zum Hauptinhalt
 Die beiden Angeklagten auf der linken Seite des Saales verdecken sich hinter einer Jacke und einem Poster beim Prozessauftakt durch die Vorsitzende Richterin Susann Wettley (3.r) im Beginn Berufungsprozess nach einer Serie rechtsextremer Straftaten.

© dpa/Carsten Koall

Prozess um rechte Anschläge in Berlin-Neukölln: Welche Rolle spielte der Oberstaatsanwalt F.?

Im Neukölln-Prozess wird es heikel. Ein Anwalt von RAF-Terroristin Daniela Klette vertritt nun den Linke-Politiker Ferat Koçak. Und das Gericht muss über einen in Ungnade gefallenen Staatsanwalt entscheiden.

Stand:

Im Neukölln-Prozess steht die Staatsschutzkammer des Berliner Landgerichts I vor einer schwierigen Entscheidung. Dabei geht es um eine der zentralen offenen Fragen in dem Fall: Hat ein Staatsanwalt die beiden Hauptverdächtigen in der Neuköllner Anschlagsserie geschützt, indem er Anträge der Staatsschutzermittler beim Landeskriminalamt (LKA) auf Durchsuchung, Observation oder Telefonüberwachung abgelehnt hat?

Tatsächlich gibt es dafür bis heute keinerlei Bestätigung. Der Fall des Oberstaatsanwalts F. zeigt vielmehr, wie sehr kleinstes Geraune einen gestandenen Beamten in Bedrängnis bringen kann – von höchster politischer Ebene durch die Justizverwaltung, als diese von Grünen und dann von der Linkspartei geführt wurde.

Nun muss das Gericht unter Vorsitz der erfahrenen Juristin Susann Wettley entscheiden, ob es den Oberstaatsanwalt in den Zeugenstand ruft. Das hat zumindest Gregor Samimi, Verteidiger des angeklagten Rechtsextremisten Sebastian T. , beantragt. Samimi, der derzeit vor dem Landgericht Stuttgart den Gründer der Querdenken-Bewegung, Michael Ballweg, in einem Betrugsprozess vertritt, hat ein Ziel: Er will nachweisen, dass wegen der Brandanschläge in Neukölln gar kein Tatverdacht gegen T. bestand.

Für Ferat Koçak, dessen Auto in der Nacht zum 1. Februar 2018 in Brand gesetzt wurde, ist die Sache hingegen relativ klar: Der Oberstaatsanwalt F., lange Jahre Leiter der politischen Abteilung bei der Staatsanwaltschaft, soll dem zweiten Hauptbeschuldigten im Neukölln-Prozess und früherem AfD-Funktionär Tilo P. gesagt haben, dass er sich keine Sorgen machen müsse. Der Brandanschlag auf Koçak und den Buchhändler Heinz Ostermann ist zentraler Anklagepunkt in dem Verfahren.

Es geht um eine Serie von über 70 rechten Straftaten

Ermittelt worden war vor sieben Jahren zu einem Vorfall an einem AfD-Wahlkampfstand und einer Antifa-Attacke. P. war damals von Oberstaatsanwalt F. vernommen worden. Später schrieb P. einem rechtsextremen Kumpan per Chat, F. habe ihm gesagt, dass er sich keine Sorgen machen brauche. P. vermutete, dass F. AfD-nahe sei.

Schon damals waren P. und T. die Hauptverdächtigen in der Serie mit mehr als 70 Straftaten, darunter zahlreiche Brandanschläge, aber auch Bedrohungen. Das Amtsgericht Tiergarten sprach beide mit Blick auf die Brandanschläge auf die Autos von Koçak und Ostermann vor knapp zwei Jahren mangels Beweisen frei. Nach der Berufung der Generalstaatsanwaltschaft stehen P. und T. nun vor dem Landgericht.

Für Koçak war der Prozess damals in erster Instanz „von vornherein zum Scheitern verurteilt“, weil in einem organisierten rechten Netzwerk „Polizei und Justiz verstrickt sind“. Das sagte er unter anderem nach dem ersten Prozess zu Journalisten.

Der Linke-Politiker Ferat Koçak zeigt auf seinem Handy ein Foto von seinem brennenden PKW.

© IMAGO/Reto Klar

Immer wieder wiederholt Koçak auch jene Lesart der Geschichte über Oberstaatsanwalt F., bei der einem Neonazi mehr Glauben geschenkt wird als einem Beamten. Inzwischen lässt sich Koçak von einem linken Szeneanwalt vertreten: Lukas Theune ist auch Verteidiger der in Berlin gefassten früheren RAF-Terroristin Daniela Klette.

