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Hat Frieden in der heutigen Welt noch eine Chance?

© Gestaltung: Tagesspiegel/Schneider/imago images, freepik

Der Gaza-Krieg, Trump und der Nahe Osten: Ist es naiv, auf friedliche Zeiten zu hoffen?

Das Hamas-Massaker hat die Region grundlegend verändert. Ein Gespräch mit der Journalistin Natalie Amiri über die Bedeutung des 7. Oktobers, die Palästina-Frage und Syriens Befreiungsschlag.

Stand:

Frau Amiri, Ihr neues Buch „Der Nahostkomplex“ beginnt mit einer Art Minutenprotokoll des Hamas-Terrorangriffs auf den Kibbuz Be’eri am 7. Oktober. Das ist zwei Jahre her. Warum haben Sie dennoch diesen Einstieg gewählt?
Weil die Welt an diesem Tag des Grauens erstmals nach langer Zeit wieder auf den Nahostkonflikt geschaut hat. Jenen geopolitischen Konflikt, der schon seit Jahrzehnten existiert und bis heute nicht gelöst werden konnte.

Der 7. Oktober war vermutlich ein Schlüsselmoment – wohl nur vergleichbar mit dem Terroranschlag in den USA am 11. September 2001 –, der in der gesamten Region einen grundlegenden Wandel eingeleitet hat, einschließlich einer Veränderung der Machtverhältnisse.

Auf das Massaker der Islamisten folgte der Gaza-Krieg. War es absehbar, dass die Kämpfe in einer weitgehenden Zerstörung des Küstenstreifens mit Zehntausenden Toten münden?
Nein, und es wäre auch nicht nötig gewesen! Der Krieg und damit das Leid hätten viel früher beendet werden können. Die Hamas war als Terrororganisation verhältnismäßig rasch militärisch besiegt. Das bestätigten mir mehrere ehemalige hochrangige israelische Sicherheitsexperten. Dass ihr ideologisch nicht beizukommen ist, wusste ohnehin jeder. Aber Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat keiner Waffenruhe zugestimmt, vor allem, weil er seine rechtsextremen Koalitionspartner nicht verprellen wollte.

Netanjahu trägt die Verantwortung dafür, dass der Krieg so lange geführt wurde?
Die Schuld für den 7. Oktober liegt allein bei der Hamas. Sie hat den Angriff geplant, die Menschen getötet und verschleppt. Aber es wäre für Israel möglich gewesen, weit vor der vereinbarten Waffenruhe den Einsatz zu stoppen.

Israel kann mit dem Prozess der Heilung beginnen.

Natalie Amiri, Nahost-Expertin

Jetzt möchte Donald Trump mit seinem „Friedensplan“ den Krieg beenden. Wie groß sind die Chancen, dass das gelingt?
Im Nahen und Mittleren Osten ist schon der kleinste Lichtblick ein Hoffnungsschimmer. Trumps Plan ist ein solcher. Denken Sie nur an die vielen Familien, die endlich ihre in Geiselhaft gehaltenen Angehörigen wieder in die Arme schließen konnten – und an die Hunderttausenden Palästinenser, die nicht mehr im Raketenhagel um ihr Leben fürchten müssen.

Ich habe mehrmals Einav Zangauker getroffen, die früher eine treue Anhängerin Netanjahus war, ihn heute aber scharf kritisiert. Sie hat sich monatelang auf dem sogenannten Platz der Geiseln in Tel Aviv die Kehle aus dem Leib geschrieben und die Rückkehr ihres Sohnes gefordert. Jetzt ist Matan wieder daheim. Das allein ist doch schon ein riesiger Gewinn. Israel kann mit dem Prozess der Heilung beginnen. Und Gaza hoffentlich so schnell wie möglich mit dem Wiederaufbau.

Die Feuerpause in Gaza scheint, abgesehen von kleineren Zwischenfällen, zu halten. Die Menschen leben dennoch inmitten einer Trümmerwüste.

© REUTERS/Mahmoud Issa

Sie sprachen mit Blick auf Israel von einem „Prozess der Heilung“. Wie meinen Sie das?
Der 7. Oktober und seine Folgen sind eine traumatische Erfahrung für das Land. Das gilt nicht nur für das Bangen um die Geiseln, sondern auch für den Krieg selbst.

Unglaublich viele Reservisten waren mehrere Hundert Tage im Einsatz in Gaza – ohne dass sie darauf vorbereitet wurden. Sie leiden unter einer Verletzung ihres eigenen Wertesystems aufgrund der schlimmen Erfahrungen, die sie gemacht haben und was sie mit ansehen mussten, welche Befehle sie befolgen mussten.

Traumatisiert sind auch die Menschen in Gaza. Jetzt können sie wieder aufatmen, oder?
Bei aller Furcht, die Bombardements könnten jeden Augenblick wieder beginnen, bedeutet gerade für die Menschen in Gaza die Waffenruhe ein Segen, selbst wenn sie brüchig ist und noch gar keine Klarheit herrscht, wie es weitergeht.

Man könnte 1000 Gründe finden, um Trumps Gaza-Plan als ungenügend, ja, als falsch zu bezeichnen. Wer entwaffnet die Hamas? Welche Länder schicken unter welchem Mandat Truppen? Warum werden die Palästinenser nicht involviert? Wer bezahlt den Wiederaufbau? Dennoch bleibe ich dabei: Der Moment jetzt ist besser als die Situation vor zwei Monaten.

