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„Die Königsbrücke“ von Eduard Gaertner, 1835

© Eduard Gaertner, Public domain, via Wikimedia Commons

Spazierlektüre mit Heinrich von Kleist in Berlin: Reisender, Dichter, Lokalreporter

Hinein in die „stolze Königsstadt“: In einem neuen Band der Reihe „Frankfurter Buntbücher“ folgt Milena Rolka vom Kleist-Museum Frankfurt (Oder) den Berliner Spuren des Schriftstellers.

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„Jetzt gehe ich nach Berlin“, schreibt Heinrich von Kleist 1810 in dem letzten der fünf soeben wiederentdeckten Briefe an seinen Freund Joseph von Buol. Die Euphorie seiner Schilderungen der Schlacht bei Aspern nahe Wien, Napoleons erster Rückschlag, weicht Resignation. Frankreich siegt wieder. Damit sind auch die Chancen des preußischen Schriftstellers dahin, in Wien oder Prag tätig zu werden.

„Oft, wenn ich durch die Straßen von Prag gehe und denke, in welchem Krieg das Reich, zu welchem diese Stadt gehört, begriffen ist, so kommt es mir vor, ich träume“, schreibt Kleist in einem der früheren Briefe. „Wo fahren diese Equipagen hin?“ Die Normalitätssimulation seiner Mitmenschen irritiert den heute wieder sehr aktuellen „Krisen- und Katastrophenspezialisten“, wie ihn sein Biograf Günter Blamberger nennt.

„Sein Ziel in Berlin ist diesmal klar“, schreibt Milena Rolka vom Kleist-Museum Frankfurt (Oder) über den Dichter, der in Berlin oft nur auf der Durchreise war. „Die literarisch-journalistische Arbeit soll fortgesetzt und ausgebaut werden.“ In der topografisch-literarischen Reihe „Frankfurter Buntbücher“ hat sie „Heinrich von Kleist in Berlin“ veröffentlicht. Darin folgt sie den hauptstädtischen Spuren des Schriftstellers, der hier auch Journalist wird, „erster Lokalreporter Berlins“.

„Heinrich von Kleist in Berlin“ von Milena Rolka ist im Verlag für Berlin-Brandenburg erschienen (32 Seiten, ca. 20 Illustrationen, 10 Euro).

© Frankfurter Buntbücher

Was Milena Rolka über Kleists „Berliner Abendblätter“ schreibt, mit denen sich ein Stadtspaziergang lohne, gilt auch für ihr Buch, dessen Einband innen aus einem zeitgenössischen Stadtplan besteht und in dem sich sowohl historische Porträts und Gebäudeansichten als auch aktuelle Fotos von Orten mit Kleist-Bezug finden.

Die neuen Aufnahmen wurden von Günter Karl Bose gemacht, bekannt unter anderem durch seinen Bildband „Stadtpark Schöneberg“. Bose hat auch den Umschlag des kleinen, feinen Buntbuchs gestaltet.

1800 fährt Kleist, 22-jährig, von seiner Heimatstadt Frankfurt (Oder) in die „stolze Königsstadt“. Durchs Frankfurter Tor gelangt er hinein. „Hier bin ich nun in Berlin“, schreibt er an seine Verlobte Wilhelmine von Zenge - und streicht diesen kurzen Einstieg durch.

Das nun Folgende ist für Milena Rolka bereits „eine Art literarische Annäherung an Berlin“. Für sie als Literaturwissenschaftlerin, so erzählt sie es dem Tagesspiegel in einem ausführlichen Interview, sei dies spannend, „weil wir hier im Briefeschreiber Kleist schon den Schriftsteller erahnen können, dem es auch weniger um klare Zuschreibungen und Verortungen als vielmehr um Suchbewegungen geht“.

Heinrich von Kleist, 18. Oktober 1777 - 21. November 1811.

© Stiftung Kleist-Museum

Kleist schreibt: „Als ich hineinfuhr in das Tor, im Halbdunkel des Abends und die hohen weiten Gebäude anfänglich nur zerstreut und einzeln umher lagen, dann immer dichter und dichter, und das Leben immer lebendiger, und das Geräusch immer geräuschvoller wurde, als ich nun endlich in der Mitte der stolzen Königsstadt war, und meine Seele sich erweiterte, um so viele zuströmende Erscheinungen zu fassen, da dachte ich: Wo mag wohl das liebe Dach liegen, das einst mich und mein Liebchen schützen wird? Hier an der stolzen Kolonnade? Dort in jenem versteckten Winkel? Oder hier an der offnen Spree?“

Aus dem gemeinsamen Leben in Berlin wird nichts, aber die „stolze Kolonnade“ schmückt dereinst den nach ihm als Weltliteraten benannten Park in Schöneberg. Sie leitet „damit gewissermaßen von Kleists Berlin um 1800 über zu seiner gegenwärtigen Präsenz in der Stadt“, schreibt Milena Rolka.

Blick aus der Potsdamer Straße durch die Kolonnaden in den Kleistpark, vorn die Gedenktafel für die Opfer des nationalsozialistischen „Volksgerichtshofs“, der auch im Kammergericht tagte, das hinten zu sehen ist.

© Kitty Kleist-Heinrich

An einem Ort obendrein, der mit Sportpalast, Bunker, Zwangsarbeiterlager und Verhandlungssaal des Freisler’schen „Volksgerichtshofs“ für die von Deutschen angerichteten Zivilisationsbrüche steht und zu einem Dichter der Katastrophen passt, den das Wegsehen und Verdrängen seiner Zeitgenossen befremdet.

Wandgemälde am Kleistpark.

© imago images / Steinach/Sascha Steinach

Wer aus dem Kleistpark hinaus durch den kleinen Weg zwischen UdK-Außenstelle und Haus am Kleistpark über die Grunewaldstraße in den gegenüberliegenden Gewerbehof geht, erblickt rechts an einer Brandmauer ein Wandbild des Dichters. Auch für die Kleist-Forscherin war dies eine neue Entdeckung, „obwohl ich regelmäßig an der Straße bin“.

Das Wandbild wäre dann die Überleitung zum ganz aktuellen Berlin: Es schmückt ein Immobilienprojekt namens „Literaturhof“ mit Eigentumswohnungen und Gewerbeeinheiten. „Intellektuell und szenig, familiär und prominent“, wie der zuständige Makler den „angesagten Kiez“ Schöneberg etikettiert.

Auch andere Kleist-Orte finden sich etwas abseits oder sind erst auf den zweiten Blick zuzuordnen, etwa das mit Reliefs von Georg Kolbe verzierte „Kleisthaus“, Nachfolgebau seines Wohnhauses, in der für Mitte-Verhältnisse ruhigen Mauerstraße.

Ein Denkmal im Kreuzberger Viktoriapark „gibt sich nicht so leicht als Kleist-Büste zu erkennen“ (Rolka). Und schließlich liegt in einer schmalen, zum Wasser abfallenden Grünanlage zwischen Ruder- und Segelklubs das Grab am Kleinen Wannsee, wo Heinrich von Kleist im November 1811 seine Gefährtin Henriette Vogel und sich selbst erschoss.

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