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Man kann sich nicht nicht vergleichen, sagt die Sozialforscherin Katharina Diel. Wie man sich vergleicht, ohne darunter zu leiden? Sie hat ein paar Empfehlungen.

© Gestaltung: Tagespiegel/Seuffert/Foto: Getty Images/Jonathan Knowles

Alle sind schöner, fitter, reicher als ich: Kann man sich vergleichen, ohne sich selbst zu schaden?

Der Blick zu den anderen ist eine soziale Notwendigkeit: ob nach oben oder nach unten. Entscheidend ist, wie man mit den festgestellten Unterschieden umgeht.

Stand:

Die Szene hatte ihre eigene Ironie: In einer der neuen Folge von „Germany’s Next Topmodel“ (GNTM) bekamen die Kandidatinnen als Tipp für ihre Performance auf dem Laufsteg, dass sie sich nicht vergleichen sollen: „Do not compare yourself to anybody.“ Gesagt hat ihnen das die ehemalige Lagerfeld-Muse Kristen McMenamy, Star-Model und inzwischen 60 Jahre alt.

Ironisch war das deshalb, weil es in der Sendung von Ober-Jurorin Heidi Klum doch genau nur darum geht: ums Verglichenwerden mit den anderen, ums Bessersein als die und ums Weiterkommen.

Wie könnten und sollten die Kandidatinnen sich da nicht umschauen? Und davon abgesehen: sich nicht vergleichen – geht das überhaupt?

Die schlichte Antwort lautet: Nein. Das geht nicht.

Das Vergleichen gibt mir Informationen über mich selbst.

Kathi Diel, Sozialpsychologin an der Universität des Saarlandes

„Die Aufforderung ,Hör auf, dich zu vergleichen‘ will etwas Unrealistisches“, sagt Kathi Diel, Sozialpsychologin an der Universität des Saarlandes. Denn: Vergleiche finden häufig automatisch statt, und sie erfüllten Bedürfnisse der vielen Einzelnen. Wie Diel sagt: „Das Vergleichen gibt mir Informationen über mich selbst“.

Wie viel stemmt sie? Kann ich das auch?

© Imago/imago stock&people

Es hilft also einzuschätzen, wo die eigene Position im gesellschaftlichen Sozialgefüge ist. Dazu geht der Blick in drei Richtungen.

Der maßgebliche fällt aufs nahe Umfeld, quasi die Horizontale: auf die Kollegen im Job, beim Sport, die Freundinnen und Freunde – oder auch Unbekannte auf dem Spielplatz, wo etwa junge Eltern schauen, wie die anderen mit ihren Kindern umgehen und klarkommen, was die Kinder der anderen können und dürfen.

Eine andere Blickrichtung geht nach oben, zu den Reichen und Schönen, den Macherinnen, Machern und Mächtigen. Idealerweise bringt sie neue Perspektiven und Verbesserungsanstöße: Was könnte ich auch alles haben, machen, sein?

Doch viel öfter wirkt sie stattdessen negativ auf das eigene Selbstbild, Devise: Wieder alle schöner, reicher, kompetenter als ich.

Und dann gibt es noch den Vergleich in die entgegengesetzte Richtung: nach unten, dahin, wo die Leute weniger haben und können als man selbst. „Das befriedigt das Bedürfnis nach Selbstbestätigung“, sagt Diel, „indem es das eigene Selbstwertgefühl stärkt.“

Wichtig ist laut Studien, dass die Vergleiche nach oben und unten in Balance bleiben. Wer beständig nur nach oben schielt, kommt schlecht drauf. Wer dauernd nur nach unten schaut, nicht vom Fleck, da nie Anlass zum Handeln besteht.

Wenig überraschend ist vor allem der Vergleich nach oben in die öffentliche Kritik geraten. Genau der dürfte dem dänischen Philosophen Sören Kierkegaard Anlass für eine sprichwörtlich gewordene Einsicht gegeben haben: „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.“

Der Satz ist zwar gut 170 Jahre alt, passt aber hervorragend in die heutige Zeit, in der Instagram, Facebook und TikTok die Zahl der Personen, mit denen man sich permanent vergleichen kann, explodieren lassen, und zudem auch noch die Unterscheidung zwischen nahem Umfeld und fernen Galaxien eingerissen haben.

In den sozialen Medien geben sich Influencerinnen, Influencer und sonstige „Content Creatoren“ so, als seien sie die „Best Friends“ ihrer Follower, als seien sie nah bei ihnen und genau wie sie. Was natürlich eine Illusion ist.

Vielmehr gehören sie zu den Reichen und Schönen, die weit oben rangieren, den fernen Stars aus anderen Sphären. Lösen sie trotzdem den horizontalen Vergleichen-und-Verorten-Impuls aus, führt das zuverlässig zu betrüblichen Ergebnissen.

Was danach passiert, beschreibt Philosophieprofessor Wojciech Kaftanski von der Jagiellonen Universität in Krakau in seinem Beitrag „Soziale Vergleiche treiben uns zur Verzweiflung. Das muss nicht sein“ so: „Wenn wir uns aufgrund des sozialen Vergleichs mit den Bessergestellten schlecht fühlen, neigen wir dazu, Trost im Abwärtsvergleich zu suchen.“

Wir brauchen immer mehr Abwärtsvergleiche, um unsere Vergleichsgewohnheit aufrechtzuerhalten.

