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Drängen auf friedlichen Machtübergang: Baerbock und Barrot besichtigen Foltergefängnis nahe Damaskus
Vier Wochen nach dem Machtwechsel in Syrien wollen die Außenministerin und ihr französischer Kollege in der Hauptstadt ein Zeichen setzen. Sie kommen mit Angeboten, aber auch mit Forderungen.
Stand:
Außenministerin Annalena Baerbock ist zu einem überraschenden Besuch in Syrien eingetroffen. Die Grünen-Politikerin landete am Vormittag in einem Propeller-Transportflugzeug der Bundeswehr vom Typ A400M auf dem Flughafen der Hauptstadt Damaskus.
Baerbock und ihr französischer Amtskollege Jean-Noël Barrot trafen dort mit der neuen, islamistischen Führung zusammen. Beide wurden vom neuen syrischen Machthaber Ahmed al-Scharaa empfangen und drangen auf einen friedlichen und alle Bevölkerungsgruppen umfassenden Übergang.
Deutschland wolle Syrien helfen bei einem „inklusiven friedlichen Machtübergang, bei der Versöhnung der Gesellschaft, beim Wiederaufbau“, erklärte Baerbock. Dazu gehöre die Gleichberechtigung der Frauen und von allen ethnischen oder religiösen Gruppen.
Baerbock habe mit Barrot das Angebot der Europäischen Union unterbreitet, dabei mitzuhelfen, dass „das zukünftige Kapitel Syriens ein friedliches und freies wird“, sagte Baerbock am Freitag in Damaskus nach einem Treffen mit dem neuen Machthaber Ahmed al-Scharaa. Europa werde jedoch „nicht Geldgeber neuer islamistischer Strukturen sein“, warnte sie.
Besuch im Foltergefängnis Saidnaja
Zuvor ließen sich Baerbock und Barrot von Vertretern der syrischen Zivilschutzorganisation „Weißhelme“ über die Zustände im Gefängnis Saidnaja, dem sogenannten „Schlachthaus“, nahe der Hauptstadt Damaskus informieren. Es gilt als das wohl berüchtigtste Militärgefängnis aus der Zeit Baschar al-Assads. Seit 2011 haben Menschenrechtler dort systematische Massenhinrichtungen, Folter und das Verschwinden von Tausenden Gefangenen dokumentiert. Amnesty International verzeichnet demnach zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Außenministerin stellt klare Bedingungen
Zum Auftakt ihrer Reise stellte Baerbock den neuen De-facto-Herrschern in Syrien Bedingungen für eine Neuaufnahme der Beziehungen zu Deutschland und der Europäischen Union (EU). „Ein politischer Neuanfang zwischen Europa und Syrien, zwischen Deutschland und Syrien ist möglich“, erklärte die Grünen-Politikerin.
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Sie komme mit ihrem französischen Amtskollegen Jean-Noël Barrot und im Namen der EU „mit dieser ausgestreckten Hand, aber auch mit klaren Erwartungen an die neuen Machthaber“ in die syrische Hauptstadt.
Baerbock fordert Schutz von Frauen und Minderheiten
Die Außenministerin war am Morgen von Zypern aus nach Damaskus geflogen. Barrot hatte mit Verteidigungsminister Sébastien Lecornu im nicht weit entfernten Libanon mit den dort stationierten französischen Soldaten der UN-Beobachtermission Unifil den Jahreswechsel gefeiert. Baerbock und Barrot sind die ersten EU-Außenminister, die Syrien seit Assads Sturz besuchen.
„Den Neuanfang kann es nur geben, wenn die neue syrische Gesellschaft allen Syrerinnen und Syrern, Frauen wie Männern, gleich welcher ethnischen oder religiösen Gruppe, einen Platz im politischen Prozess einräumt, Rechte gewährt und Schutz bietet“, verlangte Baerbock. Diese Rechte müssten gewahrt werden und dürften „nicht möglicherweise durch zu lange Fristen bis zu Wahlen oder auch Schritte zur Islamisierung des Justiz- oder Bildungssystems unterlaufen werden“.
