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Kinder können per Smartphone oder Tabletcomputer schnell mit der Welt allein - und überfordert - sein.

© Getty Images/iStockphoto

Pornografie in Kinderhänden: Kinderschutz durch Handyverbot?

Kinder lernen Pornografie heute so früh wie nie im Internet kennen. Erzieher und Politiker diskutieren Medienkompetenz und Handyverbote. Was schützt?

Pornografie in Kinderhänden, empfangen und verschickt über Smartphone und Tablet: Bereits unter 9- bis 11-Jährige kursieren Nacktbilder und Sexvideos. Deshalb hat Julia von Weiler, die im Fachbeirat des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung als Internetexpertin sitzt, ein Smartphone-Verbot für Kinder unter 14 Jahren angeregt. Von Weiler ist Vorsitzende des Vereins „Innocence in Danger“, der sich international für Kinder- und Jugendschutz im Internet einsetzt. „Ich sage nicht, dass sich mit einem Verbot alle Probleme lösen lassen“, sagte sie dem Tagesspiegel. „Aber man muss sich mit der Frage auseinandersetzen, ab wann es sinnvoll ist, Kindern ein Smartphone in die Hände zu geben.“

Wie groß ist das Problem?

Jeder zweite Jugendliche im Alter von mindestens 13 Jahren hat bereits einmal mit sexuell expliziten Medieninhalten persönlich Kontakt gehabt, das ergaben sowohl Befragungen des „Youth Insight Panel“ für das Magazin „Bravo“ von 2016 als auch eine Studie der Universitäten Münster und Hohenheim von 2017. Jungen nutzen pornografische Inhalte deutlich häufiger als Mädchen: Etwa sechs von zehn der mehr als 1000 im Jahr 2017 befragten Jungen zwischen 14 und 20 Jahren gaben an, schon Kontakt zu Bildern oder Videos gehabt zu haben, in denen entblößte Geschlechtsteile gezeigt wurden. Von den befragten Mädchen waren es nur etwa ein Drittel. 31 Prozent der männlichen Jugendlichen, die bereits ersten Kontakt mit Pornografie hatten, berichteten, täglich oder mehrmals pro Woche pornografische Medieninhalte gezielt anzuschauen. Bei den Mädchen lag dieser Anteil bei nur fünf Prozent. Die „Bravo“-Umfrage zeigte, dass von den rund 2500 Befragten etwa jeder zehnte Jugendliche im Alter von 14 Jahren schon Nackt-Selfies oder Bilder in erotischen Posen von sich selbst gemacht hatte.

Wie kommen Kinder mit Pornos in Kontakt?

Der erste Kontakt mit explizit sexuellen Inhalten kam der Studie aus Münster und Hohenheim zufolge bei etwa der Hälfte der Jugendlichen zunächst ungewollt zustande – bei den 14- bis 15- Jährigen durchschnittlich im Alter von 12,7 Jahren: durch Spam-E-Mails, neugierige Klicks auf Werbebanner oder durch Lionks von Freunden auf pornografische Webseiten. Wenn Jugendliche gezielt danach suchen, ist es meist kein großer Aufwand, Zugang zu pornografischen Inhalten zu finden. Das geschieht inzwischen hauptsächlich über Computer, Laptop oder Smartphone. Zeitschriften oder Fernsehen werden nur noch von einer Minderheit als Quelle sexueller Inhalte angegeben. Das war laut in einer „Bravo“-Studie 2009 noch anders: Damals gaben 43 Prozent der befragten Jugendlichen ab 13 Jahren das Fernsehen als Hauptmedium an, um pornografisches und sexuelles Material zu schauen.

Im Paragrafen 184 des Strafgesetzbuches ist es verboten, Nutzern unter 18 Jahren pornografische Inhalte zugänglich zu machen. Oft können Nutzer ihre „Volljährigkeit“ aber durch einen einzigen Klick ohne weitere Prüfung bestätigen.

Die meisten Kinder und Jugendlichen sehen Pornografie zum ersten Mal zu Hause, ein Anteil von 14 Prozent der 14- bis 15-Jährigen jedoch auf einer Party und etwa ein Fünftel bei Freunden: Bei mehr als der Hälfte der für die Studie von 2017 befragten Jugendlichen waren beim ersten Kontakt andere Personen anwesend.

Was macht das mit Jugendlichen?

