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Das arabische Medienimperium Al-Dschasira: Unterstützt der Sender den Terror?
Israel bezeichnet den getöteten Journalisten Anas al-Sharif als Hamas-Kämpfer, der TV-Kanal dementiert. Der Fall rückt die Arbeit des Senders in den Fokus, der einst die arabische Medienladnschaft revolutionierte.
Stand:
Mit der gezielten Tötung des Gaza-Korrespondenten Anas al-Sharif durch Israel ist der panarabische Sender Al-Dschasira wieder in den Fokus geraten. Israel behauptet, der Mitarbeiter sei Chef einer Kampfzelle der Hamas gewesen. Der Sender und Al-Sharif vor seinem Tod hatten diese Beschuldigungen zurückgewiesen.
Diese Tötung des insgesamt achten Mitarbeiters des Senders in Gaza seit Ausbruch des Krieges nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 erfolgte vor dem Hintergrund einer erbitterten Fehde zwischen Israel und dem in Katar ansässigen Nachrichtensender.
Israel wirft Al-Dschasira im Nahostkonflikt unausgewogene Berichterstattung und mediale Unterstützung der von Israel und vielen westlichen Ländern als terroristisch eingestuften Hamas vor. Wer ist der Nachrichtensender und welche Rolle spielt das Medienunternehmen in der Region und im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern?
Mediale Revolution
Als der katarische Nachrichtensender 1996 an den Start ging, kam das einer Revolution in der von Autokraten und Diktatoren regierten arabischen Welt gleich: Plötzlich konnten sich politische Oppositionelle aus arabischen Ländern im Fernsehen äußern, es wurde über soziale Proteste und Menschenrechtsverletzungen in der Region berichtetet.
Die neue Meinungsfreiheit war unerhört, Debatten wurden angestoßen und die Menschen schauten Al-Dschasira, wenn sie wissen wollten, was in ihrem eigenen Land vor sich ging.
Ein Tabubruch war auch die Berichterstattung über Israel und den Nahostkonflikt: Israelische Politiker, Experten und Armeesprecher wurden regelmäßig in Talkshows eingeladen und interviewt – Reporter berichteten direkt aus der Knesset, dem israelischen Parlament. Das war bis dahin undenkbar gewesen in der arabischen Welt.
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Doch Al-Dschasira hat auch weltweit die Wahrnehmung massiv verändert. Bis dahin gab es nur westliche Nachrichtensender wie die amerikanische CNN oder die britische BBC, die rund um die Uhr und rund um den Globus berichteten.
Damit war es spätestens im Krieg der USA und ihrer Verbündeten gegen Afghanistan ab 2001 und gegen den Irak ab 2003 vorbei. Der panarabische Sender konterte mit seinem dichten Korrespondentennetz vor Ort die Narrative der Kriegspartei USA und die Berichterstattung der US-amerikanischen Sender.
Und mit dem Start des redaktionell eigenständigen Programms in englischer Sprache, bei dem viele prominente Reporter und Moderatoren von CNN, BBC oder Sky anheuerten, war der Sender seit 2006 zu einer alternativen Informationsquelle weltweit geworden.
Katars Rolle
Was fehlt, ist die kritische Berichterstattung über Katars Innenpolitik. Denn der Sender wurde von der katarischen Regierung gegründet und wird von ihr finanziert – auch wenn er formal ein Privatunternehmen ist.
Der winzige Golfstaat wollte damit seine „soft power“ verstärken und ein Instrument für „public diplomacy“ schaffen, das außenpolitisch die Interessen Katars unterstützt.

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Durch diese verschwommene Abgrenzung vom Staat geriet der Sender immer wieder in außenpolitische Kontroversen, beispielsweise als Katar sich 2017 mit den restlichen Golfstaaten überwarf und der Sender daraufhin zeitweise in Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain verboten wurde.
Unmut arabischer Regime
Der Sender hat aber auch schnell durch seine Arbeit Kontroversen ausgelöst. Ihm wird vorgeworfen, eine Agenda zu haben, auf Einschaltquoten und Schlagzeilen zu setzen. Aber auch die kritische Berichterstattung stört, wie im Streit mit der Regierung von Malaysia um eine Dokumentation über die Behandlung von Gastarbeitern in dem Land.
Die arabischen Regime werfen dem Sender regelmäßig vor, zum Aufruhr aufzustacheln und dabei islamistischen Gruppierungen besonderes Gehör zu schenken.

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Insbesondere im sogenannten Arabischen Frühling hat der Sender nach Ansicht seiner Kritiker die revolutionäre Stimmung angeheizt und islamistischen Oppositionsgruppen eine besonders breite Plattform geboten. So wurden Arbeit und Ausstrahlung des Senders immer wieder zeitweise verboten, unter anderem in Ägypten, Algerien oder im Irak.
Die Bin-Laden-Videos
Den Vorwurf der Unterstützung von Terrorismus hat Al-Dschasira sich insbesondere durch den Umgang mit den Videoauftritten des Al-Qaida-Gründers Osama Bin Laden oder seines Stellvertreters Ayman al-Zawahiri eingehandelt.

