
© dpa/Marijan Murat
Geht die Krankenhausreform nicht weit genug?: „800 Kliniken könnte man schließen – oder umwandeln“
Ex-Klinikmanager Francesco De Meo erklärt, wie die Pandemie Normalität schuf und was eine Krankenhausreform leisten muss. Er macht auch klar, dass Landräte nicht jeden Standort erhalten sollten.
Stand:
Herr De Meo, die größte Sorge in der Corona-Pandemie war es, dass das Gesundheitssystem unter der Last der schwer kranken Menschen zusammenbrechen könnte. Unter anderem deshalb wurden die freien Intensivbetten täglich gezählt. Sie schreiben nun in Ihrem Buch, es habe eigentlich nie einen Mangel an Intensivplätzen in Krankenhäusern gegeben. Wurde die Öffentlichkeit von der Politik über die wahre Situation belogen?
Nein, ich denke, die wussten das nicht besser. Das ist eines der großen Defizite im deutschen Gesundheitssystem, das nach wie vor besteht: Wir haben kaum Zahlenkenntnis.
Keiner konnte am Anfang der Pandemie sagen, wie viele Intensivbetten es gibt, wie viele davon frei sind und wie viele Corona-Erkrankte gerade intensiv versorgt wurden.
Deshalb hat die Politik mit viel Geld die Krankenhäuser dazu gebracht, neue Intensivkapazitäten einzurichten, ohne zu wissen, ob die wirklich gebraucht werden.
Wir bei Helios haben schon während der Pandemie gesagt: Macht euch keine Sorgen, ausreichend Kapazitäten sind da!
Francesco De Meo, Ex-Klinikmanager
Der Bund hat im Jahr 2020 insgesamt 686 Millionen Euro Fördergeld an die Kliniken geleitet, die damit neue Intensivbetten anschaffen sollten. Die hätte es also gar nicht gebraucht?
In Deutschland hatten wir schon damals dreimal so viele Intensivkapazitäten wie in Spanien. Und wir haben auch deutlich mehr als die Spitäler in der Schweiz, einem Land, das dafür steht, seinen Bewohnern viel Sicherheit zu bieten.
Also haben wir bei Helios schon während der Pandemie gesagt: Macht euch keine Sorgen, ausreichend Kapazitäten sind da! Die Krankenhäuser mussten nur lernen, die vorhandenen Kapazitäten intelligent auszulasten. Und dieser Lernprozess hat hierzulande zu lange gedauert.
Nun sind die Bettenkapazitäten nur eine reine Messgröße. Viel wichtiger ist das ärztliche und pflegerische Personal, das für die Behandlungen in diesen Betten verfügbar ist. Während der Pandemie gingen Bilder von völlig überlasteten Ärzten und Pflegekräften aus vielen Ländern um die Welt. Wie verträgt sich das mit dieser Aussage, dass es eigentlich genug Kapazitäten gab?
Natürlich war das eine immense Ausnahmesituation für das Personal – aber nur für diejenigen, die die Corona-Patienten versorgt haben. Die standen im Feuer.
Aber es gab auch viele Klinikbeschäftigte, die in der Pandemie deutlich weniger zu tun hatten. Denn in anderen Bereichen waren deutlich weniger Patienten zu versorgen als vor der Pandemie. Zum einen, weil planbare Behandlungen wie Knie- oder Hüftoperationen verschoben wurden. Zum anderen, weil sich die Menschen wegen anderer Krankheiten nicht mehr in die Kliniken wagten, aus Angst davor, sich mit Corona anzustecken.
Die Pandemie hat zu mehr Normalität geführt. Die Menschen handeln eigenverantwortlicher, sie denken mehr darüber nach, ob es wirklich nötig ist, in eine Klinik zu gehen.
Francesco De Meo, Ex-Klinikmanager
Aber dieses Personal hat sich doch nicht gelangweilt?
Nein, natürlich nicht, überall in den Krankenhäusern waren Gott sei Dank viele, die ihren bedrängten Kolleginnen und Kollegen auf den Intensivstationen beigesprungen sind. Da zeigte sich der Vorteil fachübergreifender Teams, wie sie in anderen Ländern längst üblich sind, aber eben nicht in Deutschland. Bei Helios haben wir beispielsweise schnell Mitarbeitende in der Intensivpflege angelernt, sodass sie helfen konnten.
Sie schreiben, in dieser Zeit hätten die Patienten verlernt, ins Krankenhaus zu gehen. Und das blieb so auch nach der Pandemie, wie es die hohe Zahl von Kliniken, die derzeit ums wirtschaftliche Überleben kämpfen, belegt. Denn deren Betten sind auch jetzt oft nicht ausgelastet. Hat die Pandemie die Ambulantisierung in Deutschland gefördert?
