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Selenskyj fordert Truppenabzug: „Russland kann morgen mit uns Verhandlungen beginnen“
Selenskyj zeigt sich nach dem Gipfeltreffen in der Schweiz für Friedensverhandlungen offen, solange Russland seine Truppen abzieht. Der Abschlusserklärung stimmten 80 von 93 Teilnehmerstaaten zu.
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Die Abschlusserklärung des Friedensgipfels in der Schweiz wird nicht von allen Teilnehmerstaaten mitgetragen. Nach einer am Sonntag veröffentlichten Aufstellung der Schweizer Gastgeber wurde das Dokument am Sonntag nur von 80 der 93 Teilnehmerstaaten gebilligt.
Nach der Konferenz hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj einen russischen Truppenabzug als Bedingung für die Aufnahme von Friedensverhandlungen genannt. „Russland kann morgen mit uns Verhandlungen beginnen, ohne auf etwas zu warten, wenn es sich von unseren rechtmäßigen Territorien zurückzieht“, sagte Selenskyj vor Journalisten. Er fügte aber hinzu: „Russland und seine Führung sind nicht bereit für einen gerechten Frieden.“
Unter den Ländern, die der Erklärung nicht zustimmten, sind danach sechs Staaten aus der G20-Gruppe der wichtigsten Wirtschaftsmächte der Welt: Brasilien, Mexiko, Saudi-Arabien, Südafrika, Indien und Indonesien. Außerdem scherten Armenien, Bahrain, Thailand, Libyen und die Vereinigten Arabischen Emirate, Kolumbien und Vatikan aus.
Das Dokument sei vollständig und „ausgewogen“, sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Sonntag auf dem Bürgenstock zu Journalisten. Die Positionen der Regierung in Kiew seien berücksichtigt und es seien keine alternativen Friedenspläne auf dem Treffen diskutiert worden.
In der Erklärung sprechen sich die Unterzeichner dafür aus, dass das von Russland besetzte Atomkraftwerk Saporischschja geschützt wird und schon jede Drohung mit einem Einsatz von Atomwaffen zu verurteilen sei. Zudem setzen sich die 80 Staaten für ungehinderte Getreideexporte aus der Ukraine ein, die gerade für arme Länder etwa in Afrika von großer Wichtigkeit sind.
Die Gipfelerklärung macht sich auch für den Austausch von Kriegsgefangenen stark und setzt sich für die Rückkehr von nach Russland verschleppten Kindern und anderen Zivilisten ein. Russland wird darin jedoch nicht ausdrücklich für seinen Angriff verurteilt.

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Die Erklärung ruft stattdessen die Charta der Vereinten Nationen in Erinnerung. „Insbesondere bekräftigen wir unser Bekenntnis zum Verzicht auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines Staates“, heißt es in dem Text.
Die Grundsätze der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität aller Staaten innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen müssten geachtet werden. Das schließe die Ukraine ein. Zu einer Nachfolgekonferenz findet sich in der Erklärung keine klare Aussage. Die Unterzeichner sprechen sich aber dafür aus, Russland an künftigen Beratungen zu beteiligen.
„Wir glauben, dass die Einbeziehung und der Dialog zwischen allen Parteien notwendig ist, um Frieden zu schaffen“, heißt es in dem Dokument. Ein Termin oder ein Ort für einen nächsten Gipfel mit Russland werden aber nicht genannt.
Kreml droht mit schärferen Forderungen bei Ablehnung der Putin-Offerte
Der Kreml hat den Druck auf die Ukraine mit der Drohung nach einer Verschärfung seiner Gebietsforderungen erhöht. Alle Friedensinitiativen von Präsident Wladimir Putin seien auch an die aktuellen Umstände an der Front gebunden, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in einem Interview für das russische Staatsfernsehen, welches der kremlnahe Berichterstatter Pawel Sarubin am Sonntag vorab auf Telegram veröffentlichte. „Jedes Mal verschlechtern sie sich für die Ukraine.“
Die Dynamik an der Front zeige, dass die Lage für Kiew sich auch weiter verschlechtern werde. Ein verantwortungsvoller Politiker würde sich Putins Angebot daher durch den Kopf gehen lassen, sagte Peskow. Zugleich erklärte der 56-Jährige, dass der Kreml kein Interesse an einem Vertragsabschluss mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj habe. Dieser sei nach Ablauf seiner Amtszeit kein legitimer Vertreter Kiews mehr.
Die Ukraine konnte wegen des russischen Angriffskriegs und der Besetzung von Teilen des Landes keine Wahlen abhalten. Das Kriegsrecht deckt nach Angaben ukrainischer Juristen aber die Verlängerung der Vollmachten Selenskyjs. Die von Moskau immer wieder vorgebrachte These soll wohl dazu dienen, innerhalb der Ukraine Unruhe zu stiften und auch außenpolitisch die Glaubwürdigkeit Selenskyjs infrage zu stellen.
Scholz: Kein Frieden ohne Einbeziehung Russlands
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und mehrere andere Redner sprachen sich bereits am Samstag zum Auftakt der Konferenz dafür aus, die russischen Angreifer mit an den Tisch zu bringen. „Es ist wahr, dass der Frieden in der Ukraine nicht erreicht werden kann, ohne Russland mit einzubeziehen“, sagte der Kanzler.

