zum Hauptinhalt

© IMAGO/Funke Foto Services/Maurizio Gambarini

Update

Tagesaufenthalt am Alex und ein Platz im Hospiz: Berliner Grüne stellen Plan gegen Obdachlosigkeit vor

Mit einem Zehn-Punkte-Plan wollen die Berliner Grünen bis 2030 gegen die Obdachlosigkeit in der Hauptstadt vorgehen. Dabei ist auch ein zentraler Aufenthaltsort am Alex vorgesehen.

Stand:

Sie leben in wilden Camps in den Parks, schlafen unter Brücken oder verstecken sich an Bahnhöfen: Die Zahl der Obdachlosen hat in Berlin seit der Coronapandemie stark zugenommen und ist in allen Bezirken sichtbar. In einem Positionspapier haben die Berliner Grünen nun festgehalten, wie sie planen, Obdachlosigkeit bis 2030 zu beenden.

Demnach soll bis dahin allen von Obdachlosigkeit betroffenen Menschen ein Wohnungsangebot gemacht werden können – unabhängig ihrer Herkunft. Gleichzeitig soll die repressive Verdrängungspolitik aus dem öffentlichen Raum gestoppt werden. „Problemverschiebung ist keine nachhaltige Lösung, sondern verschärft die bestehenden Problemlagen der Betroffenen weiter“, heißt es in dem Papier.

„Obdachlosigkeit ist kein individuelles Versagen, sondern das Ergebnis politischer Entscheidungen und sozialer Ungerechtigkeit“, sagt Taylan Kurt (Grünen) dem Tagesspiegel. „Während der schwarz-rote Senat kürzt und verdrängt, setzen wir als Grüne auf nachhaltige Lösungen: Housing First, sichere Unterbringung und ganzjährige Nothilfe. Niemand soll in Berlin ohne Schutz, Perspektive und Unterstützung bleiben. Unser Ziel bleibt: Obdachlosigkeit bis 2030 zu beenden – mit sozialer Verantwortung statt kalter Politik.“

Viele Obdachlose seien derzeit einer „sozialen Kälte“ ausgesetzt, dies könne lebensbedrohlich sein. „Mit dem Wechsel von Rot-Grün-Rot zum CDU-SPD-geführten Senat hat das Engagement für armutsbetroffene Menschen in Berlin stark nachgelassen“, heißt es. Obdachlose seien aktuell politischen Diskursen ausgesetzt, in denen ihre „Lage nicht mit Solidarität beantwortet wird.“

Zahl der Obdachlosen gestiegen

In Berlin gebe es nach aktuellen Schätzungen zwischen 4000 und 6000 betroffene Personen, die derzeit obdachlos sind. 2022 waren es bei Zählungen in der „Nacht der Solidarität“ laut den Grünen noch etwa 2000 Menschen.

Viele stammten aus Zentral- oder Osteuropa, die nicht selten durch falsche Versprechen Opfer von Arbeitsausbeutung geworden seien. Zahlreiche Obdachlose litten zudem an psychischen Erkrankungen und an Folgen von Drogenabhängigkeit, häufig bestehe ein hoher medizinischer und therapeutischer Bedarf. Ziel sei es, Betroffene zu unterstützen und Perspektiven für eine Verbesserung der aktuellen Situation zu entwickeln. 

Zehn Punkte zur Verbesserung der Situation

Zunächst müsse dafür das Konzepte „Housing First“ weiter ausgebaut werden. Das Modellprojekt nach finnischem Vorbild habe seine Wirksamkeit bewiesen, heißt es. Studien zeigten, dass Menschen mit hochkom­plexen Problemlagen in der Lage waren, dauerhafte Wohnverhältnisse aufrechtzuerhalten. Daher solle dieses Verfahren besonders obdachlosen Menschen mit psychischen Problemen zugutekommen. Mit einem sogenannten „Housing First Fond“ soll zudem die Integration betroffener EU-Bürger erleichtert werden.

