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Ein Feuerwehrmann löscht in Odessa nach den russischen Luftangriffen einen Brand.

© Reuters/Press service of the State Emergency Service of Ukraine

Update

„Einer der heftigsten Luftangriffe“: Russland attackiert die Ukraine massiv – Polen lässt Kampfjets aufsteigen

Das russische Militär startet in der Nacht eine heftige Offensive aus der Luft. Attackiert werden auch Ziele im Westen der Ukraine, der an Polen grenzt. Der Nato-Staat reagiert umgehend.

Stand:

Luftalarm in vielen Teilen der Ukraine: Die Ukraine ist nach eigenen Angaben Ziel „eines der heftigsten Luftangriffe“ Russlands seit Beginn des Krieges geworden. Dabei sei vor allem die Energie-Infrastruktur des Landes attackiert worden, teilte Außenminister Andrij Sybiha am Sonntagmorgen mit.

Nach Angaben des Energieversorgers DTEK musste in der Hauptstadt Kiew und zwei weiteren Regionen des Landes wegen der Angriffe der Strom abgeschaltet werden.

Russland hat einen der heftigsten Luftangriffe ausgeführt: Drohnen und Raketen gegen friedliche Städte, schlafende Zivilisten, wichtige Infrastruktur.

Andrij Sybiha, Außenminister der Ukraine

Die Attacken der Armee von Kreml-Herrscher Wladimir Putin waren Kiews Angaben zufolge extrem: „Russland hat einen der heftigsten Luftangriffe ausgeführt: Drohnen und Raketen gegen friedliche Städte, schlafende Zivilisten, wichtige Infrastruktur“, erklärte Sybiha. Energieminister German Galuschtschenko zufolge griff Russland in der ganzen Ukraine wichtige Infrastruktur zur Energieerzeugung und -versorgung an.

Polen alarmiert „alle nötigen Kräfte“

In der ukrainischen Hauptstadt Kiew waren am Morgen mehrere von der Flugabwehr ausgelöste Explosionen zu hören. Explosionen wurden auch aus Saporischschja, Dnipro, Krywyj Rih und Odessa gemeldet.

Angaben der ukrainischen Luftwaffe zufolge sind Dutzende Marschflugkörper und ballistische Raketen unter anderem durch strategische Bomber auf Ziele im ganzen Land abgefeuert worden. Zuvor waren demnach bereits Dutzende Kampfdrohnen von Russland eingesetzt worden.

Das Nato-Land Polen ließ wegen „massiver“ russischer Angriffe auf die Ukraine Polen Kampfjets aufsteigen lassen. „Einsätze von polnischen und von alliierten Flugzeugen in unserem Luftraum haben begonnen“, erklärte die polnische Armee am Sonntagmorgen im Onlinedienst X. Zudem seien „alle nötigen Kräfte“ zur Verteidigung des eigenen Staatsterritoriums mobilisiert worden.

Grund für die Entscheidung seien „massive Angriffe der Russischen Föderation“ auf die Ukraine, erklärte die polnische Armee. Die russischen Angriffe erfolgten „mit Marschflugkörpern, ballistischen Raketen und Drohnen“. Sie richteten sich unter anderem gegen Einrichtungen in der Westukraine, die an Polen grenzt.

Das russische Militär hat Ziele in der Ukraine mit Marschflugkörpern und ballistischen Raketen angegriffen.

© dpa/Epa/Yuri Kochetkov

In der südukrainischen Großstadt Mykolajiw sind bei einem nächtlichen russischen Drohnenangriff nach Behördenangaben zwei Frauen getötet worden. „Verletzt wurden vier Erwachsene und zwei Kinder“, schrieb der Militärgouverneur der Region, Witalij Kim, bei Telegram.

Mykolajiw ist eine Hafenstadt am Schwarzen Meer östlich von Odessa. Die Stadt wird aufgrund ihrer relativen Nähe zur Front häufig von den russischen Truppen angegriffen. Erst vor wenigen Tagen wurden bei einer vorhergehenden Drohnenattacke fünf Menschen getötet. 

Nordkorea liefert Putin offenbar schwerste Artillerie

Die ukrainischen Streitkräfte stehen in den kommenden Tagen und Wochen vor einer gewaltigen Aufgabe. Während sich in der von Ukrainern besetzten westrussischen Region Kursk eine Gegenoffensive Moskaus abzeichnet, müssen die ukrainischen Soldaten im Osten ihres Landes am Rande des Donbass weitere Rückschläge in Form von Gebietsverlusten hinnehmen.

Neben Tausenden Soldaten hat Nordkorea seinem Verbündeten Russland einem Medienbericht zufolge nun auch schwerste Artilleriegeschütze zum Kampf gegen die Ukraine zur Verfügung gestellt. So sollen in den vergangenen Wochen knapp 50 schwere Haubitzen auf Selbstfahrlafetten aus nordkoreanischer Produktion sowie knapp 20 Mehrfachraketenwerfer in Russland eingetroffen sein, wie die „Financial Times“ unter Berufung auf gesicherte Quellen berichtete.

