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Ein Straßenkünstler dribbelt zwei Basketbälle mit verbundenen Augen vor der Bühne in der Revaler Straße.

© Christoph M. Kluge

Im „Widerstandscamp” zum spirituellen Lebensstil: Wie beim Corona-Protest in Berlin-Friedrichshain krude Thesen verbreitet werden

Auf einem Straßenfest in Friedrichshain wurden am Freitag Verschwörungserzählungen verbreitet. Doch der Veranstalter sieht sich nicht als Querdenker.

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Auf den ersten Blick wirkte es, als fände gerade die Fête de la Musique statt. Vor dem RAW-Gelände in Friedrichshain stand eine Bühne, es gab Musik. Die Menschen tanzten und tranken Flaschenbier. Doch zwischendurch traten Redner auf, die krude Thesen äußerten. Im Vorfeld gab es Aufrufe zu Gegenprotesten in den sozialen Netzen. Es handle sich um eine “verschwörungsideologische Veranstaltung”, schrieb die Initiative “Berlin gegen Nazis” auf Twitter. Doch die Veranstalter:innnen bestritten das. 

“Wir sind keine Querdenker-Veranstaltung", sagte die Moderatorin gleich zu Beginn. Das klang wie eine Distanzierung von der umstrittenen Protestbewegung, die für das Pfingstwochenende zahlreiche Demonstrationen in der Hauptstadt angekündigt hat.

Doch gleich im nächsten Satz schränkte die junge Frau ihre Aussage wieder ein: "Ich selbst sympathisiere mit den Querdenkern.” Die seien die einzigen, die etwas unternehmen würden gegen die Corona-Maßnahmen. Aber das sei nur ihre Privatmeinung, sagte sie. Ähnlich widersprüchlich ging es weiter. 

Ein DJ legte elektronische Musik auf. Vor der Bühne hatten sich etwa 100 Personen eingefunden. Offenbar waren mehr erwartet worden, ein großer Teil der abgesperrten Straße blieb leer. Die Auflagen der Polizei sahen eine Maskenpflicht und Abstände vor. Ein professioneller Ordnerdienst kontrollierte die Einhaltung dieser Regeln. Immer wieder blieben Passant:innen stehen, tanzten mit und nahmen Selfies auf. Andere setzten sich an die Tische der Restaurants, aßen Pizza und tranken Bier. Die Stimmung war ausgelassen.  

Auf der Bühne sprach ein Mann darüber, wie er den Beginn der Coronapandemie erlebt habe. “Ich war einer der ersten, die eine Maske getragen haben”, sagte er. Doch dann habe er zunehmend “Fragen gestellt”. In Telegram-Gruppen habe er schließlich erfahren, dass die Menschen von den Medien belogen würden. Im Publikum hielt sich Michael B. auf, der seit Monaten als “Captain Future” mit provokativen Aktionen gegen die Corona-Maßnahmen protestiert. Sein typisches gelbes Kostüm trug er jedoch nicht.   

Demokratie: nur eine "Illusion"

Ein bärtiger Mann mit langen weißen Haaren ergriff das Mikrofon. Er trug Sandalen und ein offenbar selbst genähtes Schamanengewand. “Die Politik hält uns von der Wahlfreiheit ab”, sagte er. Die Demokratie sei nur eine Illusion, denn die wirkliche Macht liege in den Händen der Wirtschaftsbosse. Doch das wahre Problem sei woanders zu finden: “Die korrupten Politiker sind nur Ausdruck unserer inneren Korruption.” Was das bedeuten soll, erklärte er nicht. 

Dieser Mann rief die Anwesenden dazu auf, mit ihm in ein "Widerstandscamp" zu ziehen.

© Christoph M. Kluge

Stattdessen rief er die Anwesenden dazu auf, mit ihm gemeinsam in ein “Widerstandscamp” zu ziehen, um dort einen spirituellen Lebensstil im Zeichen wahrer Liebe zu leben. Das sei der “Kern des Alternativseins”, sagte er. Die Moderatorin war begeistert: “Dein Intellekt schlägt mir den Boden unter den Füßen weg.” Dann wandte sie sich an die Zuhörer:innen. “Was dieser Mann sagt, ist die Wahrheit. Ich habe einen Mentor gefunden.” 

Im Programm folgte eine Darbietung von Straßenkünstlern in bunter Kleidung, die mit neonfarbenen Kegeln jonglierten. Ein Mann fuhr auf einem hohen Einrad umher. Ein anderer hatte sich die Augen verbunden und dribbelte gleichzeitig mit zwei Basketbällen. Dazu spielte ein DJ elektronische Musik.  

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Doch worum genau ging es eigentlich bei dieser Veranstaltung? Organisiert wurde das Ganze von Marco Sven Reinbold, einem Synchronsprecher aus Berlin. “Ich möchte einen Raum schaffen, in dem sich Künstler austauschen können”, sagte er dem Tagesspiegel.

Marco Sven Reinbold hat die Veranstaltung organisiert. 

© Christoph M. Kluge

Reinbold ist ein Mensch, der viel redet - und zwar sehr schnell. Die Freiheit der Kunst sei in Gefahr, sagte er, für die Kultur gäbe es in der Pandemie zu wenig Platz im öffentlichen Raum. Auch die Meinungsfreiheit werde zunehmend eingeschränkt.  

Es gäbe Angriffe gegen ihn, falsche Beschuldigungen Im Internet. Er sei aufgefordert worden, sich deutlich von rechtem Gedankengut zu distanzieren. Doch was sei das überhaupt? Wer seine Meinung sage, werde schnell diffamiert, als rechts dargestellt, sagte Reinbold. 

Der Musiker Paul Geigerzähler demonstrierte gegen die Veranstaltung.

© Christoph M. Kluge

Einige Meter entfernt, am Zaun den RAW-Geländes, protestierte eine Handvoll Menschen gegen die Veranstaltung, der sie Corona-Verharmlosung vorwarfen. “Ihr tanzt auf 80.000 Gräbern”, stand auf einem Schild.

Einer der Gegendemonstranten war Paul Geigerzähler, ein Musiker aus der linken Szene. “Die Künstler sollen vereinnahmt werden”, sagt er. Viele Kunstschaffende seien frustriert über die Politik, und dafür gebe es seiner Ansicht nach gute Gründe. Doch Reinbold und seine Mitstreiter:innen würden die Debatte ins Irrationale ziehen und Verschwörungsmythen verbreiten.    

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