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Ukraine trägt Krieg nach Russland: Putin lässt in der Region Kursk den Ausnahmezustand verhängen
Die Ukraine startete einen unerwarteten Vorstoß über die russische Grenze. Auch deutsche Panzer sollen beteiligt sein. Die europäische Gasversorgung über die Region läuft derweilen weiter.
Stand:
In der russischen Grenzregion Kursk ist der Ausnahmezustand ausgerufen worden. Dies teilte Übergangsgouverneur Alexej Smirnow am Mittwoch im Onlinedienst Telegram mit. Er begründete dies mit einer „schwierigen Situation“ in der Grenzregion zur Ukraine.
„Um die Folgen des Eindringens feindlicher Kräfte zu beseitigen, habe ich beschlossen, den Ausnahmezustand zu verhängen“, so Smirnow. Er leite einen Operationsstab, der rund um die Uhr arbeite. Im benachbarten Gebiet Orjol traf unterdessen eine erste Gruppe von evakuierten Einwohnern des russischen Grenzgebiets ein.
Tags zuvor hatten ukrainische Truppen unterstützt von Panzern und Artillerie die russische Grenze vom Gebiet Sumy aus bei Sudscha überschritten. Bei dem ukrainischen Vorstoß sind offenbar auch Panzer beteiligt, die Deutschland als Militärhilfe an das Land geliefert hatte. Das zeigen Luftaufnahmen des russischen Verteidigungsministeriums, die von mehreren Nutzern der Plattform auf X geteilt werden. Einem Bericht der „Bild“-Zeitung zufolge seien mindestens drei „Marder“-Schützenpanzer im Einsatz.
Mit der Übergabe an die Ukraine sind es ukrainische Waffen.
Marcus Faber (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, zum Einsatz von aus Deutschland gelieferten Waffen auf russischem Staatsgebiet.
Seitdem ist die ukrainische Armee mehrere Kilometer tief in russisches Gebiet vorgerückt. Das in den USA ansässige Institut für Kriegsstudien (ISW) schrieb in einer Erklärung am Donnerstag von „nachweislich bis zu zehn Kilometern“, nach Angaben des russischen Militärbloggers Juri Podoljaka rückte die Ukraine sogar um mehr als 25 Kilometer vor. Ein weiterer Blogger schreibt, dass die Ukraine gar begonnen habe, ihre Stellungen in Russland zu befestigen.
Schon zuvor hat die russische Nationalgarde den Schutz des Atomkraftwerks Kursk verstärkt. Außerdem seien zusätzliche Kräfte für die Bekämpfung von Sabotage- und Aufklärungstrupps in den Gebieten Kursk und Belgorod herangezogen worden, teilte die Behörde mit.
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Das geschehe in Kooperation mit den russischen Grenztruppen und der Armee. Das Atomkraftwerk mit vier Blöcken und einer Leistung von fast zwei Gigawatt befindet sich nur gut 60 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt.
Ukrainische Truppen haben bei ihrem Vorstoß wohl auch eine Messstation der wichtigen Gaspipeline Richtung Westeuropa unter Kontrolle gebracht. Von dort führt der Transit durch die Ukraine und weiter in die Slowakei und nach Österreich.
Der russische Gasexport durch das von der Ukraine angegriffene Grenzgebiet läuft nach Angaben des Konzerns Gazprom weitgehend normal. Heute werde mit der Durchleitung von etwa 37,3 Millionen Kubikmeter Erdgas gerechnet, teilte das Unternehmen in Moskau mit. Dies seien fünf Prozent weniger als am Vortag, meldete die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass nach diesen Angaben.
Der Bundeskanzler muss mit dem ukrainischen Präsidenten telefonieren und verlangen, dass keine deutschen Waffen bei den Vorstößen auf russisches Territorium zum Einsatz kommen.
Sahra Wagenknecht, BSW-Vorsitzende
In Deutschland ist derweil eine Debatte über die Beteiligung von aus Deutschland gelieferten Kriegsgerät entbrannt.
Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marcus Faber (FDP), sieht kein Problem darin, wenn die Ukraine solche Waffen für ihren aktuellen Vorstoß auf russischem Gebiet nutzt. „Mit der Übergabe an die Ukraine sind es ukrainische Waffen“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe am Donnerstag. Das gelte „für jegliches Material“, auch den Kampfpanzer Leopard 2.
„Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist das Territorium beider Staaten Kriegsgebiet“, erläuterte FDP-Verteidigungsexperte Faber seine Position. „Der Einsatz der Waffen unterliegt den Bestimmungen des Völkerrechts.“
Der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner äußerte sich zurückhaltend zum möglichen Einsatz deutscher Waffen bei dem ukrainischen Vorstoß. „Was die Verteidigung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg betrifft, galt im Grenzbereich eine Ausnahmesituation, als die Stadt Charkiw in größter Bedrängnis gegen Angriffe jenseits der nahen Grenze verteidigt werden musste“, sagte Stegner dem „Handelsblatt“. „Das implizierte keinen generellen Strategiewechsel, was den Umgang mit aus Deutschland gelieferten Waffen betrifft.“
Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht forderte ein Eingreifen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). „Der Bundeskanzler muss mit dem ukrainischen Präsidenten telefonieren und verlangen, dass keine deutschen Waffen bei den Vorstößen auf russisches Territorium zum Einsatz kommen“, sagte sie am Donnerstag den Funke-Zeitungen.
Keine Informationen aus Kiew
Offiziell hält sich die Ukraine weiter bedeckt zu dem Angriff. In seiner abendlichen Ansprache danke der ukrainische Präsident den Streitkräften – und gab einen Hinweis auf den Vorstoß. Russland habe den Krieg über die Ukraine gebracht, nun solle es „spüren, was es getan hat“, sagte der Staatschef.
Allerdings erwähnte Selenskyj den Vormarsch der ukrainischen Truppen in Kursk nicht direkt. Auch von anderen ukrainischen Stellen wurde der am Dienstag begonnene Vorstoß der ukrainischen Armee nicht kommentiert.
Bisher seien an dem Angriff nach Angaben des russischen Generalstabs „bis zu 1000“ Soldaten beteiligt. Das hatte der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow bei einem vom russischen Fernsehen übertragenen Treffen mit Präsident Wladimir Putin bekannt gegeben.
Möglicherweise könnten die Gebiete als Verhandlungsmasse bei kommenden Gesprächen mit Moskau dienen und die eigene Verhandlungsposition verbessern, sollte die Ukraine diese erobern. Das deutete der ukrainische Präsidentenberater Mykhailo Podolyak „Kyiv Independent“ zufolge am 7. August an.
Wie die gesamte ukrainische Führung wollte er die Ereignisse nicht direkt kommentieren. Darauf bezugnehmend sagte er im Staatsfernsehen jedoch: „Werden die Ereignisse in dieser oder jener russischen Grenzregion einen psychologischen Einfluss auf die (russische) Gesellschaft haben? Zweifellos.“
„Wenn man die russischen Verluste erhöht, wenn man ihre Kriegskosten in die Höhe treibt, etwa durch zerstörte militärische Ausrüstung oder verlorenes Territorium, wird sich das darauf auswirken, wie sie den Krieg wahrnehmen? Zweifellos“, fügte er hinzu.

© AFP/Valery Sharifulin
Wie zuvor Präsident Wolodymyr Selenskyj betonte auch Podoljak, die Ukraine müsse aus einer Position der Stärke heraus in Gespräche mit Russland gehen, sollte es dazu kommen. In einer Kehrwende hatte die Ukraine zuletzt erstmals erklärt, sie wolle einen russischen Vertreter zu einem bevorstehenden zweiten Friedensgipfel einladen. Der Kreml steht einer Teilnahme skeptisch gegenüber, hat diese aber auch nicht vollständig ausgeschlossen.
Putin nennt Angriff „groß angelegte Provokation“
Der Vize-Gouverneur der Grenzregion sagte der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti am Donnerstag, die Lage sei „stabil und unter Kontrolle“. Die russischen Truppen seien im Bezirk Sudscha aktiv im Kampf gegen ukrainische Einheiten und drängten sie zurück, zitierte die Nachrichtenagentur Tass örtliche Behörden. Vier Menschen seien bei den ukrainischen Angriffen getötet worden.
Putin hatte angesichts der Angriffe auf Kursk von einer „groß angelegten Provokation“ Kiews gesprochen.
