigt Action an: „Wehrhafte Haselnuss-Spikes im heldenhaft ausgebreiteten Superman-Rum-Mantel auf einer stolzen Edelbitter mit Mamas Kardamom obendrauf – bitteschön!" Die Tiergarten-Tafel hält sich dagegen in einem verträumten Lavendelblau dezent zurück. Es handelt sich um eine dunkle Schokolade mit siebzig Prozent Kakaoanteil, in der stellvertretend für Novalis’ Blaue Blume echte Heidelbeeren ihr Aroma entfalten, wie Tanja Dückers in ihrem Stadtteil-Steckbrief verrät: „In diesem Bezirk stoßen schicke Kulturforum-Früchtchen (die blaue Beere der Romantik) auf unausrottbare Tiergartengewächse (Brennnessel, Salbei) und rustikale Moabiter Miethaus-Minzen – unverwechselbar!“

Diese Kurzprosa verrät die Berlin-Kennerin, die sich nicht scheut, Klischees zu verwenden und diese zugleich ironisch zu konterkarieren. So wurde die Milchschokolade „Mitte“ mit Kaffee und einer Chilinote befeuert, während in der Wedding-Ausgabe ein Hauch von Bierhefe und Knäcke für die nötige Erdung sorgen.

Neukölln? Nicht zu lieblich.

„Ich fand, dass bei manchen Stadtteilen wie Wedding, Neukölln und Weißensee, die etwas härtere Stadtteile sind, dunkel besser passt und es nicht zu lieblich schmecken darf.“ Fünfzehn mal Berlin à fünfzig Gramm, samt aller Zutaten handgeschöpft und in griffige Quader von vierzehn mal sechs Zentimetern gepresst: Wenn sie vor ihren bunten „Preußisch Süß“-Tafeln in Christoph Wohlfahrts kleiner, originell eingerichteter Gläserner Manufaktur in der Choriner Straße steht, kann Tanja Dückers manchmal selbst kaum glauben, dass sich ihr langgehegter Schokotraum materialisiert hat – und 2017 mit der „Süßen Schnecke für bestes Berliner Naschwerk“ des Naschmarktes in der Kreuzberger Markthalle IX ausgezeichnet wurde.

Der Name ihrer Edition, die der Grafiker Heiko von Schrenk gestaltet, soll einen Akzent gegen Preußens militärische Tradition setzen. Die Idee zu den kalorienreichen Stadtteilporträts – den Ausdruck „Kiez“ vermeidet Tanja Dückers ausdrücklich – kam ihr vor sechs Jahren: „Auf der Rückfahrt von Süddeutschland habe ich mich wieder auf meine Heimatstadt gefreut und über verschiedene Stadtteile nachgedacht und wie heterogen Berlin doch ist, und wie unterschiedlich von ihrem Charakter her die Bezirke sind. Dann kam mir die Idee, da ich sehr gerne Schokolade esse, dass es doch interessant wäre, das nicht in Worte zu fassen, sondern für jeden Stadtteil den treffenden Geschmack zu finden.“

Bio und Fair Trade

Tanja Dückers wurde 1968 in West-Berlin geboren und ist in Wilmersdorf aufgewachsen, dem sie eine Schöpfung mit Zitrus- und Lavendelnoten für die sprichwörtlichen Witwen gewidmet hat. In Romanen wie „Der längste Tag des Jahres“ oder „Hausers Zimmer“ hat sie sich intensiv mit ihrer Heimatstadt auseinandergesetzt, zuletzt erschien das Erinnerungsbuch „Mein altes West-Berlin“, auch für den Tagesspiegel schreibt sie. In dieser Stadt, die sich stets allzu gern mit sich selbst beschäftigt, setzt Tanja Dückers mit ihren Kakaokreationen und den zugehörigen Kommentaren liebevoll-widerborstige Kontrapunkte. So fällt die gelbgewandete Tafel für ihren jetzigen Wohnort Prenzlauer Berg selbstredend „kindgerecht“ aus: „Für diesen Wohlfühlbezirk haben wir geröstete Mandeln und delikate Vanilleschote mit einer runden Vollmilchschokolade verbunden.“ Weiße Schokolade ist bislang Zehlendorf (mit Veilchen) und dem maßgeblich durch David Bowie als „sophisticated“ geltenden Schöneberg (mit Rosenblättern) vorbehalten.

Es sei wichtig, einen guten Geschmack zu kreieren und nicht nur eine witzige Idee umzusetzen, ist Tanja Dückers überzeugt. Folglich gestaltete sich der Schritt in die Praxis schwierig: „Es war eine Herausforderung, eine kleine passende Schokoladen-Manufaktur zu finden, die Lust auf diese etwas verrückte Idee hat. Ich wollte eine Bio- und Fair-Trade-Schokolade machen, denn ich kann als Geschäftsführerin nicht verantworten, dass Kinder in Westafrika statt zur Schule zu gehen, auf der Kakaoplantage herumspringen. Und ich wollte eben auch jemanden als Partner gewinnen, der eine sehr gut schmeckende Schokolade macht, denn vieles im Bio-Fair-Trade-Sektor ist vielleicht ethisch korrekt, schmeckt jedoch staubig und ist nicht aromatisch genug.“

"Die neuen Verwaltungsgrenzen sind keine Identitätsgrenzen"

Der aus Bremen stammende Chocolatier Christoph Wohlfahrt, der vor seiner Selbstständigkeit unter anderem als Chefpatissier im mittlerweile geschlossenen Edelrestaurant Vau von Kolja Kleeberg arbeitete, überprüft höchstpersönlich den biologischen Kakaobohnenanbau in Ecuador und Peru. Erhältlich sind die Schokoladen mittlerweile in mehr als zwanzig Buchhandlungen und Patisserien. Kürzlich belieferte Wohlfahrt die Tourismusmesse ITB mit 150 Kreuzberg-Tafeln, und es sind weitere Stadtteilporträts geplant, darunter Marzahn und Hellersdorf, aber ebenso das wasserreiche Spandau, für das sich eine dunkelblaue Verpackung anbieten würde.

Die Einteilung in Stadtteile entspricht Berlins Charakter am ehesten, findet die Autorin: „Die neuen Verwaltungsgrenzen sind keine Identitätsgrenzen. Wenn man hier in Berlin aufgewachsen ist, dann kann man sich nicht Schöneberg und Tempelhof als einen Bezirk vorstellen. Zum Teil war ja auch die Mauer dazwischen. Manchmal haben wir die großen Bezirke wie Neukölln, aber wir wollen langfristig auch Rudow und so weiter machen.“ Die Dame jedoch, die kürzlich bei einer Präsentation vehement Kaulsdorf von ihr einforderte, wird jedoch noch ein wenig warten müssen, schließlich gibt es 96 Stadtteile in Berlin. Die puristischste Tafel in Schwarzweiß ist Weißensee mit seiner Kunsthochschule gewidmet. Im Begleittext verwandelt Tanja Dückers Kasimir Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ kurzerhand in eine Lakritzschnecke.

Weitere Infos unter www.preussisch-suess.de.

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