„Wir wissen noch viel zu wenig darüber, welche konkreten Auswirkungen  die Konfrontation mit Pornografie für Kinder hat“, sagt Johannes-Wilhelm Rörig, Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung. Dies hänge von vielen unterschiedlichen Faktoren ab, zum Beispiel auch der Häufigkeit und dem konsumierten Inhalt. „Wir müssen davon ausgehen, dass gerade für jüngere Kinder die Darstellungen zutiefst verstörend und belastend sind, vor allem wenn es sich um Gewaltdarstellungen oder Missbrauchsabbildungen von Kindern handelt“, sagt Rörig.

Wenn Kinder und Jugendliche wiederholt pornografisches Material konsumieren, „werden Grenzen überschritten“, sagt Sibylle Winter, stellvertretende Leiterin der Klinik für Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters an der Charité. Pornografische Darstellungen könnten zum einen die Neugier früh Pubertierender wecken, das Gesehene mit Gleichaltrigen oder Jüngeren selbst „auszuprobieren“. Dies könne schlimmstenfalls bis zu versuchten oder vollendeten Vergewaltigungen von Mädchen und Jungen führen – dazu hat es in Berlin in jüngerer Zeit Fälle gegeben, in denen 11- bis 12-Jährige zu Tätern wurden.

Aus ihrer klinischen Praxis kennt Jugendpsychiaterin Winter junge Mobbingopfer, von denen in der Klasse oder an der Schule Nacktbilder verbreitet wurden. Mitschüler oder Mitschülerinnen in der Toilette oder in der Dusche nackt oder halbnackt zu filmen und diese Videos zu verbreiten, sei „eine dramatische Eskalationsstufe des Cybermobbings“, sagt sie. Solche Bilder und ihre Verbreitung seien scham- und tabubesetzt. Für die jungen Opfer ist das oft schwer traumatisierend.

Dadurch, dass in Pornos die Sexualität von einer Liebesbeziehung abgekoppelt wird, sieht Winter auch eine Gefährdung für die psychische Gesundheit. Schon bei Kindern und Jugendlichen entstehe der Eindruck, Sex sei eine „völlig von einer emotionalen Beziehung abgekoppelte Technik, eine mechanische Handlung, die man einfach nachmachen kann“. Dies könne sie in ihren Peer-Gruppen unter Zugzwang setzen, ebenfalls solche sexuellen Erfahrungen zu suchen und vorzuweisen. Bis ins Erwachsenenalter könne diese Entkoppelung einen negativen Einfluss auf die emotionale Bindungsfähigkeit haben, warnt Winter. „Stabile Beziehungen sind aber ein wichtiger Grundstein für unsere seelische Gesundheit.“

Nur wenige Klicks sind Kinder mit einem Smartphone von unendlich vielen Inhalten entfernt - auch solchen, die sie vertören und gefährden können.
Nur wenige Klicks sind Kinder mit einem Smartphone von unendlich vielen Inhalten entfernt - auch solchen, die sie vertören und gefährden können.

© IMAGO

Kinder veränderten ihr Verhalten nicht zwangsläufig aufgrund von pornografischen Videos, sagt hingegen Heinz-Jürgen Voß, Sexualwissenschaftler an der Hochschule Merseburg: „Was Kinder in sozialen Medien sehen, verstärkt eher das Verhalten, was bei ihnen schon vorhanden ist“. Wer in einem ungünstigen sozialen Umfeld aufwachse und nicht auf Grenzen und Grenzüberschreitungen hingewiesen werde, werde es auch im medialen Umgang schwerer haben, Grenzen zu achten. Studien zeigten, „dass Jugendliche zwischen dem, was sie in pornografischen Videos sehen und dem, wie sie ihre Sexualität im realen Umgang gestalten, gut unterscheiden können“, sagt Voß. Eltern müssten Kindern erklären, was im Internet möglich ist und wer Zugriff auf das hat, was sie veröffentlichen: „Sie müssen klar machen, wann mit einem Foto oder einem Video in sexueller Hinsicht Grenzen überschritten werden.“

Auch Pater Bernd Siggelkow, Gründer des Jugendwerks „Arche“, warnte schon 2008 vor der sexuellen Verwahrlosung von Kindern. In seinem Buch „Deutschlands sexuelle Tragödie“ ließ er 30 Kinder und Jugendliche erzählen, wie sie mit Sexualität und Pornografie in Berührung kommen – etwa direkt über den Pornofilmkonsum ihrer Eltern. Ein Smartphoneverbot sei „utopisch und aus der Luft gegriffen“, sagte er dem Tagesspiegel. Das Smartphone sei inzwischen so wichtig für die Kommunikation der Kinder und auch für das Lernen, dass es für ein Verbot schlicht „zu spät“ sei.