So merkwürdig es klingen mag: Die Pandemie hat zu mehr Normalität geführt. Die Menschen handeln eigenverantwortlicher, sie denken mehr darüber nach, ob es wirklich nötig ist, in eine Klinik zu gehen. Das hat die stationären Einweisungen deutlich reduziert.
Das deutsche Krankenkassensystem ist seit der Gründung durch Bismarck darauf ausgelegt, dass die Kranken die Verantwortung für ihre Gesundheit abgeben. Die Pandemie hat das zumindest zum Teil geändert. Und diesen Trend sollte man für eine grundlegende Reform nutzen, die mehr auf der Eigenverantwortung der Menschen fußt.
Der Gedanke, ein finanzielles Plus zu erwirtschaften, spielt bei jedem Klinikmanager eine Rolle.
Francesco De Meo, Ex-Klinikmanager
Sie waren jahrelang der Chef einer der größten privaten Klinikketten in Europa. In dem Job spielte doch sicher auch das Business eine Rolle, Renditen und Gewinnmaximierung. Damals hätten Sie es sicher nicht begrüßt, dass weniger Patienten in die Krankenhäuser kommen, oder?
Der Gedanke, ein finanzielles Plus zu erwirtschaften, spielt bei jedem Klinikmanager eine Rolle, ob sie nun ein privates, ein kirchliches oder ein kommunales Krankenhaus leiten. Und die meisten von ihnen – auch wenn es wahrscheinlich nur wenige zugeben werden – handeln nach der Devise: Was das System hergibt, das nimmt man mit.
Und wenn das System vorsieht, dass eine stationäre Behandlung besser bezahlt wird, dann macht man diese oder jene Operation eben stationär, auch wenn sie ebenso gut ambulant möglich wäre. Da wird leider immer noch ökonomisch entschieden und nicht vorrangig medizinisch.
Man hört immer wieder, dass Kliniken – so auch der Helios-Konzern – ihren Ärzten beibringen, wie man Leistungen gegenüber den Krankenkassen richtig codiert, also möglichst lukrativ abrechnet …
Richtig codieren ist ja nichts Verwerfliches. Die Codierung ist nichts anderes, als dass Sie abrechnen, was Sie wirklich geleistet haben. Das nicht zu tun, wäre das Dümmste, was man als Arzt machen kann. Man arbeitet, liefert tolle Qualität, hilft den Menschen – und vergisst dann, es aufzuschreiben, und bekommt deshalb nicht das Geld, das einem zusteht.
Wenn das Codieren in diesem Sinne betrieben wird, ist es kein Problem. Versucht man es auszureizen, ist das nicht gut. Aber das gilt für jede Abrechnung: Man darf nicht betrügen.
Die Krankenkassen sagen aber, dass dabei sehr oft betrogen werde. Das zeigten die Abrechnungskontrollen des Medizinischen Dienstes (MD).
Zunächst einmal: Die Kontrollen des MD sind wichtig. Was dabei herauskommt, führt oft zu Streitigkeiten zwischen Kliniken und Kassen. Die Behauptungen der Krankenkassen, dabei werde oft betrogen, sind gesteuert von dem Bestreben, möglichst wenig Geld auszugeben.
Deshalb geht es bei den Streitigkeiten weniger darum, dass falsche Leistungscodes in Rechnung gestellt werden, sondern meist darum, ob ein Patient die preiswerteste angemessene Behandlung bekommen hat.
Das heißt, unter Ihrer Leitung war der MD bei Helios immer willkommen?
Nun ja, der MD ist ja eher unwillkommen, weil er stört. Aber natürlich ist er willkommen in seiner Funktion. Sie brauchen jemanden, der kontrolliert, solange Sie ein System haben, das anfällig für Manipulationen ist, so wie in Deutschland. Deshalb bräuchte es solche Kontrollen übrigens auch im ambulanten Bereich.
Anders als Sie beklagen Krankenhäuser und vor allem deren Lobbyverband, die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), immer wieder, die aufgedeckten Falschabrechnungen seien so minimal, dass sie nicht ins Gewicht fielen. Der MD sei also überflüssig.
Wie gesagt: Sicher ist der MD als „Störfaktor“ im Krankenhausbetrieb nicht gern gesehen. Aber auf der anderen Seite muss man festhalten: Die gesteigerte Effizienz in den deutschen Krankenhäusern, die erreichte Verkürzung der Liegezeiten und die Verbesserungen in der Behandlungsqualität gehen auf die Pauschalsummen bei den Behandlungshonoraren – die sogenannten DRGs – und die daraus folgenden Abrechnungskontrollen des MD zurück.
Es braucht Landräte, die den Mut haben, sich beim Thema Gesundheit zu engagieren und den Leuten zu erklären, welche Versorgung wirklich gebraucht wird.
Francesco De Meo, Ex-Klinikmanager
Die DKG läuft nun erneut Sturm, diesmal gegen die gerade beschlossene Krankenhausreform. Diese werde dazu führen, dass Kliniken massenhaft schließen müssten. Sehen Sie das auch so?
