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Die wichtigsten Fragen und Antworten: Eine Friedenstruppe für die Ukraine? Das ist der Stand
Großbritannien erklärt sich vor dem europäischen Ukraine-Gipfel dazu bereit, Friedenstruppen in die Ukraine zu entsenden. Wie reagieren andere Europäer – und welche Modelle stehen im Raum?
Stand:
Noch am Sonntagabend sagten Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz, die Frage nach Friedenstruppen in der Ukraine stelle sich jetzt nicht.
Fast gleichzeitig erklärte Großbritanniens Premierminister Keir Starmer seine Bereitschaft, bei einem Waffenstillstand mit Russland britische Truppen in die Ukraine zu entsenden – und gab damit ein weiteres Thema für den europäischen Gipfel am Montagnachmittag in Paris vor.
Bei dem Treffen soll es um die Lage in der Ukraine, Europas Reaktion auf den sicherheitspolitischen Kurswechsel der USA und den eigenen Beitrag zu einem Friedensdeal gehen. Die wichtigsten Fragen im Überblick.
Warum spielt die Frage nach Friedenstruppen jetzt eine Rolle?
Auch wenn die Positionen innerhalb der neuen US-Regierung inhaltlich teils auseinandergehen, hat Präsident Donald Trump eine drastische Wende in der Ukraine-Politik initiiert. Noch in dieser Woche will eine Delegation um US-Außenminister Marco Rubio in Saudi-Arabien ranghohe russische Vertreter treffen, um die Möglichkeiten für ein Ende des Angriffskriegs gegen die Ukraine auszuloten. Laut Russlands Außenminister Sergej Lawrow findet das Gespräch bereits am Dienstag in Riad statt.
Europa, das die Ukraine seit Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 unterstützt, bleibt dabei ebenso außen vor wie das angegriffene Land selbst. Trumps demokratischer Vorgänger Joe Biden hatte sich noch um einen gemeinsamen Kurs mit den Europäern bemüht.
Wenngleich Rubio am Sonntag sagte, dass im Falle „echter Verhandlungen“ die Ukraine und die Europäer beteiligt sein müssten, sehen sich die europäischen Staaten nun unter Druck, eine gemeinsame Haltung gegenüber dem neuen Kurs der USA zu finden. Sie müssen entscheiden, wie sie damit umgehen wollen, dass die Amerikaner für sie sehr wahrscheinlich keine zentrale Rolle im Verhandlungsprozess sehen – und von der Ukraine unabgesprochen Zugeständnisse fordern.
Immerhin hat Trumps Administration bereits klargemacht, dass die Ukraine aus US-Sicht die Ambitionen auf einen absehbaren Nato-Eintritt aufgeben und dauerhafte Gebietsverluste an Russland akzeptieren solle.
Absichern wollen die USA einen möglichen Frieden außerdem offenbar nicht selbst, wie nicht zuletzt die viel beachtete Rede von US-Vizepräsident JD Vance am Freitag bei der Münchner Sicherheitskonferenz deutlich machte. Dafür spricht auch, dass bei den Europäern kürzlich vonseiten der USA die Aufforderung einging, mögliche Beiträge zu Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu definieren. Europa muss sich also auch darüber klarwerden, wie es die Ukraine dabei unterstützen könnte, einen möglichen Waffenstillstand aufrechtzuerhalten.
Wer nimmt an dem Gipfel der Europäer teil?
Erwartet werden neben Bundeskanzler Olaf Scholz die Staats- und Regierungschefs von Großbritannien, Italien, Polen, Spanien, den Niederlanden und Dänemark. Zudem sind EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Ratspräsident António Costa sowie NATO-Generalsekretär Mark Rutte mit dabei. Gastgeber ist Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
Was will Starmer und wie begründet er seinen Vorstoß?
Mit seinem Vorstoß, im Falle eines Kriegsendes Friedenstruppen in die Ukraine zu entsenden, ist Briten-Premier Starmer der Aufforderung nachgekommen, Beiträge zu Sicherheitsgarantieren für die Ukraine zu definieren. Er stellt dabei eine „führende Rolle“ seines Landes in Aussicht.
