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Als Liberale im linkesten Bezirk Deutschlands: „Wir wollen keine Käseglocke über Friedrichshain-Kreuzberg“
Ann Cathrin Riedel sagt, ihre Partei machte nicht nur Politik für die Wirtschaftsbosse. Die FDP habe progressive Ideen für die Großstadt. Das will sie beweisen.
Stand:
Ann Cathrin Riedel, 33 Jahre alt, will für die Berliner FDP in den Bundestag einziehen. Die Liberale kandidiert in Friedrichshain-Kreuzberg, dem wahrscheinlich linkesten Ort in Deutschland. Aber die Digitalpolitikerin setzt darauf, dass die Menschen genug haben von der „Käseglocke“, die SPD, Linke und Grüne über den Bezirk gestülpt haben, wie sie sagt. Auch der selbsternannte Anarcho-Bezirk könnte ein bisschen mehr Taiwan vertragen und deutlich digitaler werden.
Wer sich mit Riedel verabredet, trifft sie in diesen Zeiten in ihrem eigenen, datenschutzkonformen Video-Room. Die Digitalpolitikerin, die auch Vorsitzende des liberalen Netz-Vereins LOAD e.V. ist, will sich im Bundestag für mehr Bürgerrechte im Internet und Datenschutz einsetzen - selbst wenn es dafür mehr Regulierung braucht.
Frau Riedel, Sie treten für die FDP in Friedrichshain-Kreuzberg zur Bundestagswahl an, 2017 holte eine Satirepartei dort doppelt so viele Stimmen wie die Liberalen. Wie wollen Sie das ändern?
Magie!
So schwer?
Ich bin nicht so größenwahnsinnig, dass wir dort jahrzehntelang gewachsene Strukturen sofort umkrempeln können. Aber wir können daran ruckeln. Wir wollen keine Käseglocke über Friedrichshain-Kreuzberg, sondern Wohnraum schaffen, unter anderem durch Nachverdichtung, sodass jeder, der kommt, auch Platz findet. Wir wollen die Straßen, Spielplätze und Parks von Unrat befreien. Gerne auch innovativ durch Müllroboter. Wir müssen kein klinisch reiner Bezirk werden, aber der aktuelle Zustand kann doch kein politischer Anspruch sein. Unser Programm in Friedrichshain-Kreuzberg ist urban und progressiv, ich habe mich immer gefragt: Warum merken die Leute das nicht?
Was glauben Sie?
Es gibt dieses Bild von der FDP, dass es bei uns immer um die Wirtschaftsbosse geht, deshalb beschäftigt man sich gar nicht erst mit uns. Es gibt aber nicht nur diese FDP und das ist auch nicht meine Partei oder mein Verständnis von Liberalismus.
Wie wollen Sie das Bild der FDP ändern?
Ich habe für den letzten Wahlkampf die Seite xhainupdate.de gemacht, und dort unsere konkreten Verbesserungsvorschläge präsentiert. Zum Beispiel durch die Schaffung eines neuen Wohnquartiers, der Living Bridge, das auf der trostlosen, platzintensiven Schneise, die Friedrichshain vom Rudolfkiez, Kreuzberg und der Spree trennt, entstehen soll. Dort stand erstmal gar nicht, dass wir die FDP sind, ich wollte, dass die Menschen unsere Positionen lesen und wir dann darüber reden. Wir sind nicht der Feind. Wir wollen eine liberale Chancenpolitik für alle mitgestalten.
Trotzdem gilt Ihre Partei vielen als Männerverein, in der Bundestagsfraktion sitzen zu 80 Prozent Männer. Als Sie Ihre Wahl verkündeten, wurden sie dazu beglückwünscht in einer „misogynen Partei“ zu kandidieren. Nervt sowas?
Es gibt wirklich viele Männer in der FDP. Bei uns im Bezirksverband Friedrichshain-Kreuzberg ist das aber zum Beispiel ein bisschen anders. Natürlich nervt mich deshalb dieser generelle Vorwurf! Da kämpft man schon als junge Frau für eine andere Partei, gegen alte Männerbünde und dann kriegt man trotzdem pauschal eins – vor allem von außen – auf den Deckel.
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Wenn man Ihre Kommunikation in den sozialen Medien verfolgt, erinnert tatsächlich wenig an die Herrenfraktion um Wolfgang Kubicki und Christian Lindner. Wie kamen Sie zur FDP?
Ich war als Jugendliche nie besonders politisch. Dann kam die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2015. Als die SPD damals dafür gestimmt hat, ist bei mir eine liberale Sicherung durchgeknallt – dann bin ich in die FDP eingetreten.
Dann sind Sie Netzpolitikerin geworden…
…ich sage immer Digitalpolitikerin. Netzpolitik klingt so altbacken, so nennt sich die Generation vor mir. Ich bin durch meinen Vater schon mit Themen wie Cybersecurity aufgewachsen. Ich habe mir mit 13 Jahren das programmieren beigebracht, war früh im Internet unterwegs.
Sie haben in Ihre Bewerbung geschrieben, Deutschland brauche eine „digitale Modernisierung und Friedrichshain-Kreuzberg braucht sie besonders dringend“. Warum?
In Friedrichshain-Kreuzberg kanalisieren sich ganz viele Probleme des urbanen Lebens. Alle wollen dahin, aber alle sind auch genervt. Das fängt an mit der Sauberkeit in den Parks, geht über die Rettung der Clubkultur oder nachhaltige Tourismuskonzepte, die den Charme dieses Bezirks erhalten. Wir müssen den Bezirk aber aktiv gestalten, nicht nur verwalten, zum Beispiel mit digitalen Plattformen, bei denen Menschen ihre Probleme artikulieren können. Nur so haben wir Daten auf deren Basis wir evidenzbasierte Politik entwickeln können. Taiwan ist für sowas ein tolles Vorbild!
Wofür setzen Sie sich im Bundestag ein?
Ich stehe für einen Staat, der uns in Ruhe lässt, aber da ist, wenn wir ihn brauchen. Wir brauchen dafür eine nachhaltige Digitalpolitik, die Bürger- und Menschenrechte achtet. Wir müssen heute die Grundlagen für eine Welt setzen, in der unsere Kinder sich keine Sorgen machen müssen, einen Job nicht zu bekommen, weil irgendein Algorithmus sie ablehnt.
Im Internet bedeutet das mehr staatliche Regulierung, oder? Klingt nicht nach FDP.
Wir brauchen im Internet nicht unbedingt mehr, sondern gute Regulierung. Liberalismus heißt nicht Larifari, es können nicht alle machen, was sie wollen. Wir müssen unsere rechtsstaatlichen Prinzipien an den digitalen Raum anpassen.
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