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Traf ein Polizist einen der Hauptverdächtigen der Neuköllner Anschlagsserie?: Angaben von Berliner Polizei und Verfassungsschutz widersprechen sich
Der Verdacht, dass ein Beamter mit dem bekannten Neonazi Sebastian T. eine Kneipe in Süd-Neukölln besuchte, gilt polizeilich als ausgeräumt. Der Verfassungsschutz hält allerdings an der Version fest.
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Es war ein ungeheurer Verdacht, der als ausgeräumt galt: Ein Beamter des Landeskriminalamtes soll einen der beiden Hauptverdächtigen in der rechtsextremen Neuköllner Anschlagsserie privat in einer Kneipe getroffen haben. Beide sollen die Kneipe zusammen verlassen haben. Nun kommt der Verdacht allerdings erneut auf: Der Verfassungsschutz beharrt entgegen der Polizei auf seiner ursprünglichen Version.
Der Vorfall, der sich im März 2018 in der Rudower Kneipe „Ostburger Eck“ abgespielt haben soll, beschäftigte unter anderem die Sonderermittler:innen der Soko „Fokus“. Diese sollte Pannen in der Anschlagsserie aufkläre. In ihrem Abschlussbericht kamen die polizeilichen Ermittler:innen zu dem Ergebnis, dass es bei dem vermeintlichen Treffen zwischen dem Beamten, Andreas W., und dem Neonazi, Sebastian T., mehr Zweifel als Indizien gibt.
Die Polizei geht mittlerweile davon aus, dass die observierenden Beamt:innen Sebastian T. schlicht verwechselt haben: Mit einem Freund von Andreas W., der am selben Abend in der Kneipe gewesen sein soll. Beobachtet hatten den Vorfall nicht Polizeikräfte, sondern Kräfte des Berliner Verfassungsschutzes. Die Polizei wirft den Verfassungsschützer:innen also vor, einen der prominentesten Berliner Neonazis, einen der wenigen, die als rechtsextreme „Gefährder“ eingestuft sind, falsch identifiziert – also schlecht gearbeitet – zu haben.
Der Vorfall beschäftigt auch den Untersuchungsausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus, der sich mit der Anschlagsserie und möglichen Ermittlungspannen beschäftigt. Aktuell befragen die Abgeordneten Mitarbeitende des Berliner Verfassungsschutzes. Und diese schilderten eben jenen Dissens mit Blick auf den Vorfall im „Ostburger Eck“: Demnach ist der Verfassungsschutz sich sicher, sehr wohl Sebastian T. in Begleitung von Andreas W. identifiziert zu haben.
Polizei und Verfassungsschutz beharren auf jeweiliger Version
Eine Referatsleiterin der Behörde berichtete am Freitag von einem Gespräch zwischen Verfassungsschutz und Landeskriminalamt, bei dem beide Seiten auf ihrer jeweiligen Version beharrt hätten. Welche Version glaubhafter sei, „entzieht sich meiner Bewertung“, sagte sie im öffentlichen Teil der Sitzung.
In geheimer Sitzung befragte der Ausschuss anschließend noch zwei Observierungsbeamte, die an jenem Abend im Einsatz waren. Über deren Aussagen ist öffentlich nichts bekannt. Nach Tagesspiegel-Informationen sollen sie die Aussagen der Referatsleiterin allerdings bestätigt haben – und sich sicher sein, T. identifiziert zu haben und dazu auch in der Lage gewesen zu sein.
Der Verdacht, dass ein Beamter einen der Hauptverdächtigen der Anschlagsserie getroffen hat, besteht weiter.
Niklas Schrader, Linken-Abgeordneter
Auch einige Abgeordnete zweifeln an der Version der Polizei. „Der Verdacht, dass ein Beamter einen der Hauptverdächtigen der Anschlagsserie getroffen hat, besteht weiter“, sagte etwa der Linken-Politiker Niklas Schrader dem Tagesspiegel. „An der Version von Polizei und Innensenat bestehen weiter erhebliche Zweifel.“ Zudem habe die Polizei nie hundertprozentig beweisen können, dass Andreas W. keinen Kontakt zu Sebastian T. gehabt habe.
Ostburger Eck sei „nicht einfach nur eine Fußballkneipe“ gewesen
Ähnlich äußerte sich auch der Ausschussvorsitzende, der Grünen-Politiker Vasili Franco. Franco merkte an, dass die Zeug:innen des Verfassungsschutzes sich bisher sehr bedeckt hielten und wenig Substantiiertes etwa über die Bedeutung und Priorisierung des Themas Rechtsextremismus sagen würden.
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Zum Fall Ostburger Eck sagte Franco, dass die Abgeordneten nun mehr Fragen als Antworten zu dem Vorfall hätten. „Angesichts der unterschiedlichen Versionen von Polizei und Verfassungsschutz zur Observation ist es mehr als unbefriedigend, dass der Vorfall nicht konsequent und zeitnah aufgeklärt wurde. Stattdessen bleibt einfach ein Dissens im Raum steht und der Fall wird geschlossen.“
Aus dem Vorfall würden sich schließlich auch andere Fragen ergeben, sagte Franco weiter. Klar sei zudem, dass das Ostburger Eck zum damaligen Zeitpunkt aus Sicht der Behörden „nicht einfach nur eine Fußballkneipe“ gewesen, sondern zumindest an diesem Tag als rechter Treffpunkt erkannt worden sei. Die Polizei hatte stets das Gegenteil behauptet.
Andreas W. war, als der Vorwurf über ein Behördenzeugnis des Verfassungsschutzes öffentlich wurde, selbst Observierungsbeamter im Mobilen Einsatzkommando (MEK). Allerdings soll er nicht im Rahmen der rechtsextremen Anschlagsserie eingesetzt worden sein. Ein internes Ermittlungsverfahren gegen W. wurde aus Mangel an Beweisen eingestellt. Allerdings wog der Verdacht derart schwer, dass die Berliner Polizei in der Neuköllner Anschlagsserie nur noch auf externe Observierungskräfte setzte.
Der Untersuchungsausschuss soll mögliche Ermittlungspannen und Misstände rund um die rechte Anschlagsserie in Neukölln untersuchen. Die Behörden rechnen der Serie mindestens 72 rechte Straftaten, darunter 23 Brandanschläge, zu. Aktuell rollt das Berliner Landgericht den Prozess gegen die beiden Hauptverdächtigen, neben T. dem früheren AfD-Politiker Tilo P., erneut auf.
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