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Nato-Gipfel in Vilnius: Was die Ukraine bekommt und was nicht
Kiew hatte im Vorfeld des Nato-Spitzentreffens auf eine Einladung in die Allianz gehofft. Die blieb zwar noch aus, die Mitgliedstaaten sagten der Ukraine aber eine Reihe anderer Dinge zu.
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Um die Enttäuschung zu lindern, dass es mit einer fest terminierten Einladung in die Nato erst einmal nichts geworden ist, kündigten mehrere Verbündete der Ukraine schon zum Gipfelauftakt weitere Militärhilfen an. Aus Deutschland kommt ein „Vilnius-Paket“, das Bundeskanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD) in der litauischen Hauptstadt ankündigten.
Zu den deutschen Waffenlieferungen, die bisher schon einen Wert von 3,9 Milliarden Euro umfassten, kommt nun weiteres Gerät und Munition für knapp 700 Millionen Euro hinzu. Darunter befinden sich zwei Abschussrampen für Patriot-Luftabwehrraketen der Bundeswehr sowie 40 weitere Marder-Schützenpanzer und 25 ältere Kampfpanzermodelle vom Typ Leopard 1 A5. Marschflugkörper, wie sie die Briten bereits liefern und wie sie Staatschef Emmanuel Macron nun aus Frankreich senden will, sind nicht darunter.
Jetzt geht es darum, dass wir die Ukraine aktiv bei der Verteidigung ihrer Souveränität und Integrität unterstützen.
Olaf Scholz, Bundeskanzler
Die Lieferungen sind – so dringend Kiew sie braucht – Teil der von Scholz und US-Präsident Joe Biden für den Gipfel ausgegebenen Marschroute, sich mehr auf das aktuelle Kriegsgeschehen denn die Zukunft zu konzentrieren. „Jetzt geht es darum, dass wir die Ukraine aktiv bei der Verteidigung ihrer Souveränität und Integrität unterstützen“, so der Kanzler in Vilnius. „Wir stellen sicher, dass die Ukrainer alles haben, was sie brauchen, um sich Russlands Aggression erfolgreich zu erwehren“, sagte US-Außenminister Anthony Blinken. „Darauf liegt unser Fokus.“
Washington und Berlin bremsen
Vor allem jene Verbündeten, die im Vorfeld eine schnelle Aufnahme der Ukraine gefordert hatten, beugten sich der „amerikanisch-deutschen Führungsrolle“, wie der SPD-Verteidigungspolitiker Wolfgang Hellmich dies in Vilnius nannte. „Heute“, sagte etwa Polens Präsident Andrzej Duda Teilnehmern zufolge in der Runde der 31 Staats- und Regierungschefs, „werden wir die Ukraine noch nicht einladen“.
Als Erfolg versuchte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg den ukrainischen Unterstützernationen aus Osteuropa schmackhaft zu machen, dass in der Gipfelerklärung ausdrücklich auf einen „Membership Action Plan“ verzichtet wird. Dahinter verbergen sich klar definierte politische Maßnahmen, die ein Land für die Mitgliedschaft erfüllen muss. Der Verzicht ist für die nicht näher definierte Zukunft relevant: Wenn die Ukraine einmal eingeladen wird, kann es so schnell gehen wie zuletzt bei Finnland und mit Einschränkungen auch bei Schweden.
Die Alliierten erneuerten zudem das 2008 in Bukarest gegebene Versprechen, dass die Ukraine eines Tages der Nato angehören wird. Erstmals taucht konkret das Wort „Einladung“ in einem Nato-Text zur Ukraine auf. Der entscheidende, wenn auch bewusst vage gehaltene Satz im wochenlang verhandelten Gipfeltext lautet: „Wir werden eine Einladung an die Ukraine in die Allianz aussprechen können, wenn die Verbündeten zustimmen und die Bedingungen erfüllt sind.“.