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Der Sender hatte in der ersten Zeit diese Ansprachen der Terroristenführer ungeschnitten und unreflektiert in voller Länge im Original ausgestrahlt. Das wurde immer wieder mit der Meinungsfreiheit verteidigt – aber später änderte der Sender seine Politik und editierte das Video-Material und bettete es in einordnende Berichterstattung ein.
Israel und Palästina
Der Nahostkonflikt war von Anfang an ein Hauptschwerpunkt des Nachrichtennetzwerkes – weil es ein zentrales Thema in der arabischen Welt ist und um der als pro-israelisch empfundenen Berichterstattung westlicher Fernsehsender etwas entgegenzusetzen.
Gleichzeitig brachte der Sender israelische Stimmen und Regierungsvertreter ins Programm. Aber eben auch palästinensische Stimmen und darunter Hamas-Vertreter, was lange eher die von der Fatah dominierten palästinensische Autonomiebehörde (PA) im Westjordanland störte.
Sie verbot 2025 zeitweilig die Arbeit des Senders im Westjordanland. Auslöser war die Berichterstattung über das Vorgehen der PA-Sicherheitskräfte gegen militante Gruppen in Dschenin gewesen.
Doch spätestens seit dem Gazakrieg 2008 bekämpft Israel den Sender: Damals erklärte Israel einen „Boykott“ des Senders.
Es warf ihm eine voreingenommene Berichterstattung vor, weil es mehr über palästinensische als israelische Opfer berichtete, zu wenig über palästinensische Angriffe und einseitig zugunsten der Hamas. Al-Dschasira wurde von Regierungspressekonferenzen ausgeschlossen und verlor den Zugang zur Knesset.

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Ein Tiefpunkt war 2022 erreicht, als die israelische Armee in Dschenin die bekannte und beliebte Journalistin Shirin Abu Akleh erschoss, die über 25 Jahre aus dem Westjordanland für Al-Dschasira berichtet hatte.
Nachdem Israel lange seine Verantwortung abgestritten hatte, räumte es nach ausländischen Untersuchungen schließlich ein, dass ein israelischer Soldat die mit Helm und Presseweste gut als Journalistin erkennbare Reporterin „versehentlich“ erschossen hatte. Der Sender spricht bis heute von einer einem gezielten Angriff auf seine Mitarbeiterin.

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2024 hat Israel die Arbeit des Senders und die Ausstrahlung auf israelischem Territorium schließlich verboten – wozu ein neues Gesetz geschaffen wurde. Netanjahu hatte den Sender mehrfach als „Sprachrohr der Hamas“ bezeichnet. Kommunikationsminister Shlomo Karhi bezeichnete ihn als „Terroristensender“, dem man nicht erlaube, die eigenen Soldaten in Gefahr zu bringen.
Gleichzeitig ist Al-Dschasira der einzige internationale Fernsehsender, der im Gazastreifen präsent ist, da die israelischen Behörden seit Beginn der Militäroperationen 2023 keine ausländischen Journalisten einreisen lassen.
Berichterstattung über den Krieg
Relativ einig sind sich Experten darüber, was der Schwerpunkt der Berichterstattung Al-Dschasiras im Krieg in Gaza ist: „Al-Dschasira gibt den palästinensischen Stimmen mehr Raum, lässt die Zivilisten zu Wort kommen, stellt das menschliche Leid in den Vordergrund“, sagt der Experte Fuhaid Alajmi.
Er hat gerade an der New Yorker Syracuse-Universität eine Vergleichsstudie über die Arbeit von CNN und Al-Dschasira in den ersten Kriegswochen veröffentlicht.
Westliche Medien würden den Fokus eher auf militärische und politische Aspekte legen und „sehr stark“ auf offizielle westliche und israelische Quellen zurückgreifen, sagt er dem Tagesspiegel.
Auch für den Professor für Vergleichende Analyse von Mediensystemen und Kommunikationskulturen an der Universität Erfurt, Kai Hafez, liegt „der Fokus von Al-Dschasira ganz klar auf einer viel stärkeren auch visuellen Repräsentation von palästinensischem Leid“.
Dabei mögen israelische Opfer unterrepräsentiert sein, sagt der Politik- und Kommunikationswissenschaftler dem Tagesspiegel. Er weist in dem Zusammenhang darauf hin, dass westliche und deutsche Medien lange Zeit nicht über das palästinensische Leid berichtet hätten.
Vorwurf der Unterstützung von Terrorismus
Besonders kontrovers ist die Verbreitung von Kommuniqués der Hamas und Interviews mit Vertretern der Gruppe, die aus einem politischen, einem militärischen und einem sozialen Arm bestanden hatte.
Damit beschert Al-Dschasira den Hamas-Positionen große Reichweite. Auch gibt es Berichte, nach denen Interviews, in denen Palästinenser die Hamas kritisieren, abgebrochen oder nicht gesendet wurden.

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Eine „Heroisierung“ der Hamas kann Hafez in der Berichterstattung dennoch nicht erkennen. „Richtig ist, dass Al-Dschasira Aussagen der Hamas als reguläre Quellen verwendet, wie deutsche Medien regelmäßig Aussagen des israelischen Staates und Militärs verwenden: In beiden Fällen besteht die Gefahr einer Verbreitung von Propaganda von Kriegsparteien.“
Bei der Frage, ob der Sender – wie von Israel vorgebracht – Terrorismus unterstütze, kommt es laut Alajmi darauf an, wie man die Hamas einordnet.
In der arabischen Welt allgemein und bei dem Sender werde sie als Widerstandsgruppe angesehen. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hatte 2024 die seit fast 60 Jahren andauernde Besatzung der Palästinensergebiete durch Israel als völkerrechtswidrig eingeordnet.
Widerstand gegen Soldaten einer Besatzungsmacht im besetzten Gebiet ist laut Völkerrecht legitim. „Al-Dschasira unterstützt daher aus seiner eigenen Sicht keinen Terrorismus“, sagt Alajmi.
CNN und westliche Medien dagegen folgten der Einstufung der gesamten Hamas durch Israel, der EU oder den USA als Terrororganisation. Auf dieser Basis werde die Al-Dschasira-Berichterstattung teilweise als Unterstützung von Terrorismus gesehen, erklärt Alajmi.
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