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Theater an Bord. Berlin hat einen neuen Ort für jüdische Kultur. In Spandau an der Dischinger Brücke liegt die MS Goldberg.

© Theaterschiff

Kultur auf dem Berliner Wasser: Ein Lied ging um die Welt

Das Jüdische Theaterschiff MS Goldberg eröffnet mit einer Hommage an den berühmten Tenor Joseph Schmidt.

Vor etlichen Jahren, es muss Anfang der 1980er gewesen sein, fuhr ein Ausflugsdampfer mit einer Schauspieltruppe und ein paar Zuschauern über den Wannsee. Gespielt wurde auf dem Wasser „Der Untergang der Titanic“, nach einem Langgedicht von Hans Magnus Enzensberger. Der Regisseur der simulierten Havarie war George Tabori. Der jüdische Schriftsteller und Dramatiker hatte Krieg und Verfolgung in England überlebt, machte in Hollywood Karriere und gehörte später in der Bundesrepublik zu den Revolutionären der Bühne.

Ganz anders und doch wieder nicht liegen die Dinge beim Jüdischen Theaterschiff MS Goldberg. Es erlebte am vergangenen Montag seine künstlerische Jungfernfahrt – fest verankert in Spandau an der Dischinger Brücke. Dort bleibt es bis August, mit einem breiten Programm von Konzerten, Diskussionsveranstaltungen, Lesungen, Kino und Theateraufführungen. „Der Sänger“, so heißt das erste Stück auf der MS Goldberg, nach dem Roman von Lukas Hartmann.

Flucht in die Schweiz

Er erzählt von den letzten Tagen des berühmten Tenors Joseph Schmidt, einem jüdischen Künstler aus der Bukowina, der heutigen Ukraine. Schmidt schaffte es über die französische Grenze in die Schweiz. Er war schon so krank und entkräftet und wurde von den Schweizer Beamten und Ärzten derart schlecht behandelt, dass er 1942 in Zürich starb, 38 Jahre jung.

Jüdisches Theaterschiff – das ist ein mutiges Projekt. Und kein kleines. Dahinter steht der Verein Discover Jewish Europe und vor allem auch Peter Sauerbaum, der in der Berliner Kultur in vielen leitenden Funktionen tätig war, von der Senatskulturverwaltung zum Berliner Ensemble bis zum Jüdischen Museum. Nicht lange ist es her, dass die MS Goldberg Kohle und Kies nach Berlin transportierte. Ankauf und Umbau wurden im Wesentlichen von der Stiftung Deutsche Klassenlotterie finanziert, die eine Million Euro gab. Der Kahn sieht aus wie neu, und wo einmal der Frachtraum war, haben jetzt 190 Zuschauer Platz in einem naturgemäß länglichen Ambiente, das kaum Fenster hat und sich gegen die Wasserwelt abschottet.

An diesem Ort wolle man sich gegen Hass, Hetze, Antisemitismus wenden, gegen alles, was das friedliche Zusammenleben bedroht, sagte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, die zur Eröffnung gekommen war. Die Frage ist, wie neues, junges Publikum an Bord kommt. Darum muss es gehen, wenn die Initiative eine gesellschaftliche Wirkung haben soll. Das Schiff ist fahrtüchtig und kann auch mal ablegen.

Er sang in der Synagoge

Joseph Schmidt fiel schon als Junge durch seine außergewöhnliche Stimme in der Synagoge auf. In Berlin studierte er Gesang, und es liegt eine besondere Tragik darin, dass er über den Berliner Rundfunk und die Rundfunkopern bekannt wurde, die damals groß in Mode waren. Das Medium Rundfunk sollten die Nationalsozialisten bald schon zu einem effektiven Propagandainstrument ausbauen.

Joseph Schmidt hatte auf der Opernbühne kaum eine Chance. Er war zu klein von Statur, er hätte sich zum Gespött gemacht. Im Film ließ sich das korrigieren. Im Mai 1933 hatte sein Film „Ein Lied geht um die Welt“ noch in Berlin Premiere, danach emigrierte Schmidt nach Wien. Er tourte kreuz und quer durch Europa, solange es noch möglich war, gastierte 1937 in Palästina und New York. Schmidt feierte mit seinen Schallplatten große Erfolge, und 1936 drehte er in Österreich den Film „Heut’ ist der schönste Tag in meinem Leben“.

In dem Kammerspiel auf der MS Goldberg, das Armin Petras in Szene gesetzt hat, erklingen die Hits von Joseph Schmidt nur zart angedeutet auf dem Cello, das Ferdinand Lehmann anspielt, der Darsteller des Sängers. In seinen letzter Lebensphase war er heiser, litt an einer Kehlkopfentzündung, so wird hier auf den hell schmetternden Tenor verzichtet. Kleine Spielszenen zeigen den Übertritt über die Grenze bei Nacht, ungemütliche Fahrten im Auto, auf Koffern sitzend, und im Zug. Petras kennt man als detailverliebten Regisseur.

Endspiel mit leichter Hand

Das Ensemble mit Leila Abdullah, Alexander Simon und Christian Freund zeigt in vielen wechselnden Rollen, vom Grenzpolizist zum Fluchthelfer, wie der Kreis um den verfolgten jüdischen Tenor immer kleiner wird, wie der Nazi-Terror hineinwirkt in die neutrale Schweiz. Am Ende erst sieht man den Star in einem kurzen Filmausschnitt: „Ein Lied ging um die Welt“, seine Erkennungsmelodie. Hört man sie heute in ihrem hinreißenden, vielleicht auch schon gespielten Optimismus, klingt die Katastrophe an.

Aber man sollte schon etwas Wissen mitbringen über diesen Mann und sein Leben. „Der Sänger“ setzt vieles voraus. Ein Endspiel wird an Bord der MS Goldberg aufgeführt, mit leichter Hand.

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