Ermittler fand „höchst ungewöhnlich“, dass Staatsanwalt Zeugen befragt

Zur Wahrheit im Neukölln-Komplex gehört auch, dass Kriminalbeamte vor dem Untersuchungsausschuss und vor Gericht ausgesagt haben, dass sie immer wieder erfolglos bei Oberstaatsanwalt F. Anträge auf Durchsuchungen, Observationen oder Telefonüberwachung beantragt hatten.

Der Ermittler, der den Chat zu Oberstaatsanwalt F. auf P.s Handy entdeckte, gab vor Gericht an, dass er es „höchst ungewöhnlich“ fand, dass ein Oberstaatsanwalt selbst einen Zeugen befragte. Noch dazu in einem eher banalen Verfahren wie der Attacke auf den AfD-Stand.

Insofern geht es für F., der im Februar als Zeuge im Untersuchungsausschuss aussagen soll, auch um die Frage: Steht er selbst als Beschuldigter vor Gericht? Und wie soll er sich um Untersuchungsausschuss verhalten?

Generalstaatsanwältin musste Beamten entlasten

Dazu befragte Staatsanwälte schütteln über den ganzen Fall den Kopf. Es sei Tagesgeschäft, Anregungen der Polizei darauf zu überprüfen, ob sie anhand vorliegender Fakten und Anhaltspunkte rechtmäßig sind und vor Gericht standhalten dürften.

Dennoch hatten Generalstaatsanwältin Margarete Koppers und der damalige Justizsenator Dirk Behrendt den Beamten Anfang August 2020 orchestriert an den Pranger gestellt. Sie erklärten, es gäbe Umstände, die die Befangenheit des Oberstaatsanwalts für möglich erscheinen lassen.

Margarete Koppers, Generalstaatsanwältin in Berlin.

© dpa/Britta Pedersen

Schon damals gab es „keine Beweise oder andere Indizien“ für die angebliche AfD-Nähe von F. Es bestanden zwar für „strafbare oder disziplinarrechtlich relevante Handlungen keinerlei Anhaltspunkte“. Dennoch wurden F. und ein weiterer mit dem Neukölln-Komplex betreuter Staatsanwalt versetzt, die Generalstaatsanwaltschaft zog den Fall an sich – angeblich zum Schutz aller Beteiligten und um jeden zwielichtigen Anschein entgegenzuwirken.

Zehn Monate später, nachdem eine Expertenkommission die Ermittlungen zum Neukölln-Komplex geprüft hatte, erklärte Koppers im Mai 2022: Die Experten seien zum selben Ergebnis wie die Generalstaatsanwaltschaft gekommen. Nämlich, „dass es in der Sachbearbeitung durch die beiden Staatsanwälte keine Anhaltspunkte für die (…) Besorgnis einer Parteilichkeit oder gar Manipulation gibt“.

Linke-Senatorin hielt Oberstaatsanwalt von Prüfungen fern

Für Oberstaatsanwalt F. war die Affäre damit noch nicht vorbei. Zwei Jahre später, im Sommer 2022, wies die damals Linken-geführte Hausleitung der Senatsjustizverwaltung einen kurz vor der Pensionierung stehenden Abteilungsleiter an, F. bis zum Abschluss des Neukölln-Untersuchungsausschusses keine Referendare mehr prüfen zu lassen – also bis spätestens zur Abgeordnetenhauswahl 2026.

Zwar sei F. als Prüfer immer geschätzt worden, befand die Justizverwaltung. Aber allein „mögliche öffentliche kritische Erörterungen“ zum Fall F. im Untersuchungsausschuss könnten „Befürchtungen bei den Prüflingen auslösen“. Sie könnten dem Prüfer „mit besonderem Misstrauen begegnen“. Obendrein hätten Referendare vermehrt telefonische nachgefragt, ob F. an Prüfungen beteiligt sei. Ein Prüfling habe sogar darum gebeten, einer anderen Prüfungskommission zugeordnet zu werden, dem sei entsprochen worden.

Personalvertretung befürchtete „bloß politisch gewünschte Ergebnisse“

Welche Schockwellen der Entzug der Prüferlaubnis in der Justiz damals ausgelöst hat, zeigt ein internes Schreiben. Der Hauptrichter- und Hauptstaatsanwaltsrat schrieb einen Protestbrief an die Justizverwaltung. Der vermittelte nicht die konkrete Angst vor einem Eingreifen der Politik in die Justiz, sondern zeigte auch, wie sehr der Vorgang den damals laufenden ersten Neukölln-Prozess belastete.

Der Fall „gibt es für uns Anlass, Zweifel zu hegen, ob hier die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden“, hieß es in dem zweiseitigen Schreiben. Das Gremium vermutete, „dass der Vorgang nicht von Ihnen“ – dem Abteilungsleiter – „persönlich angestoßen wurde“, sondern eben von der politischen Hausleitung.