Auch wollen die Grünen die Unterbringung nach den Richtlinien der Allgemeinen Sicherheits- und Ord­nungsgesetz (ASOG) vereinfachen, die laut Positionspapier immer wieder eine Hürde darstelle. „Im Rahmen dessen wollen wir den eingeschlagenen Weg der Gesamtstädtischen Steuerung (GStU) weitergehen und menschenrechtskonforme sowie zielgruppenspezifische Mindeststandards für alle Einrich­tungen durchsetzen“, heißt es. Dabei sollen insbesondere Familien, älteren Menschen und LGBTIQ+ stärker berücksichtigt werden, sie gelten als besonders vulnerabel. Zudem soll der Rechtsanspruch auf eine ordnungsbehördliche Unterbringung gefördert werden.

Tagesaufenthalt am Alex und ein Platz im Hospiz

Einer der wichtigsten Punkte ist die Schaffung eines ganzjährigen Angebots der Kältehilfe rund um die geöffneten Nothilfen und Notunterkünfte. Gleichzeitig sollen umfassende „Beratungs- und Unterstützungsangebote für Be­hördengänge, Gesundheitsversorgung, Spracherwerb oder die Arbeitssuche zur Verfügung“ gestellt werden. Sie sollen besonders niedrigschwellig zugänglich sein.

Besonders im Winter haben obdachlose Menschen es in Berlin schwer, einen warmen Unterschlupf zu finden.

© IMAGO/Funke Foto Services/Maurizio Gambarini

Auch schließen sich die Grünen der Idee an, einen zentralen Tagesaufenthalt am Alexanderplatz zu schaffen. Damit sich weniger Menschen an den Bahnhöfen aufhalten müssen und Konzepte für soziale Aufenthaltsorte in Hal­testellennähe zu entwickeln, sei eine enge Kooperation zwischen der BVG oder der S-Bahn Berlin mit sozialen Akteuren in den jeweiligen Kiezen und Hotspots angedacht.

Auch sogenannte Safe-Spaces in Form von beispielsweise Container- oder Trailer­parks, die über eine sanitäre und sozialpädagogische Infrastruktur verfügen, sollen weiter gefördert werden. Ziel sei aber nicht die „Beheimatung im öffentlichen Raum“, sondern lediglich die Schaffung eines Aufenthalts- und Kontaktbereiches.

Weiterhin soll obdachlosen Menschen die Möglichkeit verschafft werden, „unbürokratisch“ in Hospize aufgenommen werden zu können. Krankenwohnungen sollen ausfinanziert und dauerhaft gesichert werden, Menschen mit Pflegebedarf schnellstmöglich vermittelt werden.

Ein weiterer wichtiger Punkt sei die „Prävention des Wohnraumverlusts“, wie es heißt. Hier sollen Präventionsnetzwerke gestärkt und Beratungsstellen bei Mietschulden und Wohnungsnot ausgebaut werden. Auch solle der Qualitätsprozess „Gute Sozialämter“ weiter verfolgt werden.

Da viele Obdachlose dem Positionspapier zufolge den Wohnungsnotfallhilfen und „den Einrichtungen oft machtlos ausgeliefert“ seien, soll eine Möglichkeit geschaffen werden, Beschwerden niedrigschwellig einreichen zu können. So soll die Möglichkeit einer Qualitätssicherung und -entwicklung geschaffen werden.

Schutz von Opfern der Arbeitsausbeutung

Da viele Betroffene durch falsche Arbeitsversprechungen nach Deutschland und Berlin gekommen sind, wollen die Berliner Grünen die Opfer in einer Einrichtung spezieller Arbeitnehmerunterkünfte unterbringen, die auch eine rechtliche Unterstützung bei Arbeitsausbeutung sowie weitere Beratungsangebote anbieten sollen.

Des Weiteren setzt sich die Fraktion „für den Erhalt und Ausbau von Drogenkonsumräumen, Drug-Checking sowie niedrigschwelli­ger aufsuchender Sozialarbeit ein“. So solle eine „Schadensminimierung“ erfolgen und Verwahrlosung und Verelendung bekämpft werden. Zudem sollen „Substitutionsangebote niedrigschwelliger zugänglich gemacht und die Gewinnung von Substitutions­ärzt*innen und Praxen gefördert werden“, heißt es von den Grünen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })