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Der ersehnte Flieger ins Auslandsjahr. Seit Beginn der Pandemie hob er nur selten ab.

© Boris Roessler/dpa

Erfahrungen trotz Pandemie: Diese Berliner Schüler haben ihr Auslandsjahr nicht aufgegeben

Die meisten Auslandsträume sind im vergangenen Jahr geplatzt – aber nicht alle. Zwei Schülerinnen aus Pankow und ein Schüler aus Spandau berichten.

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Es wurde gerade Herbst, als Miro Badock zum ersten Mal eines der in den USA so berüchtigten High-School-Football-Matches erlebte. „Eine krasse Stimmung war das“, erzählt Miro im Videotelefonat aus dem Hause seiner Gastfamilie in Forsyth-County nahe Atlanta. Der 16-jährige Schüler des Primo-Levi-Gymnasiums in Weißensee erlebt gerade ein Austauschjahr via Partnership International – und das ist keine Selbstverständlichkeit in der Corona-Pandemie.

„In meiner Stufe wollten viele ins Ausland, aber bei 90 Prozent hat es nicht geklappt“, sagt Miro. Dass er seinen drei Jahre lang geplanten Aufenthalt in den USA antreten konnte, war also großes Glück. Zum Footballmatch kam er übrigens in T-Shirt und kurzer Hose – viel zu kalt für die ungemütliche Jahreszeit. Das Match wollte er sich aber nicht entgehen lassen und so blieb er fröstelnd bis zum Ende. Trotz der Kälte und einer knappen Niederlage für seine Schule wurde das Spiel ein Highlight seines bisheriges Auslandsjahres.

Darum, dass solche Auslandserfahrungen auch künftig auf der ganzen Welt möglich sind, sorgt sich Anna Wasielewski. Sie ist Geschäftsführerin des Arbeitskreises gemeinnütziger Jugendaustausch (AJA) und berichtet von einem Rückgang um 70 Prozent bei Auslandsaufenthalten. Denn Austauschorganisationen aus Deutschland arbeiten in den Zielländern mit Partnern.

„Davon sind in der Pandemie viele weggebrochen“, berichtet sie. Strukturell sei somit vieles kaputtgegangen – etwa in Peru oder Ägypten, wohin man derzeit keinen Austausch organisieren könne. „Wir werden nicht staatlich gefördert und durch die Pandemie sind alle Einnahmen weggebrochen,“ sagt Wasielewski.

Über die akuten Pandemieauswirkungen hilft der Bund zwar mit einem zweijährigen Förderprogramm hinweg, und das Geld für inländische Austauschorganisationen kommt dabei auch deren internationalen Partnern zugute, denn diese erhalten eine Art Prämie, wenn ein Austausch stattfindet. Aber die zweijährige Sonderförderung genügt dem AJA nicht: „Wir setzen uns dafür ein, den gemeinnützigen langfristigen Austausch auch dauerhaft zu stärken.“

Miro Badock im Haus seiner amerikanischen Gastfamilie.

© Marian Schuth

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Gefördert wird derzeit vor allem der Gruppenaustausch, etwa im Rahmen von Schulpartnerschaften, der AJA fordert nun eine bessere Finanzierung des langfristigen individuellen – also mindestens sechsmonatigen – Austauschs. Denn Wasielewski beobachtet, dass durch die Pandemie auch im Schulaustausch die soziale Schere weiter aufgeht: „Viele benachteiligte Jugendliche haben Interesse an einem Austausch, machen ihn dann aber doch nicht. Das hat auch finanzielle Gründe.“

Was wohl passiert wäre?

Emilia Blum, deren Name aus Datenschutzgründen geändert wurde, ist gerade in ihrem Zuhause in Pankow. Lieber wäre sie gerade in Irland. „Letztlich lag es an meiner Gastfamilie, dass es nicht geklappt hat“, erzählt die 16-jährige Schülerin des Rosa-Luxemburg-Gymnasiums. „Das sind freischaffende Künstler, die von Ausstellungen leben. Da fehlte in der Pandemie das Geld, um eine zusätzliche Person zu unterstützen.“ Manchmal fragt sie sich, was wohl passiert wäre, wenn sie doch nach Irland gefahren wäre. „Aber ich bin zuversichtlich, dass ich das irgendwann nachholen kann – als Freiwilliges Soziales Jahr nach der Schule oder Erasmus-Semester im Studium.“