Donald Trumps Plan für Gaza soll der ganzen Region Frieden bringen.

© Imago/Bestimage/Eliot Blondet/Pool

Warum?
Weil mit Amerika eine Supermacht hinter dem Gaza-Plan steht. Das eröffnet bisher kaum vorstellbare Chancen. Nicht zuletzt, weil Trump viele arabisch-muslimische Machthaber für sein Vorhaben gewinnen konnte. Das scheint zu funktionieren, weil er Dinge wie Menschenrechte und Ideologie außen vor lässt und sich ausschließlich auf seine Rolle als Dealmaker beschränkt.

So ist es ihm gelungen, mit Leuten wie dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan oder dem Emir von Katar, Tamim bin Hamad al-Thani, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Das halte ich für eine recht gute Ausgangsbasis. Und: Wirtschaftliche Interessen können den ganzen Prozess einer dauerhaften Waffenruhe beschleunigen.

Im Zentrum aller Unruhen in der Region scheint nach wie vor der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zu stehen. Wird er auch in Zukunft das Geschehen im Nahen Osten dominieren?
Solange es keine Selbstbestimmung für Palästinenser gibt, wird dieser Streit sich weiterhin auf die gesamte Region auswirken. Das betrifft nicht zuletzt den Iran und dessen Agieren.

Gäbe es ein souveränes Palästina, hätte die Islamische Republik keinen Vorwand mehr, Israel etwa mithilfe der libanesischen Miliz Hisbollah zu bekämpfen.

Natalie Amiri, Islamwissenschaftlerin und Buchautorin

Inwiefern?
Das Regime in Teheran spielt sich als vermeintlicher Vorkämpfer der palästinensischen Sache auf. Das war einer der vorgeblichen Gründe, die anti-israelische „Achse des Widerstands“ mit bis zu 100.000 Kämpfern aufzubauen.

Doch es geht dabei gar nicht um die Palästinenser. Die iranische Führung hat vielmehr allein ihre eigene Existenzsicherung im Blick. Gäbe es ein souveränes Palästina, hätte die Islamische Republik keinen Vorwand mehr, Israel etwa mithilfe der libanesischen Miliz Hisbollah zu bekämpfen.

Das Ende einer Tyrannei: Am 8. Dezember 2024 wurde Assad in Syrien gestürzt.

© AFP/BAKR ALKASEM

Gibt es Entwicklungen, die Sie zuversichtlich stimmen?
Die gibt es. Zum Beispiel der Sturz des Langzeitdiktators Baschar al-Assad Anfang Dezember. Das war ein Moment der Befreiung für die syrische Bevölkerung. Eine junge Christin sagte mir während meines Besuchs des Landes: Wir haben wieder Sauerstoff zum Atmen in der Luft.

Bevor Assad fliehen musste, war das noch eine ganz andere Situation. Es herrschte ein Klima der Angst. Auch wenn die heutige Lage im Land alles andere als stabil ist und mit Übergangspräsident Ahmad al-Scharaa von einem schwer einzuschätzenden Islamisten regiert wird, scheint sich einiges zum Besseren gewendet zu haben. Dazu hat beigetragen, dass Israel mit seinem Feldzug gegen die Hamas und die Hisbollah die „Achse des Widerstands“ massiv geschwächt hat.

Assads Sturz hat dazu geführt, dass sich nicht nur Syrien, sondern auch der Libanon aus den Fängen des iranischen Regimes befreien konnte.

Natalie Amiri, frühere Leiterin des ARD-Büros in Teheran

Hat das – von Assads Sturz abgesehen – in der Region etwas Positives bewirkt?
Ja. Es hat dazu geführt, dass sich nicht nur Syrien, sondern auch der Libanon aus den Fängen des iranischen Regimes befreien konnte. Und: Sollte al-Scharaa all seine Versprechungen wahr machen, wäre das ebenfalls ein erfreuliches Zeichen.

Er erklärte sich bereits bereit, mit Israel Beziehungen aufzubauen. Ebenso wie Saudi-Arabien. Trump sprach erst Mittwoch davon, dass die Golfmonarchie bald die Abraham-Abkommen unterzeichnen werde.

Ist es naiv, auf friedliche Zeiten im Nahen Osten zu hoffen?
Nein! Auch wenn ich mir selbst manchmal nicht sicher bin, ob meine Hoffnung auf Frieden lediglich einem Wunschdenken entspringt. Oder ist die Konstellation gerade wirklich so günstig, dass man auf einen grundlegenden Wandel in der Region setzen kann? Für Letzteres spricht einiges.

Woran denken Sie?
Viele arabische Staaten haben offenbar echtes Interesse daran, dass in Gaza und darüber hinaus Ruhe und Stabilität einkehrt. Zudem will Trump als treibende Kraft den Krieg beenden und so auf der Gewinnerseite stehen. Ja, es gibt auf allen Seiten Saboteure, die keinerlei Interesse an einem Ausgleich haben. Aber jene, die auf Frieden drängen, sind lauter geworden. Zugleich finden die radikalen Kräfte anscheinend weniger Gehör.

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