Es stimmt: Wir haben in Deutschland zu viele Krankenhäuser. Derzeit gibt es etwa 1800 Standorte. 800 davon könnte man meines Erachtens schließen – oder umwandeln. Wir brauchen nämlich weiterhin viele dieser Klinikstandorte, nur in einer anderen Form.
Es ist fatal, dass sich die Krankenhausreform nur auf die Strukturen konzentriert und dabei das Versorgungsproblem außer Acht lässt. Eigentlich hätte man vor der Reform klären müssen, welcher Versorgungsbedarf besteht in den einzelnen Regionen und wie die vorhandenen Kliniken zu diesem Bedarf passen.
Was meinen Sie mit umwandeln?
Ein Beispiel: Wir haben im Osten viele kleine Krankenhäuser, die für die Versorgung in den Regionen sehr wichtig sind – auch für die ambulante Versorgung, weil es dort an niedergelassenen Ärzten mangelt.
Wir haben andererseits in großen Städten oft so viele Kliniken, dass etliche darunter nicht nötig sind. Die werden aber trotzdem aufrechterhalten, es wird Geld hineingegeben, statt die Standorte in etwas umzuwandeln, das wirklich gebraucht wird, ambulante Gesundheitszentren zum Beispiel, neue Pflegeheime oder Präventionszentren.
Nun ist der objektive Bedarf das eine, der empfundene etwas ganz anderes. Viele Menschen gerade auf dem Land erwarten von ihrem Landrat, dass er die Kliniken in ihrem Kreis bewahrt. Und der Landrat wird seinen Wählern entgegenkommen und das objektiv überflüssige Krankenhaus weiter finanzieren wollen.
Genau deshalb braucht es Landräte, die den Mut haben, sich beim Thema Gesundheit zu engagieren und den Leuten zu erklären, welche Versorgung wirklich gebraucht wird.
Wir haben das gelernt beim Thema Mobilität. Früher wurde auch dieses Thema von den Strukturen her gedacht: Man baute Verkehrswege – Autobahnen, Straßen, Schienen, Bahnhöfe. Je mehr ein Landkreis davon hätte, desto besser sei die Mobilität der Bewohner gesichert.
Wenn Sie Mediziner fragen, was wir wirklich bräuchten für eine gute medizinische Versorgung und worauf wir verzichten können, werden Sie vieles hören, was sofort zu einer Entlastung der Haushalte führen würde.
Francesco De Meo, Ex-Klinikmanager
Heute wird stattdessen nach dem Bedarf gefragt: Wie viele Menschen müssen wann, wie oft und wie schnell von A nach B und wieder zurückkommen? Daran entlang plant man heute das Straßennetz, den öffentlichen Nahverkehr und die Bahnhöfe. Das Gleiche muss auch für die Gesundheitsversorgung gelten: Welche Angebote müssen in welcher Entfernung vorhanden sein, um den Bedarf der Bevölkerung an medizinischer Betreuung zu decken?
Was muss eine richtige Krankenhausreform also konkret leisten?
Die Struktur der Krankenhausversorgung darf erstens nicht vom Reißbrett technisch gelöst werden – so wie es jetzt Lauterbachs Reform versucht –, sondern anhand des konkreten Bedarfs an medizinischer Versorgung vor Ort. Und zweitens darf eine solche Reform nicht – so wie es jetzt ebenfalls die aktuelle Reform falsch macht – nur den stationären Sektor isoliert betrachten, sondern das gesamte Netzwerk der medizinischen Versorgung.
Das heißt, die bisherige Krankenhausplanung müsste sich auch damit beschäftigen, was die niedergelassenen Ärzte machen sollen. An die Stelle der bisherigen Krankenhausplanung auf Ebene des Bundeslandes sollte eine regionale Versorgungsbedarfsplanung treten. Dann hätte man ein gutes System.
Und auch eines, das über genug Geld verfügt, auch ohne massive Erhöhung der Beitragssätze, wie sie wohl im kommenden Jahr kommen werden?
Es ist schon jetzt genug Geld im System, es wird nur falsch eingesetzt. Wenn Sie Mediziner fragen, was wir wirklich bräuchten für eine gute medizinische Versorgung und worauf wir verzichten können, werden Sie vieles hören, was sofort zu einer Entlastung der Haushalte führen würde. Zum Beispiel der Verzicht auf Doppeluntersuchungen.
Wenn Sie diese Mittel freigeschaufelt haben, können Sie die für das Richtige einsetzen, zum Beispiel um die Umwandlung einer Klinik in ein ambulantes Zentrum zu finanzieren. Und nach solchen Umwandlungen werden Sie feststellen: Ich brauche insgesamt weniger Budget, obwohl sich die Versorgung sogar verbessert hat.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false