Russland zieht bei Kursk 50.000 Soldaten zusammen

Nordkoreas reichweitenstärkste Geschütze seien inzwischen in der Nähe von Kursk eingetroffen, um dort die russische Gegenoffensive gegen eingedrungene ukrainische Einheiten zu unterstützen. Die Haubitzen „Koksan“, die vor einigen Tagen auf einem russischen Bahnhof gesichtet worden seien, haben eine Reichweite von bis zu 50 Kilometern.

Russland hat zur Gegenoffensive bei Kursk nach Erkenntnissen westlicher und ukrainischer Militärexperten bereits knapp 50.000 Soldaten zusammengezogen, unter ihnen auch über 10.000 nordkoreanische Kämpfer. Diese waren zuletzt in Russland weiter ausgebildet und mit russischen Uniformen und Waffen ausgestattet worden.

Bei Kursk will das russische Militär Gelände zurückerobern, das ukrainische Truppen seit dem Sommer nach einem überraschenden Vorstoß über die Grenze besetzt halten.

Russland führt seit fast 1.000 Tagen einen Angriffskrieg gegen die Ukraine und hält knapp 20 Prozent des Gebiets des Nachbarlandes besetzt. Diese Gebietsgewinne wurden mit teils schweren Verlusten an Soldaten und Waffensystemen erkauft. Moskau wurde zuletzt massiv von Nordkorea unterstützt.

Selenskyj verteidigt Rückzugsstrategie im Osten

Unter dem massiven Druck der russischen Armee müssen sich die ukrainischen Truppen bei Kurachowe im Osten der Ukraine langsam zurückziehen. Präsident Wolodymyr Selenskyj bemühte sich in einem Radio-Interview, die Rückzugstaktik positiv zu beleuchten. „An der Front stehen Jungs, die müssen abgelöst werden, um sich zu erholen“, sagte er.

„Doch die anderen Brigaden, die nachrücken sollen, sind aber nicht voll ausgerüstet – sollte man sie jetzt so zum Abschlachten an die Front werfen, wie es die Russen tun?“ Dies sei unmöglich.

Die ukrainische Armee ist an vielen Stellen der Front unter großem Druck.

© AFP/Genya Savilov

Aber die Soldaten in den vordersten Frontlinien seien schwer unter Druck, bräuchten nach dem Bomben- und Granathagel dringend Erholung. „Sie fragen dann, ob sie sich zurückziehen dürfen, die Militärführung erlaubt das“, erklärte Selenskyj die Rückzüge. „Denn unsere Position ist klar – an erster Stelle steht der Mensch, erst danach das Land.“

Die Ukraine fordert seit langem weitreichende Waffen von den westlichen Partnern, um den Feind ebenfalls auf seinem eigenen Territorium attackieren zu können, um so Angriffe zu erschweren oder zu unterbinden. Dabei geht es immer wieder auch um den deutschen Marschflugkörper Taurus.

Man verliert Kriege, wenn man ständig in der Defensive ist.

George Barros, Analyst vom US-Institut für Kriegsstudien

Das in der US-Hauptstadt Washington ansässige Institut für Kriegsstudien hat die aktuelle Frontlage in der Ukraine analysiert und beiden Kriegsparteien schlechte Positionen bescheinigt. Der für die Region zuständige Instituts-Vertreter George Barros bescheinigte den russischen Truppen erfolgreiche Vorstöße im Osten der Ukraine, mit denen Gegenangriffe der Ukrainer verhindert würden.

„Man verliert Kriege, wenn man ständig in der Defensive ist“, sagte er dem US-Sender CNN. Man werde in einer Ecke festgenagelt und habe dann nur eine Menü-Auswahl schlechter Optionen.

Allerdings bestätigte Barros auch den russischen Militärs Ineffizienz. Seit Jahresbeginn sei die russische Armee in der Ostukraine lediglich knapp 40 Kilometer vorgerückt, und das zu hohen Kosten an Soldaten und Material. Moskau habe nach Berechnungen seines Instituts bei Pokrowsk ungefähr den Gegenwert von fünf gepanzerten Divisionen verloren, also Hunderte von Panzern und Schützenpanzern.

„Fünf Divisionen von Panzern und Schützenpanzern in einem Jahr zu verlieren und dabei nur 40 Kilometer vorzurücken, da muss man schon die großen Schlachten des 21. Jahrhunderts zum Vergleich heranziehen, eventuell auch die großen Schlachten des Zweiten Weltkriegs“, sagte Barros. „Das ist schlicht eine wirklich schlechte Leistung.“ (mit dpa)

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