Aber besser gar nicht ins Ausland als unglücklich nur für wenige Wochen – denn so erging es mehreren von Emilias Freunden, die ihr Auslandsjahr antreten konnten, aber nach kurzer Zeit wieder abbrechen mussten. Eine Freundin war in Italien, kam aber pandemiebedingt schon nach drei Wochen zurück. Dadurch verpasste sie genau die Prüfungszeit in Berlin und stand vor der Frage, entweder sämtliche Klausuren nachzuschreiben oder die elfte Klasse zu wiederholen. Sie entschied sich für Letzteres, „wegen der Gefahr, das Abi zu versauen.“

„Die Leute interessieren sich hier wenig für Corona“

Miro Badock berichtet aus den USA, dass Corona in seiner jetzigen Umgebung anders wahrgenommen werde als in Deutschland. „Ich bin hier auf dem Land, das ist konservativer. Die Leute interessieren sich wenig für Corona und sehen das nicht so sehr als Problem, obwohl es eines ist.“ Trotzdem: High-School-Klassiker wie Footballmatches und oder die traditionellen Bälle fanden zwar statt, wurden aber durch Masken und andere Vorsichtsmaßnahmen getrübt. Immerhin konnte Miro während seiner gesamten Zeit in den USA die Schule besuchen – sein County ist das einzige in der Umgebung, wo das möglich ist.

Anders ist es bei Henriette Flohr in der Kleinstadt Bodmin in Cornwall, England: „Hier nimmt man die Pandemie ernst“. Die Schulen stellen kostenlose Covid-Tests, und im Winter gab es eine längere Schulpause. „Das war schwer, man konnte sich nicht mit Freunden treffen. Da habe ich schon das Gefühl, dass ich etwas verpasst habe – etwas, das andere in ihren Auslandserfahrungen gehabt haben. Yes I think so.“

Henriette Flohr genießt ihre Zeit in Cornwall trotz aller Einschränkungen.

© Marian Schuth

Die 16-Jährige ist Schülerin der Martin-Buber-Schule in Spandau und erfüllt sich mit ihrem Auslandsjahr gerade einen langjährigen Traum. Sie sagt: „Ich liebe die britische Kultur, die USA sind nicht mein cup of tea. Außerdem bin ich eine von Drillingen, da wollte ich mal raus, like mein Leben allein auf die Reihe kriegen. Und das Essen ist auch nicht so schlecht, wie sein Ruf – wenn man sich einmal dran gewöhnt hat.“ Die englischen Ausdrücke hat Henriette auch vorher schon benutzt, weil sie viel auf Englisch liest. „Aber jetzt wird es schlimm“, sagt sie lachend. Das Fazit ihres Auslandsjahres lautet trotz Corona: „Ich will hier gar nicht mehr weg!“

Auslandsjahr in der Nachbarschaft

Neben den USA und England sind Australien und Neuseeland beliebte Ziele für deutsche Schüler. Dort gelten allerdings strikte Einreisebeschränkungen. Anna Wasielewski befürchtet, dass auch diesen Sommer noch kein Austausch mit diesen Ländern stattfinden wird. Insgesamt reisen Schülerinnen und Schüler momentan häufiger in die europäische Nachbarschaft: „Spanien, Frankreich oder auch Irland haben gerade einen Aufschwung“, sagt Wasielewski. Das Interesse am Auslandsjahr sei ungebrochen. „Vielleicht ist es sogar gestiegen.“

Henriette und Miro können trotz Pandemie ihre Auslandsträume verwirklichen, für viele andere Berliner Schülerinnen und Schüler wie Emilia ist der Traum vorerst geplatzt.

Eine der AJA-Forderungen, um künftig den Austausch auch nach Deutschland zu erleichtern, ist eine Art Kindergeld für Gastfamilien, die bislang unentgeltlich tätig sind. „Die Tendenz ist, dass es immer schwerer wird, Gastfamilien zu finden“, sagt Wasielewski. Gerade in Berlin sei es „ganz eng.“ Dieses „Kindergeld“ solle als Anreiz dienen, eine Schülerin oder einen Schüler aufzunehmen, denn viele Familien würden das gerne tun, könnten es sich aber nicht leisten. Mit einer staatlichen Finanzierung könne der Austausch als Bestandteil interkultureller Verständigung und zivilgesellschaftlichen Engagements weltweit nach der Pandemie gestärkt werden, hofft der AJA.

Marian Schuth

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