Wojciech Kaftanski, Philosophieprofessor der Jagiellonen Universität in Krakau

Dann wird gleichsam als Gegenwehr durch Pleiten, Pech und Pannen gescrollt, bis die Mundwinkel wieder hochgehen. Das ist erstmal tröstlich, aber auch riskant. Denn auch dort lauern Suchtgefahren und Eskalationsbedürfnisse. „Wir brauchen immer mehr Abwärtsvergleiche, um unsere Vergleichsgewohnheit aufrechtzuerhalten“, schreibt Kaftanski.

Vielleicht gehen gar einige der unerklärlichen Gewaltexzesse dieser Tage auf genau solche Kompensationsbedürfnisse zurück. Vielleicht haben diejenigen, die entfesselt auf Wehrlose eintreten, sich zuvor allzu lange in Aufwärtsvergleichen macht- und chancenlos gefühlt.

Mit wem vergleicht man sich vor allem – und was löst das aus?

Um den Vergleichen, bewusst oder unbewusst, das Destruktive zu nehmen, rät Kaftanski, zunächst zu verstehen, wie der soziale Vergleich funktioniert und welche Folgen er für das allgemeine Wohlbefinden hat.

Dazu solle man sein Verhalten genauer betrachten. Mit wem vergleicht man sich vor allem – und was löst das aus? Eventuell finde man hier auch Hinweise auf tief sitzende psychosoziale Probleme.

Auch Kaftanski greift auf Kierkegaard zurück, der empfahl, andere Menschen zwar zu sehen und zu beobachten, aber bitte, ohne sich dabei zu vergleichen. Die sind, wie sie sind, und ich bin, wie ich bin, und fertig. Menschen seien vor allem immer Individuen, so Kaftanski, auch das gelte es zu erinnern.

Das sind allerdings Tipps, die ein gewisses Maß an Selbstreflektion und Stabilität erfordern dürften. Hat das jeder immer parat?

Ältere Menschen vergleichen sich weniger und fühlen sich weniger benachteiligt.

Kathi Diel, Sozialpsychologin an der Universität des Saarlandes

Wohl kaum. Und es wundert nicht, dass soziale Vergleiche vor allem für junge Menschen spürbare Folgen haben. Sowohl Kaftanski als auch Kathi Diel von der Universität Saarbrücken heben das hervor. „Ältere Menschen vergleichen sich weniger und fühlen sich weniger benachteiligt, das haben Studien ergeben“, sagt Diel.  

Dass man den sozialen Vergleichen, nur weil sie unausweichlich sind, nicht automatisch auch ausgeliefert ist, ist die Überzeugung von Joel Minden, der klinischer Psychologe an der California State University ist.

Er rät in einem Aufsatz dazu, sich darauf zu konzentrieren, wie man mit Vergleichen umgeht, statt zu beklagen, dass man sich überhaupt vergleicht. Der Fokus auf das „wie“ biete nämlich die Möglichkeit, auf den Prozess Einfluss zu nehmen, der oft unbewusst abläuft.

Minden skizziert als Beispiel einen Nachbarn, der topfit ist, täglich mit dem Rad zur Arbeit fährt, während man selbst sich ins Auto oder den Bus setzt.

Beides sind erstmal nur neutrale Feststellungen. Die gedankliche Abwärtsspirale beginnt erst, wenn die eigene selbstabwertende Reaktion darauf ist: Ich bin so unfit, faul und schlecht.

Er rät, erstmal Abstand zum Alles-oder-nichts-Denken finden

„Wenn man auf wahrgenommene Unterschiede mit abwertenden Gedanken über den eigenen Wert reagiert, kann das zerstörerische Auswirkungen haben“, schreibt Minden. Aber das muss nicht sein, man muss so nicht denken.

Minden empfiehlt beispielsweise, sich selbst auf das „Alles-oder-nichts“-Denken zu überprüfen: Wie oft urteilt man über sich selbst in pauschalisierter Form: „Ich bin ein totaler Loser“, „niemand ist so schlecht wie ich“? Es braucht nicht viel intellektuelle Anstrengung, um sich selbst klarzumachen, dass derartige Übertreibungen kaum stimmen werden.

Mit negativen Gedankenspiralen fesselt man sich selbst.

© imago/Westend61

Das könnte der Anfang auf einem langen Weg sein, Vergleiche mit anderen statt als Bedrohung und Anlass für potenziell negative Bilanzen in das Gegenteil umzudeuten: in eine Gelegenheit, bei anderen nachzuschauen, wie man es anders machen könnte. Oder einfach nur um es gesehen zu haben, ohne gleich Konsequenzen für sich selbst ziehen zu wollen.

In den meisten Fällen, in denen Menschen sich vergleichen, ist es für ihr alltägliches Leben letztlich bedeutungslos, was sie bei den anderen sehen. Ob der Nachbar mit dem Rad oder dem Bus oder dem Auto fährt, hat für mich keine Konsequenzen. Was immer er tut, es macht mich nicht fitter oder fauler.

Ob andere öfter in den Urlaub fahren als ich oder mehr verdienen, ändert de facto weder etwas an meinen Ferien noch an meinem Kontostand. Ob sie größer, schlanker, attraktiver sind, schönere Zähne, Beine, Haare haben oder nicht – letztlich kann es egal sein, denn es ändert an meinem Aussehen im Hier und Jetzt nichts. Sich allein das immer wieder mal zu vergegenwärtigen, bringt schon einen gewissen Abstand, der gewinnbringend für einen selbst ist.

Das gilt natürlich nicht unter den Argusaugen der GNTM-Obervergleicherin Heidi Klum. In deren Model-Show ist der wertende Vergleich nicht wegzudenken. Aber die ist ja nicht das richtige Leben.

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