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Schönefeld: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) steigt in das Flugzeug der Flugbereitschaft.

© dpa/Michael Kappeler

Merz in Paris und Warschau : „Macrons Erwartungen haben sich teilweise schon erfüllt“

Der neue Bundeskanzler macht heute seine Antrittsbesuche in Frankreich und Polen. Die Erwartungen sind hoch. Experten sagen voraus, welche erfüllt und welche enttäuscht werden könnten.

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Nur einen Tag nach seiner holprigen Wahl zum Bundeskanzler reist Friedrich Merz zu Amtsantrittsbesuchen nach Frankreich und Polen. Und wohl niemand wartete ungeduldiger auf den Amtsantritt des neuen Bundeskanzlers als der französische Präsident Emmanuel Macron.

Denn er hofft, in Merz endlich einen deutschen Partner zu finden, der Interesse an einer engeren Kooperation und dem Ziel hat, Europa zu stärken. Eine größere Unabhängigkeit der EU von den USA ist eines der konstanten Themen Macrons seit dessen Amtsantritt 2017.

Warum Frankreichs Präsident Merz braucht

Nach seiner Fehlkalkulation bei der Ausrufung von vorgezogenen Neuwahlen 2024 ist der französische Präsident innenpolitisch extrem geschwächt.

Macrons Erwartungen mit Blick auf die Verteidigungspolitik haben sich gewissermaßen schon erfüllt.

Jacob Ross, Stiftung für Wissenschaft und Politik

Die Abkehr der USA von Europa und Nato unter Präsident Donald Trump eröffnet ihm nun die Chance, die von ihm propagierte Abnabelung voranzutreiben, und dafür – dank der Trumpschen Kehrtwende – auch die aktive Unterstützung bisher überzeugter Transatlantiker wie Merz zu bekommen.

„Macrons Erwartungen mit Blick auf die Verteidigungspolitik haben sich gewissermaßen schon erfüllt“, sagt der Frankreich-Experte Jacob Ross dem Tagesspiegel.

Merz habe deutlich signalisiert, dass er mehr Souveränität von den USA anstrebe, „was der deutsch-französischen Annäherung in Verteidigungsfragen überhaupt erst eine stabile Grundlage verschafft“. Die habe seit den 50er Jahren gefehlt, sagt Ross.

Emmanuel Macron und Polens Premierminister Minister Donald Tusk: Beide Länder haben hohe Erwartungen an Friedrich Merz.

© REUTERS/Sarah Meyssonnier

Zudem habe Merz bereits einen strategischen Dialog mit Macron begonnen, „der auch nukleare Fragen einschließt, und nach und nach auf weitere europäische Partner ausgeweitet werden soll“.

Es gibt auch Einschränkungen

Allerdings, gibt Ross zu bedenken, könne Merz „höchstens einen Prozess anstoßen“. Er werde aber keinen Bruch mit Washington riskieren, wie er in Frankreich hinter vorgehaltener Hand teilweise gewünscht werde. „Zu transatlantisch bleiben die deutschen politischen und Verwaltungseliten geprägt, zu abhängig bleibt die deutsche Sicherheit.“

Die französischen Forderungen, deutsche Steuergelder und Investments müssten auch europäische Wirkung entfalten, wird Merz wohl auch enttäuschen, glaubt der Experte. Davon sei im Koalitionsvertrag nichts zu lesen.

Bekommt Macron den Kanzler auch bei Nahost ins Boot?

Auch für ein anderes außenpolitisches Großprojekt wird der französische Präsident voraussichtlich kaum Unterstützung aus Berlin bekommen: Angesichts des humanitären Desasters im Gazastreifen und Israels Unwillen, eine politische Lösung anzustreben, will Macron zusammen mit Saudi-Arabien die Initiative ergreifen.

Frankreich hat in Aussicht gestellt, bei einer gemeinsam organisierten Konferenz im Juni in New York den Palästinenserstaat anzuerkennen, wenn es dafür einen konkreten Plan gibt. Dazu hat er bereits Gespräche mit Großbritannien, ebenfalls Mitglied des UN-Sicherheitsrates, geführt.

Besuch in Riad: Macron will eine europäisch-arabische Initiative zu Nahost starten. Macht Merz da mit?

© AFP/Ludovic Marin

Wegen all dieser Einschränkungen warnt die französische Zeitung „Le Monde“ bereits, dass die immensen Erwartungen Frankreichs an Friedrich Merz in Berlin als „übermäßig“ eingestuft würden.