„Ich sage das nicht leichtfertig“, schrieb der Sozialdemokrat in einem Gastbeitrag für den „Telegraph“. Er sei sich der Verantwortung bewusst, die damit einhergehe, dass britische Soldatinnen und Soldaten möglicherweise in Gefahr geraten.
„Aber jede Rolle bei der Gewährleistung der Sicherheit der Ukraine hilft, die Sicherheit unseres Kontinents und die Sicherheit dieses Landes zu gewährleisten“, schrieb Starmer. Das Ende des Krieges, wenn es denn komme, dürfe nicht nur eine Pause sein, ehe Russlands Präsident Wladimir Putin seine Truppen wieder angreifen lasse. Es ist das erste Mal, dass Starmer sich derart konkret dazu äußerte.
Wie steht Deutschland zu Friedenstruppen?
Kanzler Scholz hatte in der Vergangenheit immer wieder ausgeschlossen, dass Deutschland Bodentruppen in die Ukraine entsenden würde. Auch nach dem Vorstoß von Starmer hält er die Debatte um eine Beteiligung von Bundeswehrsoldaten an einem möglichen friedenssichernden Einsatz in der Ukraine für verfrüht. „Es ist ganz wichtig, dass wir uns klarmachen, da sind wir leider noch lange nicht“, sagte Scholz am Montag am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in Kassel.
Die Frage stelle sich erst, wenn es einen belastbaren, dauerhaften Waffenstillstand gibt, so Scholz am Sonntagabend beim TV-Quadrell von RTL/ntv. Er sieht als besten Weg, die ukrainische Armee zu stärken, indem man sie dauerhaft ausrüstet und finanziert. Er warnte zudem vor Vorfestlegungen über die Köpfe der Ukrainer hinweg.
Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) machte Ende Dezember ein „einwandfreies völkerrechtliches Mandat“ zur Voraussetzung für eine deutsche Beteiligung an einer Ukraine-Friedenstruppe.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sah Deutschland im Januar in der Pflicht. „Über die Frage wird man dann diskutieren, wenn es so weit ist“, sagte der SPD-Politiker zwar. Aber: „Wir sind der größte Nato-Partner in Europa. Da liegt es ja auf der Hand, dass wir eine Rolle spielen werden, Verantwortung übernehmen müssen.“
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gab sich ebenfalls immer wieder offen dafür, bei einem Waffenstillstand Bundeswehrsoldaten in die Ukraine zu schicken, um diesen zu sichern.
Wie haben sich andere europäische Staaten geäußert?
In Europa ergreift oft Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Initiative, wenn es um die Ukraine geht. Schon vor knapp einem Jahr hatte er europäische Bodentruppen für die Ukraine ins Spiel gebracht und damit reichlich Aufsehen erregt. Auch konnte er zur Wiedereinweihung der Kathedrale Notre Dame kurz Weihnachten ein Gespräch zwischen Trump und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj vermitteln. Dass sich Frankreich an Friedenstruppen beteiligen würde, gilt als wahrscheinlich.
Bereits reagiert auf den Vorstoß von Starmer hat Schweden. Das Land schließt die Entsendung von Soldaten in die Ukraine nicht aus, sofern der Krieg ein Ende findet.
Wir müssen jetzt zunächst einen gerechten und nachhaltigen Frieden aushandeln.
Maria Malmer Stenergard, Schwedens Außenministerin
„Wir müssen jetzt zunächst einen gerechten und nachhaltigen Frieden aushandeln, der das Völkerrecht respektiert, der die Ukraine respektiert und der vor allem sicherstellt, dass Russland sich nicht einfach zurückziehen, neue Kräfte mobilisieren und in nur wenigen Jahren die Ukraine oder ein anderes Land angreifen kann“, sagte Schwedens Außenministerin Maria Malmer Stenergard. „Wenn dieser Frieden erst einmal hergestellt ist, müssen wir dafür sorgen, dass er aufrechterhalten werden kann, und dann schließt unsere Regierung nichts aus“, fügte sie hinzu.
Auch Italien und Polen gelten in der Ukraine-Frage als wichtige Akteure und überzeugte Unterstützer des angegriffenen Landes. Warschau hatte am Wochenende allerdings bereits eine Beteiligung an einer Friedenstruppe abgelehnt. Regierungschef Donald Tusk bekräftigte dies am Montag noch einmal. Rom reagierte bislang nicht.