Wäre ein Handy-Verbot praktikabel?

Bei aller Besorgnis gibt es niemanden in der Politik, der ernsthaft einen so rigiden Schritt fordern würde. „Verbote taugen nur dann, wenn sie auch durchgesetzt werden können“, erklärte am Freitag das Bundesfamilienministerium. Gesetzliche Altersbeschränkungen für Smartphones lösen nicht das Grundproblem fehlenden Jugendschutzes im Netz. Ein pauschales Verbot würde auch „nicht dem Anspruch gerecht, Kindern und Jugendlichen eine umfassende Teilhabe an der digitalen Welt zu ermöglichen“, sagte ein Sprecher von Franziska Giffey (SPD) dem Tagesspiegel. Es gehe darum, „Kindern und Jugendlichen sichere Kommunikationsräume zu ermöglichen.“ Sowohl Anbieter als auch Eltern müssten dafür in die Verantwortung genommen werden. Dazu gehöre mehr Klarheit, welche Angebote und Apps für Kinder geeignet sind.

Auch Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) setzt auf „aufgeklärte Kinder, kompetente Eltern, Medienkompetenzzentren“ und sagt: „Ein effektiver Rechtsrahmen sowie technische Schutzsysteme sind wesentlich wirkungsvoller als ein Verbot“. Dies würde die Rechte der Kinder auf digitale Teilhabe „unverhältnismäßig einschränken“. Stattdessen müsse der Jugendmedienschutz kontinuierlich weiterentwickelt werden.

Die Vize-Vorsitzende der Unionsfraktion, Nadine Schön, hält ein Verbot für unrealistisch: „Soll die Polizei dann beispielsweise vor Sporthallen und Fußballplätzen kontrollieren, ob es sich tatsächlich um Smartphones oder einfache Mobiltelefone handelt, wenn Kinder ihren Opa oder ihre Oma anrufen?“, fragt sie.

Digitale Geräte werden von Lehrkräften häufig in den Unterricht eingebunden, um Schülerinnen und Schüler den sinnvollen Umgang damit nahezubringen. So werden Handys für Recherchen zu Unterrichtsthemen eingesetzt und ersetzen damit teilweise gedrucktes Unterrichtsmaterial. Zugang zu mobilen Endgeräten haben Kinder und Jugendliche also ohnehin an ihren Schulen, nicht nur in den Laptop- und Tablett-Klassen. Aber auch zuhause werden Internetrecherchen von den Schülern erwartet. Zum anderen verständigen sich die Lehrkräfte mit ihren Klassen und den Eltern über Mail-, Facebook- oder WhatsApp-Gruppen, wenn es um Hausaufgaben, Klassenausflüge oder Elternabende geht. So würde ein generelles Handyverbot in den Schulen auf breite Ablehnung treffen.

Was sind Alternativen zu einem Verbot?

Vielfältige Programme und Filter, die Internet-Inhalte vorsortieren, um sie für Kinder zu sperren. Pater Siggelkow empfiehlt, Pornografieseiten im Netz besser zu sichern und den Zugang nur in Verbindung mit der Personalausweisnummer zuzulassen.

„Genauso wie wir Kinder und Jugendliche vor Alkohol und Zigaretten schützen, sollten wir Kinder vor schädlichen Inhalten im Netz schützen“ – und digitalen Jugendschutz im Gesetz verankern, sagt Julia von Weiler. Jugendliche seien erst mit 14 Jahren strafmündig, weil sie bestimmte Handlungen nicht verantworten können. Und da auch das Handeln im digitalen Raum extrem komplex sei, müsse eine gesamtgesellschaftliche Debatte zur Smartphone-Nutzung von Kindern die Eltern zu deren Begleitung im digitalen Raum befähigen. Auch spezielle Kurse für Eltern wünscht sich von Weiler.

Der Missbrauchsbeauftragte Rörig meint, Kinder hätten ein Recht darauf, von Eltern, Erziehern und Lehrkräften in die digitale Welt gut begleitet zu werden: „Weil fast alle Kinder heute schon im Grundschulalter ein Smartphone besitzen, darf dies nicht dazu führen, dass Eltern bei der Smartphone-Nutzung die Augen verschließen.“ Alle Verantwortlichen  bräuchten dringend mehr Aufklärung und Wissen. Er hält es deswegen für vorstellbar, für Kinder einen digitalen Führerschein zu entwickeln,  den Eltern mit ihnen als Voraussetzung für ein internetfähiges Smartphone absolvieren können. Dieser könnte so präventiv wirken wie Verkehrs- und Schwimmunterricht.

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