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Ruhe bewahren, so schwer es auch fallen mag angesichts der Dauer-Gefechte mit der Hisbollah.

© AFP/Jack Guez

Kommt es zu einem offenen Krieg mit der Hisbollah?: Israel sollte sich nicht provozieren lassen

Der Angriff auf einen Hisbollah-Funktionär und die Tötung des Hamas-Auslands-Chefs machen einen Krieg zwischen der Miliz und Israel wahrscheinlicher. Doch Jerusalem sollte sich nicht darauf einlassen.

Christian Böhme
Ein Kommentar von Christian Böhme

Stand:

Israel ist in ernsthafter Gefahr. Mehr denn je. Dem Land droht jetzt ein Krieg, der zu einem Überlebenskampf werden könnte. Denn die Hisbollah ist ein ungleich gefährlicherer Feind als die Hamas im Gazastreifen.

Die libanesische Schiitenmiliz verfügt über alle militärischen Kapazitäten, um den jüdischen Staat in seinen Grundfesten zu erschüttern. Und die Bereitschaft, in eine große Schlacht zu ziehen, dürfte bei der Hisbollah nach dem vermutlich tödlichen Angriff auf einen ranghohen Funktionär der Terrororganisation in Beirut deutlich gestiegen sein.

Auch die gezielte Tötung von Hamas-Auslandschef Ismail Hanija in Teheran und die damit einhergehende Schmach, ihn nicht geschützt haben zu können, hat den Iran als Befehlshaber der Hisbollah erzürnt.

In Teheran wird das Regime um Revolutionsführer Ali Chamenei alles daran setzen, möglichst spektakulär Vergeltung zu üben. Die Hisbollah mit ihrem umfassenden Waffenarsenal dürfte aus Sicht der Mullahs dafür das geeignetste Mittel sein.

Trauer im Iran um Hamas-Auslandschef Hanija.

© REUTERS/Majid Asgaripour

Womöglich könnte sich für Israel eine solche umfassende Konfrontation zu einem Existenzkampf ausweiten – wenn Tausende Raketen zeitgleich vom Libanon und von Syrien aus Richtung Haifa, Tel Aviv und Beersheba abgefeuert werden. Die Schäden wären verheerend. Das würde nicht einmal eines der besten Flugabwehrsysteme verhindern.

Die Hisbollah besitzt umfassende militärische Mittel

Wer so massiv zuschlagen kann wie vermutlich die vom Iran über Jahre hochgerüstete Hisbollah, darf keinesfalls unterschätzt werden. Weil nicht ausgemacht ist, dass Israels militärische Möglichkeiten gleichbedeutend sind mit dauerhafter Überlegenheit. Für militärische Abenteuer gibt es keinen Anlass. Im Gegenteil.

Die Hisbollah gehört zu den schlagkräftigsten Armeen des Nahen Osten.

© IMAGO/ZUMA Press Wire/IMAGO/Marwan Naamani

Schon heute klagen die israelischen Streitkräfte, ihnen mangele es nach monatelangen Gefechten im Gazastreifen an Soldaten und Munition. Will man unter diesen heiklen Voraussetzungen eine zweite Front im Norden eröffnen? Es ist hochriskant. Und schlimmer noch: ein Zeichen von Selbstüberschätzung.

Aber genau darauf legen es die Hisbollah und das Regime in Teheran an. Sie wollen Israel durch immer perfidere Provokationen in einen Krieg zwingen. Sich davon herausfordern zu lassen, hieße, in die von den Erzfeinden gestellte Falle zu tappen. Diesen Gefallen sollte Israel seinen Gegnern dieses Mal nicht tun.

Israels Regierung steckt in einem Dilemma

Im Jahr 2006 war es schon einmal so weit gekommen. Der vierwöchige Libanon-Feldzug, verursacht durch die Entführung von zwei israelischen Soldaten und einhergehend mit Beiruts umfassender Bombardierung, endete aus Sicht Jerusalems nicht gerade mit einem Erfolg. Heute ist die Hisbollah wesentlich schlagkräftiger.

Allerdings steckt Israel in einem Dilemma: Es kann die immer heftiger werdenden Angriffe an der Nordgrenze nicht unbeantwortet lassen. Menschen wurden getötet, Zehntausende mussten ihr Zuhause verlassen. Um der Glaubwürdigkeit gegenüber der eigenen Bevölkerung und um der Abschreckung willen muss Israel Entschlossenheit demonstrieren. Denn im Nahen Osten zählt bis heute nur eines: Stärke zeigen.

Biden hilft nur bei einem Angriff der Hisbollah

Dennoch wäre es klüger und womöglich zielführender, wenn Israel nicht von sich aus auf Attacke setzt. Etwa, indem es mit einer Bodenoffensive beginnt.

Zum einen, weil bei einem Luftangriff der Hisbollah – so schwierig er auch abzuwehren sein mag – die USA an Israels Seite stünden. Militärisch könnte das mehr als hilfreich sein. Ginge der jüdische Staat von sich aus in die Offensive, würde Amerika dem Land nicht beistehen. Das hat Präsident Joe Biden klargestellt.

Zum anderen gibt es immer noch eine winzige Chance, dass die Diplomatie die Oberhand gewinnt. Selten waren die Unterhändler im Nahen Osten so gefragt wie heute. Wenn sie es nicht schaffen, einen Krieg auf politischem Weg in letzter Minute zu verhindern, wäre das verheerend für die Region. Vor allem für Israel.

Gegen die Hisbollah, gegen den Iran, gegen die Hamas und das alles gleichzeitig – ein solcher Mehrfrontenkrieg kann kaum mit einem Sieg enden. Das sollte Regierungschef Benjamin Netanjahu seinen rechtsextremistischen Partnern im Kabinett klarmachen. Bis jetzt kann er sie anscheinend in Schach halten. Hoffentlich bleibt es dabei.

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