Zu diesen Kriterien zählen nach Angaben des Nato-Chefs Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung, der Modernisierung der Sicherheitsbehörden und ein Ende des Krieges. Seiner Ansicht nach zeigt das Bündnis der Ukraine damit „einen klaren Weg hin zur Mitgliedschaft“ auf - zumal neben der sprachlichen Annäherung auch „ein starkes Paket“ konkreter Maßnahmen hinzukomme, die „die Ukraine enger an die Nato binden werden“.
So kommt an diesem Mittwoch erstmals ein Nato-Ukraine-Rat zusammen, mit dem die Kooperation mit Kiew auf eine institutionell festere Grundlage gestellt wird. Zudem wird in einem Mehrjahrespaket massive finanzielle Unterstützung versprochen, mit der die ukrainische Armee an Nato-Standards herangeführt werden soll. In der Sprache der Militärs ist von „Interoperabilität“ die Rede.
Statt des schnellen Nato-Beitritts, den die Ukraine vor allem deshalb fordert, um nach einer möglichen Friedensvereinbarung nicht erneut einen Überfall aus Russland fürchten zu müssen, wird nun konkret über bilaterale Sicherheitsgarantien verhandelt. Das schließt an Joe Bidens Aussage an, wonach die USA analog zu Israel eine Art Schutzmacht der Ukraine werden könnten.
Sicherheitsgarantien der G7-Staaten
Diese Gespräche finden außerhalb des Nato-Rahmens statt. Scholz kündigte an, dass an diesem Mittwoch eine entsprechende Erklärung der G7-Staaten zu erwarten sei. Diese sogenannte „Dachvereinbarung“, wie sie in deutschen Delegationskreisen bezeichnet wurde, soll dann in Verhandlungen mit der Ukraine in den kommenden Wochen und Monaten mit Leben gefüllt werden.
Gemischte Reaktionen auf das Gipfelergebnis
Das vage Nato-Beitrittsversprechen an die Ukraine ohne Zeitplan ist auf gemischte Reaktionen gestoßen. „Die Entscheidung von Vilnius ist zweifelsohne ein wichtiger Zwischenschritt Richtung Nato-Mitgliedschaft der Ukraine“, sagte Kiews früherer Berlin-Botschafter Andrij Melnyk dem Tagesspiegel: „Gleichzeitig ist die Enttäuschung in Kiew spürbar, dass unsere Verbündeten nicht bereit waren, eine mutige Entscheidung über unseren möglichst baldigen Beitritt auf den Weg zu bringen“.
„Die Enttäuschung der Ukrainer ist nachvollziehbar – sie hatten sich eine Einladung der Nato gewünscht, die mit Kriegsende unmittelbar zur Mitgliedschaft geführt hätte“, sagte Christoph Heusgen, der frühere Sicherheitsberater von Kanzlerin Angela Merkel, der Zeitung: „Die Allianz war nicht bereit, diesen Schritt zu gehen.“
Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth nannte die Mitgliedschaft gegenüber dem Tagesspiegel weiter die „beste Option für die Ukraine und für die gesamte Allianz, um den Frieden in ganz Europa dauerhaft zu sichern“. Zwar bleibe das Gipfelergebnis „hinter meinen Erwartungen“, doch habe „die Ukraine einen großen Schritt in Richtung Nato gemacht“
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte schon, bevor er am Dienstag zu einem Abendessen mit den Nato-Vertretern in Vilnius eintraf, auf Twitter seinen Unmut geäußert. Sauer stieß ihm vor allem auf, dass die Formulierung zur Ukraine im Gipfeldokument „ohne die Ukraine“ verhandelt wurde. Es sei „absurd, dass kein Zeitplan festgelegt wird – weder für die Einladung noch für die ukrainische Mitgliedschaft“. Damit werde „Russland motiviert, seinen Terror fortzusetzen“.
In einer umjubelten öffentlichen Rede in der Altstadt von Vilnius sagte der Staatschef aus Kiew, dass in seinem Land auch die Werte der Allianz verteidigt würden: „Die Nato braucht die Ukraine.“
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