Chance auf Neuanfang mit Polen

Auch in Polen sieht man die Chance, mit Friedrich Merz nach langer Krise und vielen Enttäuschungen einen Neuanfang einzuleiten. Bereits nach dem Machtwechsel in Polen im Dezember 2023 haben Warschau und Berlin auf einen Neuanfang gehofft.

Die nationalkonservative Vorgängerregierung hatte mit ihrer antideutschen und europaskeptischen Politik die deutsch-polnischen Beziehungen in eine tiefe Krise gestürzt.

Scholz und Tusk fanden nicht zueinander.

© REUTERS/LUKASZ GLOWALA

Doch die Mitte-Links-Regierung von Donald Tusk und die Ampelkoalition des Bundeskanzlers Olaf Scholz fanden nicht zueinander. Auf deutscher Seite fehlte oft sowohl das Interesse als auch das Fingerspitzengefühl für das mitteleuropäische Nachbarland.

Tusk agierte wiederum gegenüber Deutschland extrem vorsichtig, weil er den Eindruck vermeiden wollte, er betreibe eine zu deutschlandfreundliche Politik.

Polen will Gedenkorte und Entschädigungen

Bis zum Sturz der Scholz-Regierung wurde keines der Probleme gelöst, die für Polen bilateral Priorität haben. Der Gedenkort für polnische Kriegsopfer in Berlin wartet immer noch auf die Umsetzung. Die letzten polnischen Kriegsopfer warten auf eine Wiedergutmachung.

Und Polen wartet immer noch auf die deutsche Unterstützung in der Sicherheitspolitik bei der Verteidigung der Nato-Ostflanke.

Polen erhofft sich Gelder für seine Rüstungsindustrie.

Kai-Olaf Lang, Osteuropaexperte

So wurde in Warschau wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass Merz im Wahlkampf Polen immer wieder in einem Atemzug mit Frankreich genannt hat.

Polens Regierungspartei Bürgerplattform (PO) und die CDU/CSU gehören zudem auf europäischer Ebene zu einer Parteienfamilie (EVP), was die Abstimmung erleichtern wird. Und die härtere Gangart der Christdemokraten gegenüber Russland wird an der Weichsel positiv bewertet.

Mehr Geld für Polens Verteidigung

Nach Ansicht des Polen-Experten Kai-Olaf Lang erwartet Polen vor allem, dass Deutschland zu einem „aktiven sicherheits- und verteidigungspolitischen Akteur wird, aber keine Alleingänge startet“.

Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist auch die Finanzierung von Verteidigung und Rüstung, sagt Lang dem Tagesspiegel.

Polen wünsche nicht nur, dass Deutschland seine Wehrausgaben erhöhe, sondern fordere auch Entgegenkommen bei der Bereitstellung von EU-Geldern.

4,7
Prozent des Bruttosozialprodukts gibt Polen für Verteidigung aus.

„Dadurch erhofft sich Polen Gelder für seine Rüstungsindustrie und für den besseren Schutz seiner Ostgrenze.“ Polen ist in Europa prozentual führend mit seinem Verteidigungshaushalt, den es 2025 auf 4,7 Prozent des Bruttoinlandproduktes erhöhte.

Grenzkontrollen als Belastungsprobe

Allerdings kann die von Merz angekündigte Wende in der deutschen Migrationspolitik zur ernsten Belastungsprobe werden. Warschau kritisierte bereits die im Herbst 2023 verstärkten Grenzkontrollen auf deutscher Seite.

Ein Beamter der Bundespolizei steht am deutsch-polnischen Grenzübergang Stadtbrücke in Frankfurt an der Oder. Polen will keine verstärkten Kontrollen durch Deutschland.

© dpa/Patrick Pleul

Eine weitere Verschärfung des Grenzregimes zum EU-Nachbarstaat, wie vom neuen Innenminister Alexander Dobrindt angekündigt, lehnt die Regierung in Warschau daher ab.

Und die deutsch-polnischen Beziehungen können sich eigentlich keine weiteren Enttäuschungen leisten. Denn in Polen lauert schon die antideutsche Opposition, die die Feindschaft zum westlichen Nachbarn zur „Staatsräson“ erhoben hat. Am 18. Mai und 1. Juni (bei einer Stichwahl) findet die Präsidentschaftswahl statt.

Danach öffnet sich für Polen und Deutschland ein zweijähriges Zeitfenster ohne Wahlkampf. Diese Zeit müssen beide Regierung optimal nutzen.

Der französische Präsident Macron gibt in den Beziehungen seines Landes zu Polen bereits Gas: Am Freitag unterzeichnen beide Länder in Nancy einen umfassenden Freundschafts- und Sicherheitsvertrag – analog zum Élysée-Vertrag mit Deutschland oder ähnlichen Abkommen mit Spanien und Italien.

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