Al-Scharaa hatte kürzlich gesagt, bis zur Vorlage eines neuen Verfassungs-Entwurfs könnten rund drei Jahre und bis zu Wahlen ein weiteres Jahr vergehen. Das arabische Land ist nach mehr als zehn Jahren Bürgerkrieg zersplittert und konfessionell gespalten. Auch nach dem Sturz Assads kämpfen verfeindete Milizen um die Macht.
Baerbock sagte, man wolle Syrien bei einem friedlichen Machtübergang, der Versöhnung der Gesellschaft und beim Wiederaufbau unterstützen – zusätzlich zur humanitären Hilfe, die für die Menschen in Syrien auch in den vergangenen Jahren geleistet worden sei. Einen Neuanfang könne es nur geben, wenn die Vergangenheit aufgearbeitet und Gerechtigkeit hergestellt werde sowie Racheakte an Bevölkerungsgruppen ausblieben, forderte Baerbock. Extremismus und radikale Gruppen dürften keinen Platz haben.
Wir werden die HTS weiter an ihren Taten messen.
Annalena Baerbock, Außenministerin (Grüne)
„Wir wissen, wo die HTS ideologisch herkommt, was sie in der Vergangenheit getan hat“, sagte Baerbock. Man sehe aber auch den Wunsch nach Mäßigung und Verständigung mit anderen wichtigen Akteuren. So sei die Aufnahme von Gesprächen mit den kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) ein wichtiges Zeichen in diese Richtung.
HTS ging aus der Al-Nusra-Front hervor, einem Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida. Al-Scharaa hatte sich von Al-Kaida und der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) losgesagt. Bis heute gibt es aber Berichte, denen zufolge die HTS-Führung den Kontakt zu Al-Kaida hält. Angesichts dessen sagte Baerbock: „Wir werden die HTS weiter an ihren Taten messen. Bei aller Skepsis dürfen wir jetzt nicht die Chance verstreichen lassen, die Menschen in Syrien an diesem wichtigen Scheideweg zu unterstützen.“
Deutschland setze sich zudem dafür ein, dass der innersyrische Prozess nicht von außen gestört werde, erklärte die Grüne. Dazu gehöre auch die Achtung der Souveränität und territorialen Integrität durch alle Nachbarstaaten, ergänzte sie offensichtlich mit Blick auf die Türkei und Israel, denen vorgehalten wird, eigene Interessen in Syrien zu verfolgen. Es sei zudem Zeit für Russland, seine Militärbasen in Syrien zu verlassen. Moskau war jahrelang einer der wichtigsten Verbündeten Assads.
Syrien ist nach bald 14 Jahren Bürgerkrieg in weiten Teilen zerstört und durch Landminen und andere Kampfmittel verseucht. Dem Land fehlen Arbeits- und Fachkräfte, die Wirtschaft schrumpft und die Währung hat seit 2020 mehr als 90 Prozent ihres Werts verloren. Die Versorgung mit öffentlichen Diensten ist zusammengebrochen. Mehr als 16 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Bei Baerbocks Gesprächen in Damaskus dürfte es auch um die von der Übergangsregierung befürwortete Rückkehr syrischer Flüchtlinge aus Deutschland gehen. Derzeit leben laut Bundesinnenministerium rund 975.000 Syrer in Deutschland. Die meisten kamen seit 2015 infolge des Bürgerkriegs ins Land. (dpa)
Korrekturhinweis: Basierend auf einer Meldung der Nachrichtenagentur AFP war in einer früheren Version des Textes zu früh vermeldet worden, dass Baerbock in Syrien eingetroffen sei. Zu dem Zeitpunkt war sie noch nicht vor Ort. Auch AFP berichtigte sich später. Wir hatten die Überschrift daraufhin entsprechend korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.
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