Welche Modelle für Friedenstruppen gibt es?
Zunächst einmal ist noch vollkommen unklar, worauf sich die Kriegs- und Vermittlerparteien verständigen würden. Ein mögliches Szenario wäre, dass die aktuelle Frontlinie nach den Vorstellungen der USA eingefroren wird. Dieser Annahme entsprechend wurden unlängst mehrere Modelle für Friedenstruppen diskutiert.
Zum einen könnten europäische Soldaten entweder allein oder im Verbund mit Soldaten außereuropäischer Länder wie China oder Indien die gesamte Frontlinie überwachen. Allerdings müssten dann Hunderte Kilometer gesichert werden. Und eine Beteiligung von beispielsweise China, das Europa als systemischen Rivalen wertet, dürften viele skeptisch sehen.
Eine weitere Möglichkeit wäre, eine schnelle Eingreiftruppe zu entsenden, die im Hinterland der Ukraine bereitsteht. Die Kontaktlinie zu den russischen Truppen müsste dann weiter das ukrainische Militär selbst sichern.
Zu klären wäre aber, was die genauen Aufgaben einer solchen Friedensmission wären. Dass Friedenstruppen bewaffnet sein müssten, um Russland abschrecken zu können, ist für viele Militärexperten klar.
Abseits davon können Soldaten allein nicht genug Abschreckung entfalten, wie zuletzt mehrere Analysten betonten. Es brauche auch eine Flug- und Raketenabwehr mit der Fähigkeit zu Langstreckenschlägen, sagte etwa der frühere Oberbefehlshaber der US-Armee in Europa, Ben Hodges, unlängst der „FAZ“.
Ohne US-Beteiligung halten manche Fachleute jedoch selbst ein solches Modell für unzureichend, um Putin von Attacken abzuhalten. Dass Trump US-Truppen in die Ukraine schickt, gilt wiederum als unwahrscheinlich. Diskutiert wird deshalb auch über die Frage, ob sogar eine nukleare Abschreckung vonnöten wäre.
Wie viele Soldaten wären nötig, um den Frieden in der Ukraine abzusichern?
Abhängig davon, auf welches Modell sich alle Parteien einigen würden, kursieren sehr unterschiedliche Zahlen. Der frühere Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, sagte jüngst der „FAZ“, 50.000 bis 100.000 Soldaten seien nötig, um die gesamte Frontlinie schützen zu können.
Der ukrainische Präsident Selenskyj bezifferte die Zahl auf mindestens 200.000 europäische Soldaten. Eine geringere Zahl ergebe keinen Sinn, sagte er im Januar beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Allerdings ging er nicht darauf ein, von welchem Modell er ausgeht.
Gerade zu Beginn einer Friedensmission wären aus Sicht des Militärexperten Markus Reisner 100.000 bis 150.000 Soldatinnen und Soldaten notwendig. Um den Frieden erfolgreich zu sichern, müssten die Soldaten außerdem mit Waffen ausgerüstet sein, sagte er in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“. Dass die Europäer allein eine entmilitarisierte Zone sichern könnten, schloss er aus.
Gerade weil extrem viele Soldaten in die Ukraine entsandt werden müssten, wenn die gesamte Frontlinie zu sichern wäre, bevorzugen einige das Modell einer schnellen Eingreiftruppe. Der Militäranalyst Franz-Stefan Gady ging zuletzt von 30.000 europäischen Soldaten aus, die dann im ukrainischen Hinterland stationiert sein müssten, um im Konfliktfall rasch reagieren zu können. Hinzu kämen weitere 60.000 Soldaten, damit die Truppen rotieren können, sagte er kürzlich der „FAZ“.
Was ist von dem europäischen Spitzentreffen in Sachen Friedenstruppen zu erwarten?
Öffentliche Ankündigungen – zum Beispiel zur möglichen Größe eines europäischen Truppenkontingents für die Ukraine – werden nicht erwartet. Aus der EU-Kommission hieß es, die Gespräche vom Montag sollten anschließend in anderen Formaten fortgesetzt werden – mit dem Ziel, alle Partner zusammenzubringen, die an Frieden und Sicherheit in Europa interessiert sind. (mit Agenturen)
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