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Loskommen von Alkohol, Pillen oder Drogen: Mehr Psychotherapie für Suchtkranke möglich
Mit einer neuen Regelung sollen Süchtige mehr Zeit bekommen, um mit professioneller Hilfe abstinent zu werden. Vielen Therapeuten geht dies nicht weit genug.
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Der Weg von der Sucht zur Abstinenz ist in der Regel sehr schwierig. Oft sind mehrere Anläufe nötig, weil es im ersten, zweiten oder dritten Versuch nicht gelingt, von einer Substanz loszukommen. Wer diesen Weg mit professioneller Begleitung eines Psychotherapeuten geht, hat es in der Regel etwas leichter. Für die Betroffenen könnte es bald eine umfangreichere Unterstützung geben.
Eine ambulante Psychotherapie für Suchtkranke, die abstinent werden wollen, soll künftig bis zu 24 Behandlungsstunden umfassen dürfen – bislang waren es nur zehn. Das hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der die Ansprüche der 74 Millionen gesetzlichen Krankenversicherten in Deutschland regelt, am Donnerstag entschieden. Demnach können Menschen, die von Alkohol oder Medikamenten abhängig sind, mindestens zwölf Stunden Psychotherapie in Anspruch nehmen. Wenn das Ziel der Abstinenz danach noch nicht erreicht ist, aber weiterhin realistisch erscheint, sind weitere zwölf Sitzungen möglich.
Ausdrücklich erwähnt der G-BA in diesem Zusammenhang auch die Legalisierung von Cannabis. Da in dem Punkt nicht mehr „zwischen legalen und illegalen Drogen“ unterschieden werden könne, habe man in den neuen Richtlinien für „Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen“ darauf verzichtet, diese wie bisher auf „Alkohol, Medikamente und Drogen“ zu beziehen. Die Neuregelung soll nun für alle Substanzen gelten, die auf das zentrale Nervensystem wirken – also psychotrop sind – mit Ausnahme von Tabak, Nikotin und Koffein.
Aber wann und wie oft ist eine Therapie für Süchtige überhaupt sinnvoll? „Nicht für jedes Stadium einer Abhängigkeitserkrankung ist die Richtlinien-Psychotherapie geeignet“, sagt Bernhard van Treeck, unparteiisches Mitglied des G-BA. Das heißt, er ist weder an die Seite der Krankenkassen gebunden, die die Leistungen bezahlen müssen, noch an diejenigen, die die Leistungen erbringen, also Krankenhäuser und Ärzte. Van Treek sagt, dass beispielsweise bei einer schweren Abhängigkeit eine vorherige Entzugsbehandlung in einer Klinik oft unumgänglich sei. Erst danach könne eine ambulante Behandlung stattfinden.
Die Experten glauben, dass der neue Beschluss Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mehr Flexibilität bietet und eine individuellere Betreuung der Betroffenen ermöglicht. Genau das bezweifeln jedoch die Therapeuten – ihnen geht die neue Regelung nicht weit genug. Sie bleibe vielmehr „deutlich hinter den Möglichkeiten zurück, die eine Psychotherapie bei Suchterkrankungen bietet“, teilt Gebhard Hentschel, Vorsitzender der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung, in einer Presseerklärung mit.
Hentschel kritisiert vor allem die Tatsache, dass Patienten bereits innerhalb der ersten 24 Sitzungen nachweisen müssten, keine Suchtmittel mehr zu konsumieren. Dies entspreche nicht den aktuellen fachlichen Standards. Es könne schon ein Erfolg sein, den Konsum innerhalb dieses Zeitraums zu reduzieren – auch wenn die Abstinenz nicht gänzlich gelinge.
Darüber gab es auch in der abschließenden Beratung des G-BA durchaus Auseinandersetzungen. Zweifel wurden laut, dass gerade für Schwerstkranke ein Entzug innerhalb von zwölf oder 24 Sitzungen während einer ambulanten Therapie grundsätzlich möglich sei. Doch die Experten verwiesen auf die vielen weiteren Behandlungsmöglichkeiten und Angebote als Alternative beziehungsweise Ergänzung zur Psychotherapie.
Zuvor hatte der Beauftragte für Sucht- und Drogenfragen der Bundesregierung, Hendrik Streeck, auf die Bedeutung des Themas hingewiesen: „Sucht und Drogen sind keine Randthemen – sie betreffen Millionen Menschen und sind ein Prüfstein für die Stärke unseres Gesundheits- und Sozialsystems“.
Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums sind in Deutschland 1,6 Millionen Menschen alkoholabhängig, und bei schätzungsweise 2,9 Millionen liegt ein problematischer Medikamentenkonsum vor. Rund 1,3 Millionen Menschen sollen einen problematischen Konsum von Cannabis und illegalen Drogen aufweisen.
Zumindest einige davon könnten nun von der Lockerung der Regeln profitieren – und sich vielleicht mit professioneller Hilfe eher von der Abhängigkeit lösen. Sofern es ihnen gelingt, einen der knappen Therapieplätze zu bekommen.
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