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Er machte aber gleichzeitig deutlich, was aus seiner Sicht die Bedingungen für Frieden sind: „Russland könnte diesen Krieg heute oder zu jedem beliebigen Zeitpunkt beenden, wenn es seine Angriffe einstellt und seine Truppen aus der Ukraine abzieht.“
Der Friedensprozess sei ein zartes Pflänzchen, das jetzt gegossen werden müsse. „Aber wir wollen, dass der Garten blüht und gedeiht“, sagte er noch vor Beginn des Gipfels.
Von der Leyen fordert „nachhaltigen Frieden“ für die Ukraine
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zufolge darf die jetzige Situation auf dem Schlachtfeld nicht festgeschrieben werden. „Den Konflikt heute einzufrieren, während fremde Truppen ukrainisches Land besetzen, ist nicht die Antwort“, sagt sie auf dem Ukraine-Gipfel in der Schweiz. „Es ist ein Rezept für zukünftige Angriffskriege.“

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Von der Leyen mahnte die Teilnehmer des Gipfels, „einen umfassenden, gerechten und nachhaltigen Frieden“ für die Ukraine zu unterstützen. Dieser müsse auch die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine wiederherstellen.
Termin für Folgekonferenz noch völlig offen
Unklar ist, wann eine Folgekonferenz mit Russland stattfinden kann. Dass die Gipfelteilnehmer am Sonntag einen Termin oder auch nur einen ungefähren Zeitpunkt ins Auge fassen, gilt als unwahrscheinlich.
Die Gastgeber hoffen aber, dass eine weiterführende Konferenz noch in diesem Jahr beschlossen wird. „Als internationale Gemeinschaft können wir dazu beitragen, das Terrain für direkte Gespräche zwischen den Kriegsparteien vorzubereiten“, sagte die Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd.
Wie weit eine Friedenslösung entfernt ist, hatten Äußerungen aus Moskau unmittelbar vor dem Gipfel deutlich gemacht. Russlands Präsident Wladimir Putin nannte seine Bedingungen für Verhandlungen, darunter der vollständige Verzicht der Ukraine auf die Gebiete Donezk, Luhansk, Cherson, Saporischschja und die Schwarzmeer-Halbinsel Krim - etwas mehr als ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebiets.
Kamala Harris: „Putin ruft zur Kapitulation auf“

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„Wir müssen die Wahrheit sagen. Er ruft nicht zu Verhandlungen auf, er ruft zur Kapitulation auf“, sagte Harris - und sicherte der Ukraine anhaltende Unterstützung im Abwehrkampf gegen Russland zu. „Amerika steht nicht aus Nächstenliebe an der Seite der Ukraine, sondern weil es in unserem strategischen Interesse ist.“
Die Initiative für den Gipfel war von der Schweizer Regierung und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ausgegangen. „Wir haben es geschafft, der Diplomatie eine Chance zu geben“, sagte Selenskyj vor der Eröffnung des der Friedenskonferenz.
Ukraine-Friedensgipfel: Einladungen für Staaten, die mit Russland befreundet sind
Die Schweizer Gastgeber hatten sich monatelang darum bemüht, möglichst viele Staaten zur Teilnahme an dem Gipfel zu bewegen. 160 wurden eingeladen, mehr als 90 sagten zu - sie sind zu einem großen Teil mit Staats- und Regierungschefs vertreten.

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Scholz reiste direkt vom G7-Gipfel in Süditalien in die Schweiz. US-Präsident Joe Biden hingegen klinkte sich zugunsten eines Termins zum Sammeln von Wahlkampfspenden in Los Angeles aus und lässt sich von seiner Stellvertreterin Harris vertreten.
Auch wenn sie Russland nicht einluden, bemühten sich die Organisatoren darum, möglichst viele mit Russland befreundete Länder an den Tisch zu bekommen.
Das Ergebnis ist ernüchternd: Mit China sagte der wichtigste Verbündete Russlands ganz ab, der brasilianische Präsident und der indische Ministerpräsident nahmen zwar die lange Reise nach Europa auf sich, um am Freitag am G7-Gipfel teilzunehmen; die gleich daran anschließende Schweizer Konferenz schenkten sie sich aber.
So ist Brasilien nur mehr als Beobachter dabei, seitens Indiens fand sich nur ein Staatssekretär aus dem Außenministerium auf der Teilnehmerliste, Südafrika wurde vom nationalen Sicherheitsberater vertreten.
Ukraine-Friedensgipfel: Scholz reiste am Sonntagmorgen ab
Kanzler Scholz ist am zweiten Gipfeltag nicht mehr dabei und lässt sich durch die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Anna Lührmann, vertreten.
Der Kanzler hat nach seiner Rückkehr gleich zwei wichtige Termine in Berlin: Mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will er über den Haushalt beraten, anschließend steht eine SPD-Präsidiumssitzung zur Aufarbeitung des desaströsen Ergebnisses bei der Europawahl an. Die SPD schnitt mit 13,9 Prozent so schlecht ab wie noch nie bei einer bundesweiten Wahl. (dpa, Reuters, AFP)
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