EU sieht Vorstoß im Kontext des Selbstverteidigungsrechts
Die EU sieht den Vorstoß ukrainischer Truppen dagegen im Kontext des Selbstverteidigungsrechts. „Wir sind der Meinung, dass die Ukraine einen rechtmäßigen Verteidigungskrieg gegen eine illegale Aggression führt“, sagte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in Brüssel.
Das Recht auf Selbstverteidigung schließe auch das Recht ein, den Feind auf dessen Territorium anzugreifen. Die EU stehe voll und ganz hinter den Bemühungen der Ukraine, ihre territoriale Integrität und Souveränität wiederherzustellen und die illegale Aggression Russland zu bekämpfen.
Streit um Einsatz deutscher Waffen in Russland
Die Ukraine nutzt bei ihrem Angriff auf die russische Region Kursk offenbar auch Panzer, die Deutschland als Militärhilfe an das Land geliefert hatte. Das zeigen Luftaufnahmen des russischen Verteidigungsministeriums, die von mehreren Nutzern der Plattform auf X geteilt werden. Einem Bericht der „Bild“-Zeitung zufolge seien mindestens drei „Marder“-Schützenpanzer im Einsatz.
Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marcus Faber (FDP), sieht kein Problem darin, wenn die Ukraine von Deutschland gelieferte Waffen wie den Kampfpanzer Leopard 2 für den Vorstoß auf russisches Gebiet nutzt. „Mit der Übergabe an die Ukraine sind es ukrainische Waffen. Das gilt für jegliches Material – auch für die Leopard 2“, sagte Faber den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
„Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist das Territorium beider Staaten Kriegsgebiet. Der Einsatz der Waffen unterliegt den Bestimmungen des Völkerrechts“, sagte Faber.
Tausende Menschen aus Kursk geflohen
BSW-Parteichefin Sahra Wagenknecht dagegen warnte vor dem Einsatz deutscher Waffen. „Das ist eine hochgefährliche Entwicklung“, sagte Wagenknecht den Zeitungen. „Der Bundeskanzler muss mit dem ukrainischen Präsidenten telefonieren und verlangen, dass keine deutschen Waffen bei den Vorstößen auf russisches Territorium zum Einsatz kommen“, forderte die BSW-Vorsitzende.
Kanzler Olaf Scholz habe zwar das Versprechen abgegeben, dass Deutschland nicht Kriegspartei werde. Aber: „Erst gab er die Genehmigung, dass die Ukraine mit deutschen Waffen auf russisches Territorium schießen darf“, kritisierte Wagenknecht.
„Billigt die Bundesregierung jetzt auch, dass die Ukraine mit deutschen Waffen nach Russland vordringt? Das wäre die nächste rote Linie, die überschritten wird.“ Die Bundesregierung ziehe Deutschland „immer tiefer in den Krieg hinein“, fügte sie hinzu. „Die Gefahr eines großen europäischen Krieges wird damit immer größer.“
Nach Behördenangaben sind bisher schon Tausende Menschen aus der Region Kursk geflohen. Die Bürger hätten ihre Wohnungen in Privatfahrzeugen verlassen, sagte Smirnow in einer Videobotschaft.
Ziel der ukrainischen Vorstoßes noch unklar
In der Nacht zum Mittwoch hatte es auch aus der Luft Angriffe auf russisches Territorium gegeben. Russland schoss nach Angaben des Verteidigungsministeriums 16 feindliche Drohnen über den Grenzgebieten Kursk und Belgorod ab. Dies war nicht unabhängig überprüfbar.
Über das Ziel des ukrainischen Vorstoßes wird weiter gerätselt, denn eigentlich bräuchte die Ukraine die Truppen, um die bröckelnde Front im Gebiet Donezk zu stabilisieren. Andererseits verschafft ihr der Angriff ein Überraschungsmoment. Auch Russland wird gezwungen, seine Kräfte umzugruppieren.
Die Ukraine verteidigt sich seit fast zweieinhalb Jahren gegen eine großangelegte russische Invasion. Auf beiden Seiten gibt es zehntausende getötete und verletzte Soldaten, aber auch viele Zivilisten vor allem in der Ukraine wurden Opfer des Krieges (dpa, Reuters, AFP)
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