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Besucher tanzen in der Diskothek Joy in Schleswig-Holstein, die einen höchstens sechs Stunden alten Schnelltes zur Voraussetzung für Tanzen ohne Mund-Nasen-Schutz macht.

© Markus Scholz/dpa

Alternativen zur „Durchseuchung“?: Junge Menschen haben das Recht, sich nicht vor Corona zu fürchten

Ein neuer Lockdown wegen Delta ist in Deutschland keine echte Option. Damit bleiben nur die „Durchseuchung“ oder Nachteile für Ungeimpfte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Thomas Trappe

Großbritanniens Premier Boris Johnson hat England geöffnet – und startet damit die „Durchseuchung“ der Bevölkerung. Weil sich aber immer noch viele Menschen nicht impfen lassen wollen, wird es dort über kurz oder lang zweifelsohne zu drastischen Zuständen an den Kliniken kommen. Und es wird auch viele Tote nach sich ziehen, vorrangig unter jenen, die sich gegen eine Impfung entschieden haben.

Vor diesem Hintergrund muss sich jetzt die Bundesregierung fragen: Welche Alternativen gibt es hierzulande zu einer „Durchseuchung“? Und – vor allem – mit welchen gesellschaftlichen Kosten gingen diese einher?

[Zutrittsverbote und Einkommensverlust: Das droht Impfverweigerern in den einzelnen Bundesländern]

Ein auf den ersten Blick sehr verlockender Mittelweg zwischen einem neuen Lockdown und dem britischen Weg könnte jedoch in eine gesellschaftliche Sackgasse führen. Denn natürlich gibt es immer noch die Möglichkeit, allen Menschen gleichermaßen die Rückkehr in Restaurants, zu Veranstaltungen, zum Alltag zu ermöglichen, wenn diese einen Impf- oder Genesenen-Nachweis oder eben einen negativen Coronatest vorweisen können – der dann allerdings etwas kosten und nicht mehr wie bisher vom Staat finanziert würde.

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Für hartnäckige Impfverweigerer würde dies enorm ins Geld gehen, und für Menschen mit niedrigen Einkommen einen faktischen Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben bedeuten. Die Bundesregierung zeigt dennoch deutliche Sympathien für diese Lösung, so auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.

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Welchen Sprengsatz in Deutschland eine solche partielle Teilhabe-Beschneidung hätte, weiß jeder, der sich an die Einführung der Hartz-IV-Gesetze erinnert und an dessen Folgen für das gesamte Parteienspektrum links der Mitte. Im Grunde wäre ein solcher Schritt der Sieg des Primats der Gesundheits- über das der Sozialpolitik – ein Unterfangen also mit unabwägbarem Risiko für den gesellschaftlichen Frieden der Republik.

Nicht ohne Grund lehnte CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet, der eher dem arbeitnehmernahen Flügel der CDU zuzurechnen ist, Brauns Vorstoß am Wochenende brüsk ab. Aber auch hier galt: Eine Alternative blieb Laschet schuldig.

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Faktisch gäbe es mit Nachteilen für Ungeimpfte zwar keine Impfpflicht, aber so etwas wie einen mittelbaren Impfzwang – jedenfalls für alle, die ihr Leben leben wollen. Der Grundrechtseingriff wäre massiv, schließlich geht es bei einer Impfung um einen medizinischen Eingriff.

Und durchaus ist die gesellschaftliche Debatte, vor allem bei den enthusiastischen Corona-Impfbefürwortern, an dieser Stelle nicht frei von Doppelmoral. So gibt es sehr wohl Argumente, sich nicht impfen zu lassen – zum Beispiel, weil man aufgrund seines Alters oder seiner körperlichen Konstitution ein persönliches Risiko für sich selber als sehr gering einschätzt.

Das ist gelebte Praxis in Deutschland, geht es etwa um Grippe-Impfungen. 2018, also während einer verheerenden Grippesaison mit schätzungsweise bis zu 18.000 Toten, war in Deutschland nur jeder Dritte gegen Influenza geimpft – bei den 65-Jährigen. Unter Jüngeren ist die Grippe-Impfung fast schon eine Seltenheit, trotz der Tatsache, dass 2018/2019 in der Grippesaison auch 7.500 Kinder ins Krankenhaus eingeliefert wurden und neun von ihnen starben. Für Kinder ist der Grippe-Impfstoff in Deutschland übrigens zugelassen.

[Lesen Sie auch: Braucht es die Impfpflicht? Das denken Betroffene und Experten (T+)]

Es gibt also das Recht, sich als gesunder junger Mensch nicht vor Corona zu fürchten. Ob diese Wette aufgeht, steht dann für jeden auf einem anderen Blatt. Die nahezu absolute Durchschlagskraft von Delta wird jedenfalls sehr wahrscheinlich schon bald dafür sorgen, dass jene, die sich täuschten, in kurzer Zeit in den Kliniken landen.

Als Antwort trifft der Staat eine Abwägung – und ordnet die damit einhergehenden gesundheitlichen Risiken Einzelner den Freiheitsrechten der geimpften Mehrheit unter. Letztlich stehen der deutschen Regierung damit drei Optionen offen, von denen eine gar keine ist: Ein erneuter Lockdown nämlich würde die Gefahr bergen, dass demnächst vielleicht nicht Impfgegner und Querdenker vor dem Reichstag demonstrieren – sondern Geimpfte, die sich und ihre Kinder in Geiselhaft einer Minderheit fühlen, die das vorhandene Impfangebot aus welchen Gründen auch immer ablehnt.

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Option zwei, die dauerhafte Benachteiligung oder auch nur Test-Gängelung Nicht-Geimpfter, ist bei genauerem Hinsehen bestenfalls eine pandemische Brückentechnologie. Mit ihr lässt sich der Lockdown vielleicht vermeiden. Dafür steuert sich die Politik auf diese Weise mittelfristig in eine lähmende Position, wenn man so will in den Regierungs-Lockdown.

Es ist schlicht kein Weg denkbar, mit dem so über Jahre hin eine Mauer innerhalb der Gesellschaft aufrechterhalten werden kann, ohne dass dies zu einer dauerhaften Vergiftung führt, die sich dann in der übernächsten Regierung niederschlagen könnte.

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Die dritte Option ist das Durchlaufenlassen der Pandemie. Diese „Durchseuchung“ böte den Vorteil, als Staat keine Gruppe zu diskriminieren (dazu würde dann auch das Recht der Privatwirtschaft gehören, gegenüber Ungeimpften eigene Regeln aufzustellen und Geimpfte zu privilegieren).

Der gravierende, wahrscheinlich streckenweise grausame Nachteil: Eine kurzfristige Überlastung der Krankenhauskapazitäten wäre nicht auszuschließen, vermutlich sogar unvermeidlich. Das Gesundheitssystem Deutschlands würde damit über Wochen einem Stress ausgesetzt, von dem niemand weiß, ob es diesen aushält.

Keine der drei Optionen drängt sich auf, und keine käme ohne gehörige Folgen daher – moralisch, gesellschaftlich, politisch, wirtschaftlich sowieso. Spätestens nach der Wahl werden Antworten gegeben werden müssen, einen Mittelweg gibt es kaum.

Mit Corona-Politik lässt sich schwerlich eine Wahl gewinnen, wohl aber verlieren. Die unangenehmen Debatten werden deswegen schlimmstenfalls noch bis Mitte September auf sich warten lassen.

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