Abstrafung von Richterin Ulrike Hauser im ersten Neukölln Prozess befürchtet

Dabei sei zuvor ein „relevantes Fehlverhalten des Kollegen explizit ausgeschlossen“ worden. F. sei im „Rahmen seiner bisherigen Prüfertätigkeit (…) mehrfach visitiert worden, ohne dass es zu Beanstandungen gekommen ist“. Zum Stopp der Prüfungserlaubnis meinte das Personalgremium: „Bloß politisch gewünschte Ergebnisse sind kein Widerrufsgrund.“

Der Hauptrichter- und Hauptstaatsanwaltsrat befürchtete damals sogar Folgen für den ersten Neukölln-Prozess vor dem Amtsgericht Tiergarten. Die Vorsitzende Richterin Ulrike Hauser, die ebenfalls Jura-Prüferin ist, könnte als „nächste auf der Negativliste“ stehen, warnte das Gremium in den Schreiben. Der Grund: Hauser hatte zunächst „den Parteigenossen der Senatorin“ – also Koçak – „nicht als Nebenkläger zugelassen“. Die Personalvertretung fragte: „Droht ihr als Abstrafung auch ein Entzug der Prüfertätigkeit?“

Ziel des Antrags: Sebastian T. sei ungerechtfertigt ins Visier der Ermittler geraten

F. wehrte sich schließlich gegen seinen Abzug als Prüfer und bekam vor zwei Instanzen recht. Anfang 2023 entscheid das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) abschließend, dass die damals von Lena Kreck (Linke) geführte Justizverwaltung rechtswidrig gehandelt habe. Sie habe allein „individuelle Empfindlichkeiten“, aber keine sachlichen Gründe angeführt. Dem Juristen den Prüferjob zu nehmen, war demnach reine Willkür.

Die Staatsschutzkammer des Landgerichts I muss nun entscheiden, ob die Aussage von F. für die Frage der Schuld- und Tatnachweises gegen P. und T. von Belang ist. Verteidiger Samini will damit auch den Staatsschutz des LKA angehen: Dieser habe den Oberstaatsanwalt zu rechtswidrigen Anträgen für Durchsuchungsbeschlüsse gedrängt, befand Samini in seinem Antrag. Seine Vermutung: Neonazi T. sei ungerechtfertigt ins Visier der Ermittler geraten.

Wenn der Oberstaatsanwalt sich seitens der Ex-Justizsenatorin unter Druck und Restriktionen ausgesetzt gesehen haben sollte, muss das im Untersuchungsausschuss geklärt werden.

Mirko Röder, Verteidiger des angeklagten Neonazis Tilo P.

Sollte das Gericht die Zeugenvernehmung des Beamten F. ablehnen, könnte dies ein Grund für eine Revision sein. Die Generalstaatsanwaltschaft erklärte hingegen, das Gericht müsse dem Antrag trotz seiner Aufklärungspflicht nicht nachkommen. Zugleich erklärte die Generalstaatsanwaltschaft jeglichen Verdacht gegen F. für hinfällig.

Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass T. willkürlich ins Visier der Polizei geraten sei, erklärte die Behörde. Obendrein sei es Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die Voraussetzungen für Anträge auf Durchsuchung oder Observation vor Gericht zu prüfen. Dabei sei es nicht ungewöhnlich, dass Polizei und Staatsanwaltschaft die Dinge unterschiedlich bewerten. Das könne aber auch nicht zum Rückschluss führen, die Polizei habe bei den Ermittlungen rechtswidrig gehandelt.

Auch Mirko Röder, Verteidiger von Thilo P., trägt den Antrag zur Vernehmung von F. nicht mit. „Wenn sich der Oberstaatsanwalt seitens der Ex-Justizsenatorin Lena Kreck unter Druck und Restriktionen ausgesetzt gesehen haben sollte, muss das im Untersuchungsausschuss geklärt werden“, sagte Röder. Dazu könne im Parlament auch die Vereinigung der Berliner Staatsanwälte (VBS) beitragen.

Die hatte im Sommer 2020 beklagt, der böse Anschein gegen F. sei genutzt worden, „um aus politischen oder persönlichen Gründen unliebsame Beamte umzusetzen“. Das Ansehen der Berliner Staatsanwaltschaft und Justiz sei durch Koppers’ Vorgehen nachhaltig erschüttert worden. Zudem habe Koppers erst den Verdacht in der Öffentlichkeit befeuert, dass Teile „der Berliner Staatsanwaltschaft von rechten Netzwerken durchzogen sind, die die Verfolgung rechter Delikte bewusst behindern“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })