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Auch die Menschen im libanesischen Tyros freuen sich über die Waffenruhe.

© REUTERS/Adnan Abidi

Feuerpause zwischen Israel und der Hisbollah: Wie stabil ist die Waffenruhe – und was heißt das für Gaza?

Nach monatelangen Kämpfen sollen die Waffen im Libanon für vorerst 60 Tage schweigen. Experten analysieren, ob sich der Konflikt zwischen der Terrororganisation und Israel so lösen lässt.

Stand:

Nach fast 14 Monaten schweigen seit Mittwochfrüh im Libanon die Waffen. Israels Sicherheitskabinett hatte am Dienstagabend einem von den USA erarbeiteten Vorschlag für eine Feuerpause mit der Hisbollah zugestimmt. Amerikas Präsident Joe Biden sagte, Ziel sei eine „dauerhafte Einstellung der Feindseligkeiten“.

Hat die Waffenruhe Bestand, würde sie eine mehr als ein Jahr andauernde militärische Konfrontation vorerst beenden, die im September mit Israels Bodenoffensive und massiven Bombardements in einen offenen Krieg mündete.

Am 8. Oktober 2023 – einen Tag nach dem Massaker der Hamas mit 1200 Toten und 250 Verschleppten – hatte die Hisbollah aus Solidarität mit der palästinensischen Terrororganisation begonnen, vor allem den Norden Israels mit Raketen unter Beschuss zu nehmen. Israel wurde so ein Mehrfrontenkrieg aufgezwungen.

Mehr als 60.000 Menschen mussten deshalb ihre Häuser verlassen und wurden in anderen Landesteilen untergebracht. Auch Hunderttausende Libanesen wurden vertrieben, 3700 Menschen starben.

Israels Armee soll sich aus dem Libanon zurückziehen.

© REUTERS/Ayal Margolin


Was sieht die Vereinbarung vor?

Vorgesehen ist, dass für zunächst 60 Tage die Kämpfe zwischen der proiranischen Terrororganisation und Israels Armee eingestellt werden. In dieser Zeit sollen sich Israels Streitkräfte ganz aus dem Libanon zurückziehen, während sich die Milizen der Hisbollah nur nördlich des Flusses Litani aufhalten dürfen.

Zugleich ist vorgesehen, dass die libanesische Armee im Grenzgebiet stationiert wird und dort gemeinsam mit UN-Blauhelmsoldaten die Sicherheit gewährleistet. Ähnliches war schon nach dem zweiten Libanonkrieg 2006 geplant. Doch die dem Vorhaben zugrundeliegende UN-Resolution 1701 blieb weitgehend Makulatur.

Denn die schwache libanesische Armee konnte der vom Iran hochgerüsteten Hisbollah nicht Einhalt gebieten. Sie wird es wohl auch weiterhin nicht können. Deshalb soll ein internationales Gremium unter Führung der USA die Einhaltung des Abkommens überwachen.

Ob das gelingt, ist unklar. Deshalb behält sich Israel das Recht vor, gegen die Hisbollah vorzugehen, sobald diese sich nicht mehr an die Übereinkunft hält. Also zum Beispiel sich wieder bewaffnet oder in Gebieten operiert, die südlich des Litani liegen. So sieht es ein separates Dokument vor.


Inwieweit haben die USA Einfluss genommen?

Berichten zufolge hat die Regierung von US-Präsident Joe Biden großen Druck auf die Führung in Jerusalem ausgeübt. Es soll Drohungen gegeben haben, Amerika würde Waffenlieferungen verzögern oder sogar im UN-Sicherheitsrat bei israelkritischen Resolutionen auf ein Veto verzichten.

Die Bereitschaft Israels, einem Abkommen zuzustimmen, dürfte auch Donald Trump geschuldet sein. Er wird ab 20. Januar der nächste US-Präsident sein. Beobachter sehen in der vereinbarten Waffenruhe eine Geste des guten Willen seitens Netanjahu. Denn Trump will keine Kriege führen, sondern als derjenige gelten, der sie beendet.

Netanjahu glaubt, die Hisbollah sei um Jahre zurückgeworfen.

© Imago/Xinhua/GPO


Wie wird die Einigung in Israel aufgenommen?

Aus Sicht von Regierungschef Benjamin Netanjahu ist das Abkommen ein Erfolg. Die Hisbollah sei „um Jahre zurückgeworfen“ worden, sagte er Dienstagabend. Doch in Israel sehen das viele deutlich kritischer.

Vor allem die Menschen im Norden des Landes sind mit der Einigung sehr unzufrieden. Denn vorläufig können sie nicht in ihre Häuser zurückkehren. Von einem „Kapitulations-Abkommen“ ist die Rede. Die Hisbollah bleibe eine Bedrohung.

Auch Netanjahus rechtsextreme Koalitionspartner halten den Deal für einen großen Fehler. Der Schiitenmiliz hätte endgültig zerstört werden müssen, meinen sie.

Doch gerade Israels Soldaten werden wohl froh sein, dass an einer Front jetzt Ruhe herrscht. Das gibt der Armee und den Reservisten die Möglichkeit, sich ein wenig zu erholen. Denn Netanjahu hat vor allem einen anderen Feind im Blick: den Iran. Der Kampf gegen die Islamische Republik stehe für ihn im Vordergrund, erklärte der Premier.

Hisbollah-Anhänger feiern die Feuerpause.

© AFP/MAHMOUD ZAYYAT


Was bedeutet die Waffenruhe für den Libanon?

Kurz nach Inkrafttreten der Feuerpause gab es in der Hauptstadt Beirut Freudenschüsse. Die ersten aus dem Süden des Libanons geflohenen Menschen machten sich in Autos auf den Weg zurück in Dörfer, wo keine israelischen Truppen stationiert sind. 

Für den Libanon bedeutet die Feuerpause ein Aufatmen, auch wenn sie noch mit vielen Fragezeichen versehen sei, sagt Bente Scheller, Referatsleiterin Nahost und Nordafrika bei der Heinrich-Böll-Stiftung.

Die gesamte Führungsriege der Hisbollah ist in den vergangenen Monaten getötet worden.

Bente Scheller, Referatsleiterin Nahost und Nordafrika bei der Heinrich-Böll-Stiftung.

„Gerade Israels wenig gezielte Kriegsführung der vergangenen Monate hat weite Teile des Südlibanons verwüstet. Ganze Dörfer sind willkürlich in die Luft gesprengt, Ersthelfer angegriffen, Städte zur vollständigen Räumung aufgefordert worden – und immer wieder hat es Angriffe auf aus dem Süden Geflüchtete gegeben, die zu einer Verunsicherung im krisengeplagten Land beigetragen haben.“ Laut den staatlichen Behörden sind 3700 Menschen getötet worden.

Scheller verweist zudem darauf, dass Israel nach Angaben seines früheren Verteidigungsministers Joav Gallant seine Kriegsziele im Libanon erreicht habe, darunter die weitgehende Zerstörung des Raketenarsenals der Hisbollah. „Und, nicht zu vergessen: Die gesamte Führungsriege der Schiitenmiliz ist in den vergangenen Monaten getötet worden.“

26.09.24

Die Hisbollah sei so sehr geschwächt, dass Israel nicht fürchten müsse, dass die Organisation sich rasch wieder aufstellen könne, sagt die Politikwissenschaftlerin. Ohnehin wäre eine Bodenoffensive gerade in dieser Jahreszeit eine wirkliche Herausforderung für die israelische Armee, die schon am Limit sei.


Kann die Waffenruhe in einem langfristigen Abkommen münden?

Merin Abbass hält die Feuerpause für eine wichtige Grundlage, um den Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah politisch zu lösen. „Sie ist die Grundlage für die Umsetzung der UN-Resolution 1701“, sagt der Leiter des Libanon-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Gleichwohl werde die Schiitenmiliz – ungeachtet ihrer schweren Verluste – den ausgehandelten Waffenstillstand als ihren Erfolg verkünden, vermutet Politikwissenschaftler Abbass. „Die Hisbollah wird die Vereinbarung als Ergebnis eines mutigen Widerstands gegen den ,ewigen‘ Feind verkaufen wollen.“

Die Zeit nach der Waffenruhe wird eine politisch besonders sensible Zeit für den Libanon.

Merin Abbass, Leiter des Libanon-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung

Trotz der vielen Toten und der massiven Zerstörung kann die Hisbollah nach Abbass‘ Einschätzung weiterhin mit einer breiten Unterstützung durch ihre Anhängerschaft rechnen. „Denn die Ideologie des Widerstands lebt fort.“

Allerdings müsse sich die Hisbollah in der neuen politischen Gemengelage zurechtfinden. Es bleibe also abzuwarten, inwieweit sie politischen Einfluss eingebüßt hat. „Daher wird die Zeit nach der Waffenruhe eine politisch besonders sensible Zeit für den Libanon!“

Das Abkommen über eine Feuerpause bedeute einen politischen Sieg für Israel, sagt Joachim Krause. „Die Hisbollah muss alle Stellungen südlich des Litani-Flusses räumen. Das war das Ziel der Regierung in Jerusalem“, sagt der frühere Direktor des Kieler Instituts für Sicherheitspolitik.

Das Abkommen bedeutet einen politischen Sieg für Israel.

Joachim Krause, früherer Direktor des Kieler Instituts für Sicherheitspolitik

Fraglich sei allerdings, so Krause, ob sich die Hisbollah an die Vorgaben halten werde und ob die libanesische Armee die ihr zugewiesene Aufgabe – die Hisbollah in Schach zu halten – erfüllen könne.

Der Politikwissenschaftler ist denn auch nicht sehr optimistisch, dass das Abkommen Bestand hat: „Es gibt beiden Seiten die Möglichkeit der Erholung.“


Hat die Vereinbarung Einfluss auf den Krieg in Gaza?

Das lässt sich noch nicht absehen. Einerseits steigen die Chancen auf eine Waffenruhe auch im Gazastreifen. Denn die Hamas kann nun nicht mehr auf die Unterstützung der Hisbollah setzen. Sie ist weitgehend auf sich allein gestellt und hat schwere Verluste hinnehmen müssen.

Um ihr eigenes Überleben zu sichern, könnten die Islamisten sich auf eine Feuerpause und einen Geiseldeal einlassen. Gleich nach dem Beginn der Waffenruhe erklärten Funktionäre der Hamas denn auch, sie seien grundsätzlich zu einer Einigung bereit.

Andererseits dürften die Vorstellungen über die Ausgestaltung einer Übereinkunft immer noch weit auseinanderliegen. Die Hamas beharrt auf Bedingungen, die Israel nicht akzeptiert. Und: Netanjahu sieht sich in einer Position der Stärke. Womöglich will er weiterhin die Islamisten mit militärischer Macht zum Einlenken zwingen.

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